Theater in Berlin

Wenn Theater-Bühnen auf Reisen gehen

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Ulrike Borowczyk

Foto: epa Abedin Taherkenareh / pa / dpa

Gastspiele im Ausland schaffen nicht nur Anerkennung. Sie sind für die Bühnen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Und nicht selten bringen sie alle Beteiligten an den Rand der Belastbarkeit.

Für überbordende Gefühlsbekundungen sind Japaner nicht gerade bekannt. Auch nicht im Theater. Das Publikum bezeugt sein Wohlgefallen an einer Vorstellung durchs Zuhören und Dableiben. Danach gibt es lediglich knapp 30 Sekunden Applaus, während sich die Schauspieler mit kurzem Kopfnicken Richtung Dusche verabschieden. „Vierminütiger Beifall wie bei unserem Gastspiel in Shizuoka kommt dort fast einer Ausschreitung gleich“, sagt Rolf Krieg, zuständig für Gastspiele und internationale Tourneen an der Volksbühne. Ein wenig Stolz schwingt dabei mit. Dass Herbert Fritschs Erfolgsinszenierung „Die (s)panische Fliege“ Anfang Juni in Japan begeisterte, war nicht unbedingt absehbar, ist das dortige Theaterverständnis doch ein ganz anderes.

Um Gastspiele bis ins kleinste Detail generalstabsmäßig vorzubereiten, beschäftigen die meisten Theater mittlerweile künstlerische Produktionsleiter wie Rolf Krieg. Er weiß: „Die Dimensionen großer Tourneen sind finanziell, logistisch und personell gigantisch.“ Natürlich geht es dabei stets um den Austausch der Kulturen, die Ehre, zu einem namhaften Festival eingeladen zu werden und um die Erfahrung, ein Stück vor einem fremdsprachigen Publikum zu spielen. Aber die Gastspiele sind auch ein Wirtschaftsfaktor. Die Schaubühne erzielt damit höhere Einnahmen als mit dem normalen Spielbetrieb, in den die Gelder letztlich wieder fließen. Dennoch müssen zuweilen verlockende Einladungen ausgeschlagen werden, um ausreichende Ressourcen für ein attraktives Programm im eigenen Haus zu haben.

Hamlet in Ramallah

Manche Gastspiele stechen dabei ganz schon durch das Ziel der Reise hervor. Wie die Aufführung von Thomas Ostermeiers „Hamlet“ in Ramallah im letzten Jahr. Ein künstlerisches Abenteuer: Weil es weder Geld für den Transport des Bühnenbildes gab, noch ein geeignetes Theater dafür, wurde ein reduziertes Bühnenbild mit einfachsten Mitteln vor Ort gebaut. „Der Effekt war der gleiche“, erzählt Tobias Veit, stellvertretender Direktor der Schaubühne: „Mit der Inszenierung haben wir unglaubliche Resonanzräume in der palästinensischen Gesellschaft aufgemacht und stark in die Realität hineingewirkt. Die Zuschauer wussten um die Anstrengung des Gastspiels. Es hat ihnen unendlich viel bedeutet. Für uns alle ein einmaliges Erlebnis.“ Es sind die positiven Begegnungen und Impulse dieser Art für Veit, die alle Widrigkeiten schnell vergessen lassen und Gastspiele trotz immenser Herausforderungen immer wieder zu einem absoluten Gewinn machen.

Darüber hinaus weiß er: „Hierzulande wird oft gar nicht wahrgenommen, wie sehr sich das Ausland für deutsches Theater interessiert.“ Für ihn sind Tourneen Impulsgeber für Gastgeber und Gäste zugleich. Er sieht die Internationalisierung und globale Vernetzung der Theater stetig voranschreiten. Ein Trend, für den auch die Zahlen sprechen: Waren es 2011 noch 86 Vorstellungen mit elf Produktionen weltweit, so gastierte die Schaubühne 2012 bereits mit 106 Vorstellungen im Ausland. Kein anderes Berliner Theater ist so viel unterwegs.

Künstler und Moralapostel

Dass Gastspiele ein Ensemble an der Rand der Belastbarkeit bringen können, zeigen zwei Iran-Reisen des Berliner Ensembles mit Inszenierungen von Claus Peymann. Die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni berichtet eindrucksvoll davon in ihrer Autobiografie. 2002 gastierte das Ensemble mit „Richard II.“ in Teheran, noch unter dem als liberal geltenden Präsidenten Chatami. Um den Moralvorstellungen zu entsprechen, durften die Frauen auf der Bühne keine Haut zeigen. Auch Berührungen zwischen Frauen und Männern waren tabu. Beim zweiten Gastspiel „Mutter Courage“ 2008, diesmal unter Hardliner Ahmadinedschad, waren die Bedingungen fast unerträglich: Ob im Hotel oder im Theater, überall wachten Moralpolizisten streng über das Ensemble. Dennoch setzten die Schauspieler ein politisches Zeichen.

Hoher technischer Aufwand

Besonders hoch ist der Aufwand auf Gastspielreisen für Musiktheater wie die Deutsche Oper Berlin. Um mit seinem „Don Giovanni“ die gleiche hypnotische Wirkung wie im Haus an der Bismarckstraße erzielen zu können, griff Regisseur Roland Schwab 2012 beim Freiluft-Festival im spanischen Peralada in die Trickkiste: Die nicht vorhandene Bühnentiefe wurde mit der Beleuchtung kompensiert, technische Finessen abgeändert. So exerzierten Don Giovannis Seelen der Verdammnis ihren Höllentrip nicht auf Hubpodien, sondern wurden über einem apokalyptisch brennenden Boden per Seil in den Bühnenhimmel befördert.

Vom Berliner Publikum war Schwab heftige Reaktionen gewohnt. Hier hörte er nur das Klappern der Störche, die rund um die Zuschauertribüne nisteten. Dann, nach drei Stunden völligen Schweigens, erfolgte der Schlussapplaus mit lautem Jubel und Fußgetrampel.