München/Berlin. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn die ARD nicht nur drei Herren auf dem Podium gehabt hätte. Immerhin wurde über „Sexismus in deutschen TV-Produktionen“ diskutiert. Noch besser wäre es gewesen, wenn der Programmdirektor des Ersten, Volker Herres, sich von Anfang an auf sein Publikum konzentriert hätte und nicht minutenlang mit seinem Telefon beschäftigt hätte. Aber die gute Nachricht ist, dass sich die ARD den Vorwürfen stellen und nun einen „Kulturwandel“ in der Film-Produktion herbeiführen will.
Am Mittwoch hatten Herres und der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm nach einer Intendantensitzung zur Pressekonferenz nach München geladen, um zu verkünden, wie der Senderverbund den Kampf gegen sexuelle Übergriffe vorantreiben möchte. Nötig geworden war das, nachdem mehrere Frauen dem Regisseur Dieter Wedel vorgeworfen hatten, sie sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt zu haben. Die Schauspielerin Esther Gemsch, die für die vom Saarländischen Rundfunk (SR) produzierte Serie „Bretter, die die Welt bedeuten“ engagiert worden war, hatte in der „Zeit“ einen Vergewaltigungsversuch Wedels von 1980 geschildert.
ARD fordert Opfer von sexueller Gewalt auf, sich zu melden
Auch wurde bekannt, dass eine weitere Schauspielerin körperlich so zugerichtet worden sei, dass sie für den Dreh ersetzt werden musste. Wedel wies die Anschuldigungen zurück.Wilhelm und Herres versicherten zunächst, dass sämtliche ARD-Anstalten derzeit ihre Archive nach Hinweisen auf Übergriffe bei Produktionen mit Wedel durchforsten. „Wir reden auch mit Produktionsfirmen und sagen denen: ‚Schaut hin, was da passiert!‘“ Bisher sei jenseits des Ereignis beim SR nichts aufgefallen. Wilhelm forderte die Opfer auf, sich bei ihm zu melden.

„Wir müssen schließlich 40 Jahre zurückblicken“, sagte Herres, „da sollten wir schon genau wissen, wonach wir suchen.“ Nach Angaben Wilhelms ist die Archivsuche voraussichtlich in einigen Wochen abgeschlossen. Doch schon vorher sollen eine Vielzahl von Initiativen starten, um für den erwähnten Kulturwandel zu sorgen. Wilhelm sprach von Ombudsmännern, Gleichstellungsbeauftragten und Managerseminaren, die für das Thema Machtmissbrauch sensibilisieren sollen.
Verhaltenskodex bei Castings für TV-Rollen soll eingeführt werden
Außerdem unterstützt Wilhelm die Idee, eine „überbetriebliche, unabhängige Beschwerdestelle in der Medien- und Kulturbranche“ einzurichten. „Wir wollen uns da einbringen“, sagte er in München und nahm auch die anderen Sender in die Pflicht. „Ich habe auch die Erwartung, dass das fürs ZDF, für RTL, ProSiebenSat.1 auch gelten würde.“ Obwohl es ein gesamtgesellschaftliches Thema sei, gebe es, so Wilhelm weiter, im Film Strukturen, in denen ein gewisses Machtgefälle ein „Gefahrenpotenzial“ darstelle. Deshalb wollen die Intendanten zum Beispiel für Situationen wie Castings für TV-Rollen einen Verhaltenskodex einführen.
Interessant wurde es noch einmal, als Herres der Filmbranche unterstellte, „potenziell anfälliger“ zu sein. Etwas ungelenk formulierte er es so: „Es ist eine kreative Szene, und dort findet sich gelegentlich eine Anhäufung von Menschen mit besonderer Persönlichkeitsstruktur.“