Ursula Meier legt in ihrem düsteren Drama „La ligne“ sprichwörtlich einen Kreis um eine auseinanderbrechende Familie. Ein Grenzgang.

Dieser Film ist wie ein Schlag ins Gesicht. Unvermittelt fliegen gleich zu Beginn Schallplatten, CDs und Notenblätter an die Wand, landet die Hand der enragierten Margaret (Stéphanie Blanchoud) heftig auf der Wange ihrer Mutter Christina (Valeria Bruni-Tedeschi), deren Kopf wirkungsvoll aufs Klavier knallt. Alles in Zeitlupe, dazu ertönt Bach, später Schubert, Beethoven.

Tiefe Wunden auf dem Körper

Ja, die Kunst tut weh in diesem Film, und sie ist Schuld, dass da eine Familie gerade auseinanderbricht, im idyllischen Wallis, wo sich die Kälte nicht nur im schmutzigen Schnee auf den Boden legt. Hier wird Margaretes zwölfjährige Schwester Marion (beeindruckend: Elli Spagnolo) alsbald mit hellblauer Farbe einen Kreis um das Haus malen, in einem Durchmesser von 100 Metern, denn das ist die Distanz, der sich Margaret nach ihrem Ausraster auf Anordnung eines Richters ihrer Mutter nicht mehr nähern darf.

Für drei Monate, was sie aber nicht daran hindert, ihrer kleinen Schwester Gesangsunterricht zu geben – genau an der blauen Linie, an der unwirtlichen Straße mit ihren knatternden Lkws. Denn Marion soll ihr musisches Talent nicht verschleudern, so wie Margaret selbst und Mama Christina einst, die ihre Karriere als Pianistin nach der Geburt von Margaret hatte aufgeben müssen – was tiefe Wunden hinterlassen hat.

Hinter der Glasscheibe des Wohnzimmers und auf dem Körper von Margaret, die sich als stets Gezeichnete mit Narben, Blut und Kratzern durch diesen Film quält und die Nähe nach jener Familie sucht, deren Seelen sie zerstört hat.

Ein paar absurde Momente

Kühl konstruiert Regisseurin Ursula Meier in „La ligne“ hier sprichwörtlich die Grenzen, in denen sich, jawohl, ein Familienkreis entwickelt. Gewaltausbrüche wechseln sich mit anrührenden Szenen ab; großes Drama, von der starken Stéphanie Blanchoud mit großer Körperlichkeit gespielt, mit plötzlich auftretender Komik, wenn eine hier stets zum Drama neigende Valeria Bruni-Tedeschi ihrer völlig überforderten Mutter-Figur ein paar absurde Momente gönnt.

Das sorgt für einige große schauspielerische Momente, aber der Film ist mit seiner abgezirkelten Dramaturgie, seiner bemühten Spiegelung der Seelenlandschaften in ungemütlicher Winterlandschaft und seiner Liebe zu ungewöhnlichen Bildern zu verkopft, als dass er irgendwie berühren könnte. Der Schlag ins Gesicht kommt nicht an.