Die zweite große Überraschung in Pablo Traperos Film (zur ersten, ungeheuerlichen kommen wir gleich): Kleinkinder haben es in dem Gefängnis, in dem "Löwenkäfig" gedreht wurde, gar nicht so schlecht.
Sie erleben eine Kindheit mit vielen Spielkameraden und souverän gestressten Müttern, ähnlich wie die Kleinen am Berliner Kollwitzplatz. In der Knast-Abteilung für Schwangere und Mütter bekommt man von der Welt da draußen zwar noch weniger mit. Doch Julia (Martina Gusmann) und die anderen arrangieren sich in dem Mikrokosmos.
Der Kampf um Freiheit hat in Julias Fall mit einer rätselhaften Schuld zu tun, einem Exzess. Und das ist die erste große Überraschung, mit der dieser Film beginnt und die den vermeintlichen Sozialrealismus des Films überschreitet: Als Julia, eine Studentin mit Angelina-Jolie-Gesicht, in ihrer Wohnung erwacht, glaubt man sich fast in der Albtraumwelt von David Lynch: Der Rücken der jungen Frau ist wie von einer großen Raubtierpranke zerkratzt. Zwei leblose Männerkörper - ihre Liebhaber? - liegen ähnlich geschunden in der Wohnung. Einer von beiden ist tot, und Julia ist schwanger.
Weder ist klar, wer der Vater ist, noch ob Julia gemordet hat. Doch genügen offenbar die Indizien, um sie wegen Mordes zu verhaften. Verwirrenderweise legt der argentinische Regisseur mit der Krimifrage "Wer war's?" einen Köder aus, der nach und nach an Bedeutung verliert. Stattdessen wird nun das Gefängnis zum Labor, in dem geboren, gestritten und gekämpft wird.
Dass sich der Film damit dem Genre des Frauenknast-Films nähert, wird nur in ganz wenigen Momenten zum Problem. Da wird das Weib natürlich ein bisschen zum Tier, gibt es ein paar lesbische Zärtlichkeiten und Solidarität. Aber Trapero konzentriert sich lieber auf die Spannung zwischen den Körpern und den Räumen, in denen die meist verschlossene, oft explodierende Julia gefangen ist. Lauerte die Bedrohung anfangs in der eigenen Wohnung, dann im Innenraum des Babybauchs, den sie mit Fäusten traktiert, so wandelt sich das Bild im Gefängnis radikal. Ihr stets von Wachleuten gebändigter Gang durch endlose Flure wird immer kraftvoller, Sohn Tomás erfüllt sie mit Glück. Gefahr droht jetzt von außen, denn Julias Mutter Sofía (Elli Medeiros) will das Kind zu sich nehmen.
Wie schon in "Reisen auf argentinisch" (2006) ist Traperos humanistisches Thema die Grenze. Doch im Unterschied zur Komödie über eine Großfamilie geht "Löwenkäfig" einen Schritt weiter. Kämpft Julia auf ihrem Weg vom Gewalt- über den Mutterschafts-Exzess vielleicht um ein generelles Recht, vorgegebene Linien zu überschreiten? Da öffnet Trapero am Ende den Raum noch einmal, mit einem Bild statt einer Antwort, und diesmal wie aus einem besseren Traum.