Nagellack-Trend

Achtung, jetzt kommt der It-Lack!

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Julia Finger

Was vor ein paar Jahren noch die It-Bag war, ist nun der It-Lack: Modische Nagellacke sind begehrte Accessoires geworden.

Einige Tage vor Weihnachten gingen Victoria und David Beckham gemeinsam essen. Beide im schwarzen Smoking, beide mit farblichem Highlight: David trug eine royalblaue Krawatte – und Victoria Nagellack in der gleichen Farbe.

Der Partnerlook ist nicht nur ein aussagekräftiges Statement zu den Gerüchten über die angebliche Ehekrise der Beckhams, sondern vor allem ein modischer Beweis: Was vor ein paar Jahren noch die It-Bag war, ist nun der It-Lack. Über den Nagel drücken sich Frauen aus. Die stets sichtbaren Fingernägel nutzend, schreien sie über deren Farbe, Form und Verzierung in die Welt hinaus, wer sie sind: Hey, ich trage das Blau passend zum Schlips meines Mannes, wir lieben uns! Und es zeigt auch: Kräftige Lackfarben sind längst keine Faschingsschminke mehr.

Es war Uma Thurman, die 1994 in Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ erstmals schwarzroten Nagellack trug und so Chanels „Rouge Noir“ populär machte. Der Lack wurde zum Kult. Zuvor galt dunkler Nagellack als Erkennungsmerkmal in Subkulturen wie der Gothicszene. „Rouge Noir“ ebnete den Weg zu unkonventionellen Nagellackfarben wie Yves Saint Laurents Graunuance „Stormy Grey“ und Chanels Grünton „Jade“.

Letzterer war ursprünglich nur für den Laufsteg gedacht. Als das französische Modehaus während der Pariser Fashion Week im März 2009 seine Herbst- und Winterkollektion vorstellte, schmückte Chefdesigner Karl Lagerfeld seine Laufstegmodels mit jadebesetzten Ringen, Ketten und Knöpfen – und ihre Nägel waren in eben dieser Farbe lackiert. Die modemediale Resonanz auf das von Chanels Make-up-Dramaturgen Peter Philips entwickelte Blassgrün war ekstatisch. Die „London Times“ sprach von einem „Kosmetikphänomen“, Modemagazine und -blogs feierten den neuen Nagellack wie ein avantgardistisches Schuhmodell. Deshalb ging der Lack schließlich in Produktion, war Ende Oktober in Chanel-Boutiquen und im Londoner Kaufhaus Selfridges erhältlich – und nach zwei Tagen ausverkauft. Wer ihn danach noch haben wollte, zahlte bei Ebay bis zu 150 Euro pro Fläschchen.

Chanels nächster Coup könnte der Farbton „Particulière“ sein, erhältlich seit dem 10.Januar. Das dezente Grau-Lila trugen Chanels Mannequins vergangenen Herbst auf der Pariser Modewoche. Den Lack haben Peter Philips und sein Team passend zu Lagerfelds pastellfarbenen Tweedkostümen entwickelt. Kurz darauf verkündete Beautykolumnistin Celia Ellenberg auf Style.com: „Particulière wird das neue Jade.“

Der Zementton ist eine Fortsetzung des Grautrends, den Yves Saint Laurent vergangenen Herbst mit „Stormy Grey“ angestoßen hat. „Es geht bei Nagellack darum, die richtige Geschichte zur richtigen Zeit zu erzählen“, sagt Yannick Vaudry, Kosmetikdirektor des französischen Modeunternehmens. Gerade beschäftigt sich Vaudry mit den Farben des Sommers 2011. Die Entwicklung von Nagellack hat bei Yves Saint Laurent einen zeitlichen Vorlauf von anderthalb Jahren und ist demnach gut überlegt. Doch was soll uns dieser triste Farbreiz, das Grau, auf den Nägeln sagen? Vaudry hat darauf eine einfache Antwort: Wenn er und sein Team einen Farbton kreieren, haben sie immer einen bestimmten Typ Frau im Kopf – den, der gerade nicht präsent ist oder den es noch nicht gibt. „Als wir das Grau kreiert haben, dachten wir an eine Frau, bei der der Fokus auf den Lippen liegt. Rote Lippen und graue Nägel passen wunderbar zusammen.“ Vaudry wolle einen Mangel aufzeigen und etwas schaffen, was es noch nicht gibt. Der Ursprung für zukünftige Farben liegt allerdings im Vergangenen: „Starke Töne wie ‚Rouge Noir' kehren zurück und beeinflussen uns. In den vergangenen Jahren war Natürlichkeit wieder ein Thema, French Manicure war modern. Aber mittlerweile ist das langweilig“, findet Vaudry.

