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Trittin erklärt bei „Anne Will“ das Ende der Volksparteien

| Lesedauer: 4 Minuten
Fabian Hartmann
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) und Andrea Nahles (SPD) waren zu Gast bei „Anne Will“.

Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) und Andrea Nahles (SPD) waren zu Gast bei „Anne Will“.

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Bei „Anne Will“ ging es am Tag des Seehofer-Rückzugs um das Ende der Volksparteien. Für SPD-Chefin Nahles wurde es unangenehm.

Berlin.  Wer bisher dachte, dass die SPD eine Partei im Niedergang ist, hat sich offenbar getäuscht. 14 oder 15 Prozent in den Umfragen sind zwar nicht schön, aber: „Wir legen den Hebel um und zwar jetzt“. Das versprach zumindest die Parteivorsitzende Andrea Nahles am Sonntagabend bei Anne Will. Ihr Erfolgsrezept für steigende Zustimmungswerte: mehr Mitgliederbeteiligung und ein großzügigerer Sozialstaat.

Ob das allein aber reicht, um die älteste Partei Deutschlands wieder auf die Erfolgsspur zu führen? Zweifel scheinen angebracht. Auch klassische Sozialpolitik wie die Einführung des Mindestlohns oder die Teil-Rückabwicklung der Rente mit 67 haben bisher nicht auf das Konto der SPD eingezahlt. Und auch der Union, der anderen großen Volkspartei, laufen die Wähler davon. Im Dezember wählt die CDU einen neuen Vorsitzenden – oder eine Vorsitzende. In der Schwesterpartei CSU verdichten sich die Zeichen, dass Parteichef Horst Seehofer ebenfalls seine Posten als Parteichef und Innenminister räumt.

Gute Laune statt mieser Umfragewerte

„Der Machtverlust – gelingt den Volksparteien ein Neuanfang?“, wollte Anne Will daher passenderweise von ihren Gästen wissen. Und die hatten – zumindest sofern sie dem Regierungslager angehören – auch einige Durchhalteparolen mitgebracht. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) etwa wünscht sich eine Koalition, die „fröhlich“ ans Regieren rangehe. Frei nach dem Motto: gute Laune schlägt miese Umfragewerte. Und SPD-Chefin Nahles, seit einem halben Jahr im Amt, findet, dass sie für die personelle Erneuerung der Sozialdemokraten stehe – und ein Aufbruch auch in der Großen Koalition möglich sei.

Das waren die Gäste bei „Anne Will“:

• Andrea Nahles (SPD-Vorsitzende)

• Peter Altmaier (CDU, Wirtschaftsminister)

• Jürgen Trittin (Grüne)

• Ursula Münch (Politikwissenschaftlerin)

• Christoph Schwennicke (Chefrredakteur „Cicero“)

Jürgen Trittin verzichtet auf Polemik

Dazwischen blieb aber viel Platz für nachdenkliche Töne. Und überraschende Erklärungen: Ausgerechnet der sonst so angriffslustige Jürgen Trittin (Grüne) skizzierte das Dilemma der großen Parteien – und das ohne jede Polemik. Für den ehemaligen Umweltminister ist die AfD der entscheidende Faktor: Die Partei sei fester Bestandteil der politischen Landschaft geworden, für die klassischen Koalitionen rot-grün oder schwarz-gelb gebe es so keine Mehrheiten mehr.

CDU und SPD müssten also gemeinsam regieren – oder ein Dreierbündnis mit einer Partei aus dem anderen Lager eingehen. „Das Dilemma ist: Die Volksparteien müssen Profil zeigen und gleichzeitig erklären, warum sie diese Inhalte nicht umsetzen können“, sagte Trittin. So seien Enttäuschungen vorprogrammiert. Das Konzept der Volkspartei, so Trittins These, sei am Ende.

Natürlich konnte CDU-Mann Altmaier dem nicht zustimmen, aber auch er gab zu, dass die Volksparteien unter Druck stünden. Die Mitglieder verlangten Union- oder SPD-pur. Das mache das Regieren dann aber wieder schwieriger. Und dann gebe es ja noch – gerade bei der Sozialdemokratie – eine Funktionärsschicht, die sich von der realen Welt abgekoppelt habe. Das findet zumindest der Chefredakteur des konservativen „Cicero“, Christoph Schwennicke.

Seine Begründung: Er habe im Radio einen SPD-Funktionär gehört, der sich mit Leidenschaft dafür einsetzte, dass Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden dürfen. Das sei aber kein entscheidendens Thema für „SPD-Wähler im Mietshaus“. „Es ist auch in sozialdemokratischen Kreisen verbreitet, dass man mit Tieren anständig umgeht“, konterte Ex-Umweltminister Trittin. Man könnte auch sagen: An den Schweinen liegt’s nicht, dass die SPD in der Dauerkrise ist.

„Cicero“-Chef präsentierte sich als Mann der klaren Worte

Schwennicke präsentierte sich in der Runde als ein Mann der klaren Botschaften: Noch-CDU-Chefin Angela Merkel bezeichnete er als „grüngesinnte Kanzlerin, die sozialdemokratisch regiert und der CDU angehört“. Daher wünsche er sich Friedrich Merz als ihren Nachfolger an der Spitze der Partei. Der wirtschaftsliberale Merz könne den Markenkern der CDU herausarbeiten und so dazu beitragen, dass Union und SPD sich wieder voneinander unterscheiden.

Ist Friedrich Merz also der beste Vorsitzende, den die SPD haben kann? Andrea Nahles schmunzelte kurz, eine Antwort auf diese Frage gab sie aber nicht. „Wir müssen es aus eigener Stärke wieder schaffen, klarzumachen, wofür wir stehen“, sagte sie.

Ein vermeintlich konservativer Haudegen wie Friedrich Merz könnte aber – auch wenn die SPD-Chefin das so natürlich nicht sagte – eine zumindest willkommene Hilfe dabei sein.

Die komplette Sendung gibt es in der ARD-Mediathek.