Berlin/Potsdam. An den Erfolg glaubten zum Start nur wenige. Die Kritiker lästerten, und nicht einmal die Darsteller waren restlos überzeugt. „Anfangs waren junge Models zu sehen, die von Schauspielerei keine Ahnung hatten. Und das hat man auch gemerkt“, erinnert sich Schauspieler Wolfgang Bahro. „Das hatte etwas von Kindertheater.“ Am 11. Mai 1992 wurde bei RTL die erste Folge von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ) ausgestrahlt und begründete damit das Genre der Daily Soap in Deutschland. Seit 1993 und Folge 185 steht Wolfgang Bahro als Fiesling Jo Gerner für das Format vor der Kamera und ist damit der dienstälteste Darsteller bei GZSZ. Das Akronym und den Namen seiner Figur kennen 30 Jahre später auch Menschen, die von sich behaupten, noch nie eine Folge der Serie gesehen haben.
„Als ich die Anfrage bekommen habe, habe ich gesagt: Nee, lass mal“, erinnert sich Wolfgang Bahro. Der gebürtige Berliner war damals hauptsächlich aus dem politischen Kabarett bekannt, spielte in der Distel und bei den Stachelschweinen. Nach einer Rolle in der ZDF-Miniserie „Durchreise – Die Geschichte einer Firma“ habe er geglaubt, nun gehe es los mit der großen Fernsehkarriere, so der 61-Jährige. Nur um festzustellen, dass er nach sechs Folgen als schwuler Modeschöpfer bereits in einer Schublade gelandet war und nichts anderes mehr angeboten bekam. Der intrigante Rechtsanwalt und Chauvinist Jo Gerner erschien ihm plötzlich nicht mehr wie eine ganz schlechte Idee. Er müsse ja nicht lange bleiben, so seine Agentur. Der Rest ist Fernsehgeschichte.
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Wer „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ schaut, dem ist nichts Menschliches fremd
Jo Gerner war seitdem vier Mal verheiratet, hat zwei verstorbene Söhne und zwei Töchter, war Eigentümer der Restaurants „Fasan“ und „Mauerwerk“, machte in Immobilien, Journalismus und Politik, saß im Rollstuhl, wäre mehrmals fast gestorben und saß mehrmals im Gefängnis. „Gerners Frauen und Intrigen kriege ich nicht mehr alle zusammen“, sagt Wolfgang Bahro über das bewegte Leben seiner Figur. Aber auch allen anderen Charakteren muteten die Drehbuchautorinnen und -autoren in über 7000 Folgen einiges zu. Entführungen, Morde, drohende Kastrationen, Inzest, Familiendramen, geplatzte Hochzeiten, Drogen, Schulden, Vergewaltigungen. Wer „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ schaut, dem ist nichts Menschliches fremd.
Gedreht wurde ab März 1992 zunächst in den Union Filmstudios in Tempelhof mit australischen Regisseuren und Drehbüchern, die die ersten 230 Episoden lang vom Vorbild des australischen TV-Erfolges „The Restless Years“ übernommen worden waren. „Alles war ein bisschen improvisiert, wenn man in den Kulissen die Tür zugeschlagen hat, wackelten die Wände“, so Wolfgang Bahro. In der gemeinsamen Umkleide für alle Schauspielerinnen und Schauspieler habe lediglich eine Garderobenstange als Sichtschutz gedient. 1995 zog die Ufa-Produktion nach Potsdam-Babelsberg, wo seitdem auf dem Gelände der historischen Filmstudios stetig neue Geschichten entstehen, die seit Folge 1 Montag bis Freitag um 19.40 Uhr ausgestrahlt werden.