Von „Rouge Noir“ über „Jade“ zu Grau – und was kommt als Nächstes? Kosmetikfirmen wie Misslyn oder OPI proklamieren matte Oberflächen als Frühlingstrend. Vaudry hingegen hält matten Lack für schwierig: „Mattes sieht schnell schäbig aus – als wäre glänzender Lack bloß abgenutzt.“

Genauso speziell wie die Farbtöne der Lacke sind deren Namen. Hersteller wie OPI wollen mit Namen wie „Meet Me On The Star Ferry“, „Suzi Says Feng Shui“ oder „Red My Fortune Cookie“ statt der bloßen Farbe vielmehr das Gefühl bezeichnen, das damit verbunden werden soll.

Unter Nagelstudiokundinnen wie Victoria Beckham, Rihanna oder Katy Perry wird der Name eines neuen Lacks längst genauso heiß gehandelt wie die Adresse des diskretesten Schönheitschirurgen oder das neueste Schuhmodell von Christian Louboutin. Es soll sogar Damen geben, die bereits eine Louboutin-Maniküre tragen. Heißt: Passend zur Sohle der Designer-Pumps wird die Unterseite der langen Nägel rot lackiert. Bei so viel Detailverliebtheit von prominenten Frauen und solchen, die es gern wären, überrascht es nicht, dass die neue Lust an Farbe und Design von Nägeln auch in der breiten Masse angekommen ist. Abseits von Chanel und Yves Saint Laurent, von exklusiven Lackherstellern wie Essie oder Alessandro, sind es Drogerieketten wie Rossmann, die aufzeigen, welchen Stellenwert Nagellack hat. Mehr als 800 Fläschchen von 15 verschiedenen Handelsmarken führt eine Rossmann-Filiale im Durchschnitt.

„Nagellack ist schon lange keine bloße Kosmetik mehr. Nagellack ist ein Accessoire wie eine Tasche oder Schmuck“, sagt Vaudry. Kein Wunder, dass auch die amerikanische Modekette American Apparel, bekannt für ihre unifarbenen Sweatshirts, nun ein hauseigenes, aus 18 verschiedenen Nuancen bestehendes Sortiment an Nagellacken führt. Der deutsche Modedesigner Bernhard Wilhelm entwickelt Nagellack für die Berliner Kosmetikfirma Uslu Airlines. Uslu Airlines wiederum designt gemeinsam mit Reebok für den französischen Conceptstore Colette einen Schuh, dem ein Uslu-Airlines-Nagellack beiliegt, um den Sneaker damit zu bemalen. Und das englische Traditionshaus Liberty, bekannt für seine Blümchenmuster, bringt nun zusammen mit dem Kosmetikkonzern MAC eine Beauty-Linie heraus, die einen schwarzblauen Lack enthält.

Da ist es nur logische Konsequenz, dass auffällig lackierte Nägel neuerdings auch in Fotostrecken etablierter Modemagazine auftauchen: In der Dezember-Ausgabe der „Madame“ tragen Fotomodelle überlange, schwarz-weiß lackierte Nägel. Dabei galten bunte Krallen in der Modebranche bislang als verpönt. Vaudry stimmt dem zu: „Die Farbe gibt die Form vor. Bei außergewöhnlichen Farben sollten die Nägel kurz sein.“ Die Gestaltung des Fingernagels sei immer ein schmaler Grat zwischen Erotik und Vulgarität.