Farbe an den Fingernägeln gehört mittlerweile genauso zum Outfit wie das Tuch am Hals oder die Tasche über der Schulter. Kreative Nageldesignerinnen können aus langweiligen Nägeln einen Albtraum in Ozeanblau oder Neonpink zaubern – aber welche Frau mag diesen Look überhaupt?

Lackierte Fingernägel sind keine Kleidung. Man kann sie nicht an- oder ausziehen – man hat sie einfach oder nicht. Das bringt den zeitsparenden Vorteil mit sich, nicht jeden Morgen vor dem Kleiderschrank entscheiden zu müssen, welchen Fingernagel man heute wohl tragen sollte. Und doch scheint unter selbst ernannten Trendsetterinnen die Form, Farbe und Verzierung von Fingernägeln mittlerweile fast so wichtig zu sein wie die Wahl der passenden Schuhe: Keilabsatz, Peeptoe oder Overknee-Stiefel versus Lack in Mauve, Zitronengelb oder Leopardenmuster.

Gerüchten zufolge waren es zunächst nur schlecht angezogene Friseurinnen aus ostdeutschen Kleinstädten, die hierzulande den Trend zu zentimeterlangen, knallfarbenen Krallen lostraten. Doch wenn man sich zurückerinnert, fallen einem vielleicht noch die Worte der eigenen Mutter ein: Hände und Nägel müssen immer gepflegt sein, sie sind das Aushängeschild des eigenen Charakters. Diesen ehernen Grundsatz trichterte Mama uns bereits in der oralen Phase ein, in der ein Kleinkind alles in den Mund steckt und mit den gerade wachsenden Milchzähnen darauf herumkaut – auch auf den Nägeln.

Doch können wir unsere eigene Mutter dafür verantwortlich machen, dass wir der Kosmetikerin monatlich 50 Euro zukommen lassen, damit sie unsere Fingernägel dünn wie Pergamentpapier feilt und diese zehn Keratinplatten durch UV-reaktives Acrylgel aufhübscht?

Für so viel Geld muss es aber nicht mal die französische Maniküre von einer Pariser Nageldesignerin sein. Auch für Lack von Kosmetikmarken wie Chanel, MAC oder Yves Saint Laurent legt Frau bereitwillig mehrere braune Scheine auf den Drogerietresen. Farbe an den Nägeln gehört genauso zum Outfit wie die Kette um den Hals oder die Tasche über der Schulter.

Eigenartig ist bloß, dass normaler Nagellack hierzulande gesellschaftlich unkritischer betrachtet wird als die Nagelmodellage mit Gel oder Acryl. Vermutlich sind Gel-Nägel, die im Gegensatz zu Lack nach wie vor die Stempel "künstlich" und "Plastik" tragen, noch nicht vom Charme bereits benannter ostdeutscher Kleinstadtfriseurinnen zu trennen. Und das, obwohl der Lack, den man sich ohne böse Gedanken auf den Nagel malt, aus demselben Grundstoff besteht wie Tischtennisbälle und Sekundenkleber.

Warum also lieber Chanels "Rouge Noir" als "Nicoles Nailshop"? Nicole – vielleicht auch Simone, Mandy oder Kathleen – kann Nägel schließlich durch sogenannte Nailart gekonnt verzieren. Die klassischste Variante ist die französische Maniküre: naturfarbene Nägel mit weißen Spitzen. Doch aus Weiß kann ganz einfach auch Ozeanblau, Pastellgrün oder Neonpink werden. Zudem können die Nägel mit Blümchen, Sternen oder – ja, tatsächlich! – Elvis-Konterfeis bestempelt werden. Gewiefte Nageldesignerinnen beherrschen mittlerweile auch den künstlerisch anmutenden Umgang mit der Airbrush-Pistole. So wird aus dem Nagel in Sekundenschnelle ein kleines Gemälde.

Dass bei Gel-Nägeln trotzdem etwas Prollschick mitschwingt, ist der ganzen Sache aber nicht abzusprechen. Vielleicht sollte man sich einfach vor Augen führen, dass Nageldesigner in Österreich bereits ein medizinischer Beruf ist und damit so anerkannt wie der einer Krankenschwester. Klingt für deutsche Ohren komisch, ist aber so.