GZSZ verpasste Schauspielern einen ungeahnten Popularitätsschub
Es habe nicht lange gedauert, da sei er plötzlich auf der Straße erkannt worden, sagt Wolfgang Bahro über seine Anfänge bei GZSZ. Damals habe ihm gedämmert, dass hier etwas Großes im Entstehen sei. Die Serie habe ihm und seinen Kollegen einen ungeahnten Popularitätsschub verpasst. „Wenn wir in den ersten Jahren Autogrammstunden veranstaltet haben, fühlten wir uns wie die Beatles. Die Fans haben geschrien und sind in Ohnmacht gefallen. Das war der Wahnsinn.” Heute sei das Set abgeriegelter, ein großer Teil der Fanverehrung habe sich in die sozialen Medien verlagert. Wenn er sich durch seinen Alltag bewege, werde er aber nach wie vor häufig angesprochen oder bekomme auch mal favorisiert einen Tisch im Restaurant. Dass ihm die bekannte Schurkenrolle im echten Leben negative Reaktionen bereitet habe, sei in fast 30 Jahren glücklicherweise nur sehr selten vorgekommen.
Selbst die meisten Unkenrufe seien heute angesichts des Erfolges verstummt, so Wolfgang Bahro. „Früher wurde in der Branche oft die Nase gerümpft, wenn man bei GZSZ gespielt hat. Inzwischen mussten viele Kritiker ihre Meinung revidieren. Es ist eine der erfolgreichsten Serien, die jemals im deutschen Fernsehen liefen und hält sich seit über 30 Jahren mit Einschaltquoten, von denen andere nur träumen können.“ Dass die Geschichten rund um die Bewohnerinnen und Bewohner des fiktiven Kolle-Kiezes in Mitte seit 30 Jahren eine Konstante im deutschen Fernsehen geblieben sind, erklärt sich Hauptdarsteller Bahro durch eine beständige qualitative Weiterentwicklung, eine Sehnsucht nach Kurzweil und das Aufgreifen von gesellschaftlich relevanten Themen.
„Im Vergleich zur Anfangszeit haben wir heute Prime-Time-Niveau“, so Bahro. Und: „Ich finde es besonders wichtig, dass GZSZ dabei hilft, Vorurteile abzubauen. Homophobie, Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung und Sexismus sind in unserer Gesellschaft Themen, die zu erheblichen Konflikten führen. Und hier kann unsere Serie einen großen Beitrag dazu leisten, diese Themen aufzugreifen und bei den Zuschauer:innen Vorurteile abzubauen. In der Vergangenheit hat GZSZ das immer wieder getan, und auch das macht mich sehr stolz darauf, ein Teil dieser Serie zu sein.“
Jubiläumsfolge dreht sich um Jo Gerner
Die Jubiläumsfolge in Spielfilmlänge läuft am 12. Mai zur gewohnten Sendezeit um 19.40 Uhr auf RTL. Bereits im Vorfeld war bekannt geworden, das GZSZ-Special werde sich mit großem Drama um den Publikumsliebling drehen: Jo Gerner wird eines Verbrechens beschuldigt, das er nicht begangen hat. Während er sowohl von der Polizei als auch von seinem Feind Linostrami gejagt wird, versucht er Beweise zu finden, um den wahren Täter zu überführen. Dabei begibt er sich in lebensgefährliche Situationen. Sollte Gerner sein gespoilertes Verunglücken überleben, hat Wolfgang Bahro weiterhin die Chance, sein Traum-Ausstiegsszenario in einer unbestimmten Zukunft zu verwirklichen.
Als Fantomas-Fan stelle er sich vor, wie Gerner bei seinem letzten Auftritt auf einer Jacht sitze und Cognac trinke, so der Schauspieler, als plötzlich ein Widersacher eine Rakete auf das Boot abfeuere. Die Zuschauerinnen und Zuschauer müssen für einen kurzen Augenblick fürchten, Gerner sei tot, dann jedoch tauche ein Periskop aus dem Wasser auf und sie wissen ihren liebsten Antihelden in Sicherheit. „Es wird auch nach GZSZ ein Leben für Wolfgang Bahro, ohne Jo Gerner, geben“, da ist er sich sicher. Bleibt die Frage, ob es für die Fans auch ein GZSZ ohne Jo Gerner geben kann.