Die erfundene Nachricht vom Tod eines Flüchtlings hat heftige Reaktionen ausgelöst. Die Wut der Akteure ist irritierend, meint Uta Keseling

Die Aufregung um den erfundenen Toten am Lageso wirkt auch mit etwas Abstand noch bizarr. Nicht nur, dass man die Motive des Helfers immer noch nicht versteht, der im sozialen Netzwerk Facebook behauptet hatte, ein Flüchtling sei nach tagelangem Warten am Lageso krank geworden und gestorben. War es Verwirrung, die Überspanntheit eines überforderten Helfers, die ihn behaupten ließ, wovor sich alle fürchten? Oder eine gezielte Provokation wie im vergangenen Juni, als Demonstranten vor dem Reichstag Gräber für Flüchtlinge aushoben und mit Blumen und Kreuzen bestückten?

Die Gräber-Aktion sollte auf das Sterben der Flüchtlinge an Europas Grenzen aufmerksam machen. Was dem Lügner vom Lageso gelang, war, eines vorzuführen: Dass eines Tages tatsächlich ein Mensch im Gedränge am Lageso stirbt, haben viele in Berlin ohne Weiteres für möglich gehalten.

Was irritiert, ist der Furor der öffentlichen Akteure. Die ersten Kerzen der Helfer am Lageso brannten schon, bevor der Tod des Flüchtlings überhaupt bestätigt war. Die ersten politischen Rücktrittsforderungen gab es da auch schon. Und nicht nur private Facebook-Nutzer, sondern auch Journalisten verbreiteten die Nachricht immer weiter, manche schärften sie sogar noch an.

Die Reaktionen waren heftig

Als sich dann andeutete, dass der Tote nur eine Erfindung sein könnte, waren die Reaktionen heftig. Die Helfer bezeichneten die Lüge in einer ersten Reaktion wiederum als „Katastrophe“, andere witterten schon wieder russische Hetze wie um die 13-Jährige in Marzahn, um deren Fall inzwischen in höchsten diplomatischen Kreisen gestritten wird. Darf, soll man Nachrichten von behaupteten Gewalttaten oder Toten verbreiten, solange sie nicht bewiesen sind? Kann man andererseits über die Aufregung in den sozialen Medien schweigen, auch wenn sich der Anlass als nichtig herausstellt?

Das Jahr 2016 scheint ein Thema zu haben: die Macht der Emotionen, wie man sie entfacht, orchestriert und, ja, gezielt ausnutzt. Aber: Natürlich darf dieser Einzelfall nicht das Image der vielen ehrenamtlichen Helfer beschädigen, ohne die Berlin die Flüchtlingskrise nie bewältigen könnte.