ARD-Krimi

Wiener „Tatort“ wollte überraschen, scheiterte aber kläglich

| Lesedauer: 5 Minuten
Christine Holthoff
Wie Jesus ans Kreuz genagelt: Sehen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) hier ein religiöses Opferritual?

Wie Jesus ans Kreuz genagelt: Sehen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) hier ein religiöses Opferritual?

Foto: Hubert Mican / ARD Degeto/ORF/E&A Film

Der „Tatort“ aus Wien war als Verwirrspiel voller überraschender Wendungen angekündigt. Doch er war vor allem: ziemlich vorhersehbar.

Berlin.  Der neue Fall von Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) begann spektakulär: Eine Immobilienmaklerin entdeckt die Leiche eines Mannes während einer Wohnungsbesichtigung – oberkörperfrei an die Wand genagelt, im Schwarzlicht ist ein orthodoxes Kreuz zu erkennen.

Die Ermittler scheinen es in diesem „Tatort“ aus Wien mit einem äußerst kaltblütigen Serienmörder zu tun zu haben. Denn schnell tauchen zwei weitere Leichen auf, die ähnlich schockierend inszeniert werden. Ritualmorde? Sexualdelikte? Oder doch etwas ganz anderes?

Der „Tatort“ versuchte sich an einigen Wendungen, wollte die Zuschauer überraschen. Doch viel Spannungspotenzial verschenkte er leichtfertig. Auch als der Mörder am Ende seine Maske abnahm, dürften sich nur noch die wenigsten gewundert haben.

• Die „Überraschungen“

Von Ritualmord zu Sexualdelikt bis Geheimdienst-Killerkommando – Fellner und Eisner müssen ihre Ermittlungen immer wieder neu justieren. Leider ist dem Zuschauer sofort klar, dass es sich bei Opfer Nummer drei um eine Verwechslung handelt. Fellner und Eisner beim Rätselraten darüber zuzuschauen, ist deshalb alles andere als spannend.

Die entlarvenden Szenen, wie etwa jene, in der Diabetikerin Nataliya Lomatschenka (Larissa Fuchs) ihren Blutzuckerspiegel misst und damit klar werden soll, dass sie eigentlich hätte sterben sollen, sind schlicht überflüssig: Der Zuschauer weiß längst, dass der Killer sie mit ihrer Mitbewohnerin vertauscht hat.

Auch die Identität des Mörders ist nicht besonders schwer herauszufinden. Der Experte für Revolutionen, Professor Nenad Ljubic, hat sich nicht nur durch eine Falschaussage verdächtig gemacht, auch sein Alibi ist dünn.

Außerdem haben Fellner und Eisner herausbekommen, dass die drei Opfer ein Buch über ihre Rollen und die der CIA bei den Revolutionen in Serbien, Georgien und der Ukraine herausbringen wollten. Der Verleger lehnte aber ab, weil ihm Informationen aus erster Hand fehlten. Von der Schlüsselfigur, einem gewissen „Nicola“. Und wer, wenn nicht die einzige andere osteuropäische Figur im Krimi sollte das wohl sein? Eben.

• Das Motiv

Ein Klassiker. Die Angst, seine hart erarbeitete Existenz zu verlieren. „Was ich gemacht habe, ist Hochverrat“, sagt Ljubic alias Nicola im Showdown mit der überlebenden Nataliya. „Wenn das rauskommt, verliere ich alles und gehe für immer ins Gefängnis.“ Auch das: nicht sonderlich überraschend.

• Die Symbolik des Mörders

Ljubic versucht, die Ermittler mit seinen auffällig inszenierten Leichen in die Irre zu führen. Profilerin Henriette Cerwenka (Erika Mottl) erklärt, was die Szenen zu bedeuten haben. Immerhin das ist interessant.

Das erste Opfer, der Serbe Dusan Savic, wird nach seinem Tod gekreuzigt. So weit, so leicht zu interpretieren: Jesus. Beim zweiten Opfer, dem georgischen Hilfsarbeiter Davit Nosadse, ist es schon weniger offensichtlich. Er hängt am Strick, vor ihm eine Schüssel mit Maria-Theresien-Talern. „Judas, der Jesus für 30 Silberlinge verraten hat“, weiß Cerwenka. Und schließlich die tote junge Mutter, vom Täter über den Bug eines Schiffes gelegt. Judas sei auf dem Meer ausgesetzt worden, „das könnte das Schiff bedeuten“.

• Die Symbolik der Opfer

Darüber was die Opfer an und auf ihrem Körper tragen, kommt Eisner schließlich auf ihre Verbindung – die Teilnahme an Revolutionen in Osteuropa. Das orangefarbene Tuch von Natalyia ist ein Hinweis auf die Proteste und Demonstrationen 2004 in der Ukraine, auch Orange Revolution genannt. Die schwarze Faust, die Dusan sich hat tätowieren lassen, steht für Otpor, die Studentenbewegung, die Serbiens Diktator Slobodan Milosevic gestürzt hat. Und schließlich Davits Kette, deren Rückseite eine Rose ziert – Symbol für die Rosenrevolution 2003 in Georgien.

• Bester Spruch

Kommt von Fellner. Es soll eine zweite Mordkommission gegründet werden, der Chefposten ist noch vakant. Auch der wenig geliebte Kollege Clemens Steinwendtner (Dominik Maringer) will sich bewerben. Fellners Kommentar dazu: „Er erfüllt alle Kriterien von einer Polizeikarriere: keine Ahnung, keine Skrupel, keine Titten.“

• Derbster Spruch

Kommt ebenfalls von Fellner. Der Gerichtsmediziner hat gerade mitgeteilt, dass das gekreuzigte Opfer penetriert worden war, aber keine DNA an der Leiche zu finden sei. Darauf Fellner: „Da hat jemand gewusst, wie man spurenfrei nagelt.“

• Die einzige Überraschung

Auch Fellner entscheidet sich schließlich für eine Bewerbung um den Chefposten der neuen Abteilung. Kollege Eisner hat zuvor noch versucht, sie davon abzubringen, weil er sie nicht als Partnerin verlieren will. Hätte das Ministerium den Plan einer zweiten Mordkommission nicht wieder verworfen, wäre Fellner die erste Wahl gewesen, versichert BKA-Chef Ernst Rauter: „Moritz hat sich mächtig für dich ins Zeug gelegt.“