Berlin. Es ist der Bruch, der Riss in dieser überzogenen, dieser übertriebenen und lauten Welt. Katy Bähm ist eigentlich Favoritin in der neuen ProSieben-Show „Queen of Drags“. Doch so pompös ihre Auftritte als Frau, so traurig die Geschichte hinter der Kunstfigur.
Katy Bähm ist keine Frau, sondern ein Mann namens Burak Bildik. Von Berlin aus erarbeitete er sich einen deutschlandweiten Ruf in der Drag-Szene. 60.000 Follower bei Instagram, einen eigenen Perücken-Shop online. Aber, trotz aller Begeisterung, gibt es auch Personen, die ihm sehr nahe stehen – die sich jedoch nicht sonderlich über den Erfolg freuen.
In der ersten Folge der neuen Sendung berichtet er von seinem Leben als Mann, der sich als Frau anzieht, und wie seine Familie damit umgeht. Er sei in einem muslimischen Haushalt aufgewachsen. Die Eltern wüssten, was der Sohn tue. Mögen tun sie es nicht. Die Mutter ignoriert es schlicht. Der Vater dagegen spricht nicht mehr mit ihm. „Manchmal sagt er mir nicht mal hallo.“ Ein stiller Moment in einer lauten Show. Und ein sehr wichtiger.
„Queen of Drags“: Show mit Heidi Klum soll Vorurteile abbauen
Es ist eines der erklärten Ziele des Formats, Vorurteile abzubauen, gedankliche Hürden zu nehmen. Zehn Männer nehmen als zehn Frauen in der Show teil – und alle von ihnen wissen, wie schwierig es ist, nicht so zu sein wie die meisten anderen. Familienmitglieder, Freunde, die sich abwenden. Menschen, die das alles nicht verstehen. Vorurteile, fast immer, fast überall.
„Endlich haben die Queens die Bühne, die sie verdient haben“, ruft Heidi Klum gleich zu Beginn der Show, durch die sie mit Conchita Wurst und Bill Kaulitz führt, den Zuschauern entgegen. Dass ausgerechnet Klum dieser Bühne vorsteht, war im Vorfeld heftig kritisiert worden. Zu dünn seien ihre Bezüge zur Drag-Welt, zu wenig kenne sie die Außenseiterrolle.
In der Premiere versucht sie sich zu rechtfertigen, auch sie werde immer Opfer von Angriffen. Kandidatin Yoncé Banks gibt ihr Recht, das sei Mist gewesen, „dass sich die Community so anstellt.“ Aus der Randgruppenposition solle man nicht so gegen andere wettern.
Drag als Kunstform – und als Erweiterung der Persönlichkeit
Klum wird hoffen, dass „Queen of Drags“ ähnlich viele Zuschauer findet wie ihr seit Jahren gut laufendes „Germany’s Next Topmodel“. In der Show ging es auch schon um Geschlechter, um die Menschen, die die Grenzen sprengen.
Klum hatte Teilnehmerinnen, die als Mann geboren wurden. Allerdings: Transsexualität – wenn das Geschlecht nicht mit dem bei der Geburt eingetragenen übereinstimmt – ist nicht gleich Drag. Im Gegenteil: Nur wenige Drag Queens würden lieber als Frau leben. Sie sehen es als Kunstform, als Erweiterung ihrer Persönlichkeit.
„Ich will keine Frau sein, aber ich erlebe sehr gern, eine Frau zu sein“
Die Brasilianerin Catherrine Leclery, beziehungsweise ihr Darsteller, beteuert in der ersten Folge, dass man als Drag Queen „Mann sein muss, du musst Eier haben.“ Er wolle „keine Frau sein, aber ich erlebe sehr gern, eine Frau zu sein.“ Bambi Mercury aus Berlin erklärt: „Drag Queens sind Menschen wie du und ich. Mit mehr Make-up.“
Und tatsächlich: Unter der fürs deutsche Fernsehen noch sehr neuen Thematik schlummert auch bei „Queen of Drags“ nichts anderes als eine klassische Casting-Show im Stile von Topmodel. Katy will nicht mit Yoncé in ein Zimmer. Heidi Klum maßregelt die Queens, dass es in der Villa nach wenigen Minuten schon chaotischer aussehe als bei ihr zu Hause mit vier Kindern.
Erfrischend dabei ist vor allem, dass die Queens sich selbst schminken, kleiden, nicht alles vorgegeben wird wie bei „Germany’s Next Topmodel“. Der Ton ist etwas rauer.
Schlechtes Tucking – und ein schöner Auftakt
Gastjurorin Olivia Jones poltert besonders heftig los. Bei der großen Entscheidungsshow am Ende der Episode, bei der sich jede Teilnehmerin erstmal auf ihre eigene Weise künstlerisch vorstellen soll, fühlt sie sich zeitweise ans „DDR-Fernsehballett erinnert“, meckert dann über schlechtes „Tucking“ – das Wegklemmen der primären männlichen Geschlechtsteile, um die Illusion der Weiblichkeit zu verstärken: „Du hast ‘nen Kitzler wie ‘ne Bratwurst.“
Allerdings: Einige überzeugen auch mit ihren perfekten Inszenierungen – tolle Tanzeinlagen, perfektes Styling, kreative Kostüme, nicht selten selbst entworfen. Drag ist mehr als nur ein Karneval für Homos, sondern eine Kunstform und oft ein Ausdruck enormer Kreativität. Und, im besten Fall, sogar politisch – eine Rebellion gegen Normen, ein Aufruf zur Wertschätzung jener, die anders sind.
- Hintergrund: Was bedeutet Drag? Alles zu Queens, Kings – und der Bedeutung von GeschlechtPorträt
- Porträt: Olivia Jones: Die Dragqueen ist bunt, sozial – und bald 50
Allerdings sind es ohnehin nicht die Kritiken der Jury, die die Show sehenswert machen. Sondern tatsächlich die Charaktere der Teilnehmenden, die deutlich elaborierter sind als in vielen vergleichbaren Formaten. Mehr Persönlichkeit, mehr Individualität, mehr Durchsetzungskraft. Das sind Menschen, die oft ihr ganzes Leben lang überwinden mussten – sich selbst, mehr noch aber die Gesellschaft an sich. Da kann ein bisschen Genörgel von Klum und Co. gar nicht viel anrichten.
Schicksale und Spannungsfelder außerhalb des Mainstreams
Hinter den starken Kunstfiguren stecken Schicksale, stecken Spannungsfelder, wie sie der Durchschnittszuschauer selten erlebt. Aber auch eine Professionalität, die beeindruckt. „Queen of Drags“ mag das Rad nicht neu erfinden. Aber: Es bringt auf vielen Ebenen mehr Farbe in die Welt der Castings. Und vielleicht ein klein wenig mehr Akzeptanz gegenüber jenen, die anders leben.
Entsprechend sollte auch die Wahl Klums wohl auch nicht zu hart beurteilt werden. Nicht nur, weil sie sich sichtbar Mühe gibt, sich voll in die Welt der Drags einzufinden. Sondern weil sie die Strahlkraft hat, die für ein derartiges Format die Aufmerksamkeit erzeugen kann, die es verdient.
Die Show läuft donnerstags um 20.15 Uhr, die aktuellste Folge findet sich danach in der ProSieben-Mediathek.