Berlin. Wie tief gespalten das Land ist, lässt sich manchmal schon an kleinen Gesten erkennen. Wegen eines verspäteten Fliegers aus Berlin musste Sandra Maischberger am Mittwochabend zunächst auf drei ihrer Gäste, mit denen sie über „Chemnitz und die Folgen: Gerät der Rechtsstaat unter Druck?“ diskutieren wollte, verzichten.
Als das Trio, darunter der AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla, schließlich mit 35-minütiger Verspätung doch noch im TV-Studio eintraf und zur schon laufenden Sendung dazustieß, verweigerte die Linken-Abgeordnete Martina Renner ihrem Kollegen von der AfD den Handschlag. Die ausgestreckte Hand quittierte sie mit einem frostigen Blick.
Hitlergrüße, Jagd auf Migranten – alles halb so wild
Es ist nur ein Detail und doch zeigt es, wie vergiftet die politische Debatte ist. Nicht nur in Maischbergs Runde, auch in Sachsen, das seit den Ausschreitungen in Chemnitz mal wieder mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wird. Ein Bundesland, in dem „den Menschen halt mal der Kamm geschwollen ist“, wie der AfD-Politiker Chrupalla beschwichtigte.
Hitlergrüße, Jagd auf Migranten, Einschüchterung von Journalisten – alles halb so wild. „Es gab keine Hetzjagden und keine Zusammenrottung von Menschen“, sagte der sächsische Politiker.
Man könnte das als eine bizarre Einzelmeinung abtun. Doch die AfD könnte im nächsten Jahr bei den Landtagswahlen stärkste Partei in Sachsen werden. Und Maischbergers Runde tat sich schwer mit der Frage, warum ausgerechnet der Freistaat so anfällig ist für Rechtspopulismus.
„Es ist ein Versagen der seit 30 Jahren regierenden CDU“, sagte der Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud. Die Union habe Protest gegen Nazis in der Vergangenheit sofort als linksextremistisch diskreditiert – und das Problem von rechts negiert. Legendär der Ausspruch des früheren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der seinen Mitbürgern bescheinigte, „völlig immun“ gegenüber Rechtsextremismus zu sein.

Wurde die rechte Szene unterschätzt?
Zugeschaltet aus Dresden, wollte der CDU-Politiker dieses Zitat nicht mehr wiederholen. So sehr Sandra Maischberger sich auch bemühte, Biedenkopf vermied eine klare Stellungnahme zu den Problemen vor Ort. Auch ein Eingeständnis, dass die rechtsextreme Szene zu lange unterschätzt wurde, kam dem Unions-Mann nicht über die Lippen.
Deutlicher wurde dafür Publizist Toralf Staud, der in Chemnitz eine aktive Neonazi-Szene beobachtet, die Verbindungen zu Rockern, Hooligans und Skinheads hat. „Die wollen die Straße erobern“, sagte er. Auch in den sächsischen Behörden gebe es Einzelne, die Sympathien mit Rechtsextremisten hätten und diese mit Interna versorgten, wie der von Pegida-Gründer Lutz Bachmann verbreite Haftbefehl gegen einen der beiden mutmaßlichen Chemnitzer Messerstecher, einen 22-jährigen Iraker, zeige. Sein Fazit: „Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus“.
Welche Rolle spielt die Flüchtlingspolitik?
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki verstieg sich in einem Interview zu der These, dass Merkels Flüchtlingspolitik die Ursache für die Ausschreitungen in Chemnitz sei. „Dem widerspreche ich entschieden“, sagte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach bei Maischberger. „Es ist problematisch, bestimmte Ereignisse einer Person zuzuordnen“.
Was aber richtig sei: die Flüchtlingspolitik habe das Land gespalten. Und damit war die Runde bei dem Thema, das Deutschland seit 2015 nicht mehr loszulassen scheint. Christoph Schwennicke, Chefredakteur des konservativen „Cicero“, sagte, dass die Debatte nicht nur über die Ausschreitungen geführt werden dürfe. Auch die Ursache, der Messermord, müsse thematisiert werden. Die Debatte dürfe nicht der AfD überlassen werden.
Deren Vertreter Tino Chrupalla zürnte, dass sich 700.000 Migranten trotz Ausreisepflicht im Land aufhielten. Daher rühre der Frust der Bevölkerung. Die Flüchtlingspolitik habe sich seit 2015 nicht geändert. „Das ist grober Unfug“, gab CDU-Innenpolitiker Bosbach zurück und verwies auf die geschlossene Balkan-Route und das Abkommen mit der Türkei. Und außerdem: Ein großer Teil der von Chrupalla angesprochenen 700.000 Menschen habe eine Duldung. „Die AfD sagt die Unwahrheit, weil sie weiß, mit der Wahrheit keine Stimmen zu bekommen“, so der ehemalige Bundestagsabgeordnete.
Es wirkte nicht so, als hätte Chrupalla eine Antwort darauf.
Hier können Sie die Sendung noch einmal anschauen.
