Essen. Auch bei den Frankfurter und Kieler Ermittlerkollegen ging es zuletzt schaurig zu. Aber so schaurig, dass man als Zuschauer angstgetrieben in die Sofalehne griff? Das dann doch nicht. Beim neuen „Tatort“ aus Bremen könnte sich dies nun ändern. Die Episode „Blut“ ist wohl das, was man einen Gruselschocker nennt.
Und zwar nicht nur im übertragenen Sinn oder deswegen, weil die schwer gestörte Nora Harding (grandios: Lilith Stangenberg) eine der kaputtesten Täterinnen in der Geschichte des Krimi-Flaggschiffes ist. Wenn die noch junge Frau auf dem Bildschirm zu sehen ist, dann ist die Mundpartie ihres so unendlich bleichen Gesichtes meist rot besudelt: Sie ist ein selbst ernannter Vampir, der sich bevorzugt vom fließenden Lebenselixier ernährt.
„Tatort“ setzt auch auf Schockeffekte
Was ist da nur los in Bremen? Erst müssen die in ihrem vorletzten Einsatz hart geprüften Kommissare Lürsen (Sabine Postel) und Stedefreund (Oliver Mommsen) die Leiche einer 21-Jährigen in Augenschein nehmen, deren Kehle völlig zerfetzt ist. Dann finden sie die Freundin der Frau, die sich in der Kanalisation versteckte – und anschließend nur noch das Wort „Vampir“ krächzen kann.
Stedefreund, der kurz nach dem abermaligen Mord am Tatort ist, wird ebenfalls angezapft: Vampire haben immer Durst. Weit aufgerissene Augen, Schreie, Panik, Todesangst: Man sieht in diesem unkonventionellen Krimi (Regie: Philip Koch, Drehbuch: Holger Joos, Philip Koch), der auf Schockeffekte aus ist, all das, was zu einem konventionellen Genrefilm gehört. Und das ist dann in erster Linie eben doch kein Krimi, sondern ein Horrorfilm.
Dabei verzichtet der Schocker nicht auf gelegentliche ironische Anspielungen. Aber ein Spiel zwischen Wahn und Realität ist er trotz des Kniffes, die vampiristische Gefahr bevorzugt auch in den Albträumen Stedefreunds zu zeigen, nur bis zu einem bestimmten Punkt.
Krimi bekommt gerade rechtzeitig dramaturgisch die Biege
Lürsen, von Postel wieder mal mütterlich dargestellt, ist die Stimme der Vernunft. „Es gibt keine Vampire“, sagt sie zum armen Stedefreund. Da ist der aber längst ziemlich fiebrig unterwegs, der Biss des Schreckensgeschöpfes ist nicht folgenlos geblieben. Stedefreund zweifelt zunehmend an seiner Wahrnehmung. Durchforstet einschlägige Literatur. Holt sich die Expertise eines Vampirkenners. Steht völlig fertig vor dem Spiegel und bekommt Nasenbluten.

Ja, die Signalfarbe Rot ist hier allgegenwärtig, auch wenn dieser grandiose „Tatort“, in dem es beinah immer dunkel ist und in dem auch der Soundtrack düster grollt, keineswegs in einen Splattermovie ausartet. Gerade rechtzeitig – Stedefreund denkt längst über den Holzpflock nach, den er der Vampirin ins Herz jagen muss, um sich selbst zu retten – bekommt der Film dramaturgisch die Biege und enthüllt das Schicksal der Frau, die die einsamste ist, die man sich vorstellen kann, und die doch eigentlich nur Gefährten sucht.
Fazit: Erneut eine „Tatort“-Episode, die die Möglichkeiten des Formats weit ausreizt. Horror muss man mögen, dann hat man Freude an diesem Thriller.
Sonntag, 28. Oktober, 20.15 Uhr, ARD: „Tatort: Blut“