Früher sparte man auf eine It-Bag, heute für Nagellack. Er ist das neue Trend-Accessoire – und wird zukünftig noch bunter.
Eine maßgefertigte Designerküche von bulthaup oder poggenpohl kostet mehrere tausend Euro. Lieferbar in wenigen Monaten. Einen Mini Cooper ohne Extras gibt es ab 15.300 Euro. Lieferbar ebenfalls in ein paar Monaten. Der Chanel Nagellack in der Farbe Particulière? Ausverkauft. Lieferzeit unbekannt. Wer Glück hat, ersteigert eines der begehrten Fläschchen für 150 Euro bei Ebay. Normalpreis für 13 Milliliter: 22 Euro. Nagellack ist heute das, was vor kurzem noch die It-Bag war. „Nagellacke sind zu einem wichtigen Accessoire geworden“, sagt Carolin Henk von Chanel. So wichtig, dass es bei Douglas Wartelisten für Particulière gibt.
Neben dem grau-lila Ton ist mintgrün gerade die Trendfarbe für die Nägel. Schuld daran ist Peter Philips, Chanel Creative Director im Bereich Make-up. Als Karl Lagerfeld für die Herbst-Winter-Kollektion 2009 Models mit jadebesetzten Ringen, Ketten und Knöpfen auf den Laufsteg schickte, kreierte er, spontan inspiriert, wie er selbst sagt, den passenden Lack – Jade 407. Ursprünglich war dieser nur für den Laufsteg gedacht. Auf Grund der großen Nachfrage ging der Lack schließlich in Produktion und war nach zwei Tagen ausverkauft. Während andere Hersteller ihre Alternativen zu Jade auf den Markt brachten, löste Particulière bereits den nächsten Hype aus.
Pastellige Bonbonfarben und knallige Töne wie rotorange, die Farbe in diesem Sommer, sehen längst nicht mehr nach Kindergeburtstag aus oder bleiben Exzentrikern vorbehalten. „Bei den Frauen, die Mut zur Farbe haben, handelt es sich um mode- und trendbewusste Frauen“, so Carolin Henk von Chanel. Ein kurzweiliger Trend und eine Erfindung der letzten zwei Jahre sind bunte Nägel nicht. 1995 trug Uma Thurman in „Pulp Fiction“ erstmals den tiefroten Nagellack „Rouge Noir“ von Chanel, der damals lanciert wurde. „Als Anfang der 90er Jahre Rouge Noir kreiert wurde, hatte niemand mit dem Erfolg gerechnet. Pulp Fiction hat einen richtigen Hype ausgelöst. Rouge Noir ist nach wie vor einer der meistverkauften Nagellacke unseres Hauses“, so Henk. Seit dem gilt wohl der Satz: „Rote Nägel und du bist angezogen.“
1998, in ihrer mystischen Phase, trug Madonna im Video zu „Frozen“ schwarzen Nagellack. Als Chanel „Black Satin “ kreierte, um die Tiefe und den Glanz von schwarzen Seidenbändern nachzuahmen, die Coco Chanel verwendete, verspürten viele Frauen das tiefe Verlangen, diesen Lack zu besitzen. So auch Schauspielerin Sarah Michelle Gellar. Sie stahl einer anderen Frau das begehrte Fläschchen, nachdem sie bei einer exklusiven Veranstaltung keines bekommen hatte. Zu ihrer Verteidigung sagte sie: „Wenn es um Chanels Black Satin geht, was soll man da machen?“
Das Vorurteil, schwarze Nägel seien etwas für Freaks aus der Gothik- oder Heavy-Metal-Szene, schien gebrochen. Rote und schwarze Fingerspitzen waren in der Gesellschaft angekommen. Die Individualität mit dem Massenprodukt Nagellack jedoch ein Stück weit verloren. Anders war dies noch Anfang des 19.Jahrhunderts. Frauen begannen ihre Nägel mit parfümiertem rotem Öl einzufärben, um sich von anderen abzusetzen und auf sich aufmerksam zu machen. Mit Lederläppchen brachten sie diese auf Hochglanz. In den folgenden Jahren wurden Nägel mit allerlei Hilfsmitteln wie Schleifpapier poliert. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts boomte die Autoindustrie. Für die Tatsache, dass aus Karosserielack Nagellack wurde, sind die Brüder Charles und Joseph Revson verantwortlich. Sie verfeinerten die Rezeptur und brachten unter dem Namen „Revlon“ den ersten deckenden, farbintensiven Nagellack auf den Markt. Obwohl dieser perfekt zum damaligen Look, der von knallroten Lippen und stark betonten Augen geprägt war, passte – Eleganz und Luxus waren Zeichen der Zeit – blieb das Lackieren der Nägel bei Frauen aus „gutem Hause“ verpönt. Diven wie Jean Harlow, Gloria Swanson und Rita Heyworth trugen ihn trotzdem.
Obwohl nach dem zweiten Weltkrieg auch Farben wie Pink modern wurden, blieb man in den kommenden Jahrzehnten überwiegend auf Rot festgelegt. Erst mit dem Aufkommen der Hippies in den 70er Jahren wurde es bunter. Und während Serien wie „Drei Engel für Charlie“ in den USA den Wunsch nach künstlichen Nägeln auslösten, gehörten Glitzerlacke und French Manicure genauso in die Ära der 80er Jahren, wie die Musik von David Bowie.
Grün, blau, gelb, orange – die 80er sind mit den bunten Farben zurück. Marken wie Essie und OPI haben Kultstatus erreicht. Doch in Zeiten des Internets und bei immer größer werdender Konkurrenz lassen sich die Nagellackhersteller außer immer neuen Farben allerhand einfallen, um den Stellenwert des Nagellacks als Accessoire zu unterstreichen. OPI, bekannt für seine außergewöhnlichen Lacknamen wie „Red My Fortune Cookie“ oder „ I'm not really a waitress“, kooperiert mit dem Computer-Hersteller Dell. Die Farbe des Laptops wird an den Nagellack angepasst. Zur Auswahl stehen 26 verschiedene Töne. Mit einer iPhone-App von OPI lassen sich die Nägel visuell lackieren, um den richtigen Farbton zu finden.
Der Autohersteller Volvo kehrt zu den Ursprüngen des Nagellacks zurück. „Ember Black“, „Vibrant Copper“ und „Cosmic White“ sind nicht nur die Lackfarben des neuen S60, sondern auch die zugehörigen Farben für die Nägel.
Auch Männer sollten Nagellack tragen. Zumindest wenn es nach Jahn Mihm geht. Der Gründer des Berliner Kosmetiklabels „Uslu Airlines“ behauptete in einem Interview: „Wenn man mit bunt manikürten Händen in eine Bar geht, muss man kein Bier mehr selber zahlen. Denn Frauen fahren total auf diesen Look ab.“
Ob Chanel einen speziellen Nagellack für Männer kreiert, ist fraglich. Dass die neuen Herbst/Winter-Farben wieder eine Massenhysterie auslösen werden, gilt als ziemlich sicher. „Wir spüren bereits, dass Paradoxal eine Farbe sein wird, die im Herbst eine große Rolle spielen wird.“, so Carolin Henk. Wer sich jetzt schon um einen Platz auf der Warteliste für den lila-schimmerden Lack bemüht, bekommt Paradoxal vielleicht noch vor der Küche oder dem Mini.