Gabriel hat sich und Deutschland mit dem Besuch von radikalen NGOs keinen Gefallen getan, meint Melody Sucharewicz. Ein Gastkommentar.
Die guten Nachrichten?
Wie 95 Prozent aller News im Zuckerberg-Zeitalter ist der diplomatische Zwischen- beziehungsweise Ausfall zwischen Netanjahu und Gabriel einen Tag später „Soundbyte von gestern“.
Die schlechten Nachrichten?
Die Soundbytes von gestern sind in diesem Fall die Alarmglocke von morgen. Ein Spiegelbild der deutsch-israelischen Beziehungen: einerseits warm und intensiv, basierend auf gemeinsamen Werten, Interessen und Kooperationen – und gleichzeitig strapaziert von einer dämmernden Spannung, die gestern wie schon lange nicht zum Vorschein kam.

Ein Faktencheck:
Als erste Auslandsreise des Außenministers war der Israelbesuch von Sigmar Gabriel von besonderer Symbolkraft. Der Holocaust-Gedenktag als Auslöser erhöht Symbolkraft exponentiell. Klingt nach authentischer Solidarität und Sensibilität?
Dass der in Deutschland beliebten politischen Ausgewogenheit zuliebe trotz des prekären Anlasses auch ein Treffen mit Abbas im Plan war, ist hinzunehmen. Nicht hinzunehmen ist, dass die Finanzierung und Glorifizierung palästinensischer Terroristen durch Abbas und seine Partei nicht öffentlich von Gabriel verurteilt werden und Grundlage des Gespräches waren. Und dann wird es brenzlig.
Der Außenminister sucht den Austausch mit Israels Zivilgesellschaft. Das ist legitim. Doch dann kommt die seltsame, seltsam unausgewogene und ausgewogen undiplomatische Wahl: ausschließlich linksradikale NGOs, die von der Mehrheit der Israelis im besten Fall als abstrus, im schlimmsten Fall als israelfeindlich gesehen werden.
Nicht weil sie ‚regierungskritisch‘ sind, wie gerne in den deutschen Medien präsentiert, sondern weil sie eine Agenda verfolgen, die in erster Linie Israels Feinden zuspielt, palästinensische Menschenrechte oft nur auf dem Papier unterstützt, und die auf verdrehten Fakten und unglaubwürdigen (teils kriminellen) Quellen beruht.
„Aber meine Lebenserfahrung ist, dass es auch ganz gut ist, mit Menschen zu sprechen, die nicht in Regierungsbüros sitzen, keine offiziellen Funktionen haben“, sagte Gabriel gestern der dpa. Und doch käme Netanjahu im Traum nicht auf den Gedanken, sich mit Vertretern der ‚regierungskritischen‘ Antideutschen oder der Pegida zu treffen. Weil es über den (miss)informativen Aspekt hinaus ein politisches Statement und ein diplomatischer Fauxpas wäre. Warum Gabriel bei seiner Antrittsreise und ihrem besonderen Anlass gerade diese Form von Statement wählt – vis-à-vis der israelischen Regierung, den Bürgern und der deutschen Gesellschaft – bleibt offen beziehungsweise eine offene Provokation.
Darf man Gabriel also Heuchelei unterstellen? 2012 nannte er Israel einen Apartheidstaat, im gleichen Jahr sprach Parteigenossin Nahles von „gemeinsamen Werten mit der Fatah,“ 2014 kolportierte Martin Schulz völlig falsche Zahlen zur Wasserversorgung Israels an die Palästinenser.
Das israelische Außenministerium hatte im Rahmen der Reiseplanung immer wieder die Terminplanung in Gabriels Büro angefragt und bis zum letzten Moment keine Information zu den besagten NGO-Treffen erhalten. Authentische Solidarität und offene Kommunikation setzen außerdem Interesse am gesamten Spektrum der israelischen Zivilgesellschaft voraus. Nicht nur der sehr schmalen linksradikalen Sparte.
Netanjahus Reaktion war weder kreativ noch elegant. Aber Israel ist das einzige westliche Land, dessen Existenz bedroht wird. Das einzige Land, das den Informationskrieg für seine Legitimität ebenso ernst nehmen muss wie seine physischen Bedrohungen. Nicht immer kann Israels Premierminister sich diplomatische Eleganz leisten. Israels Demokratie strotzt vor Pluralismus, Freiheit und Humanität. Wer dafür Beweise bei B’Tselem & Co sucht, mag sich trotzdem als Freund Israels sehen. Er darf sich nur nicht wundern, wenn das in Israel und nicht nur dort als Heuchelei wahrgenommen wird.
Die Verfasserin des Gastkommentars, Melody Sucharewicz, ist Beraterin für politische
Kommunikation und lebt in Tel Aviv.
Eklat in Israel – Kanzlerin Merkel stärkt Gabriel den Rücken Gabriel wird für Verhalten in Israel kritisiert – und gelobt Netanjahus Absage: Gabriel hätte Alarmglocken hören können