2021 flutete Corona über den Jangtse direkt ins Forum-Programm. In ihrem Film-Essay „A River runs, turns, erases, replaces“ hatte Shangze Zhu aus ihrer Heimatstadt Wuhan kommentarlos Postkartenbilder vom Ursprungsort der Pandemie gezeigt, mit leeren Straßen und einem rücksichtlosen Fluss, der so tat, als sei nichts geschehen.
Dabei war die Wirklichkeit gerade aus den Fugen geraten, und die Filmemacher im Forum versuchten, neue Erzählformen für diese neue Situation zu finden.
Im Forum-Jahrgang 2022 haben sich die Regisseure nun in der Pandemie eingerichtet. Diese hat zwar viele Drehpläne der gut 40 Beiträge durcheinandergebracht, aber auch andererseits das Drehbuch mitbestimmt. Und viele Filme, ob sie sich offen mit dem Lockdown beschäftigen oder nur metaphorisch – scheinen dabei aus der Zeit gefallen.
Reise nach Myanmar
„Jet Lag“, wieder ein Essay einer Chinesin, zeigt dabei etwa in Tagebuchform den Verlust von Zeit, wenn die junge Regisseurin Zheng Lu Xinyuan in klaren Schwarzweißbildern ihre Reise von Graz nach Hangzhou beschreibt. Von Quarantänehotel zu Quarantänehotel, mit Menschen in Schutzanzügen auf dem Flur und sich selbst nackt mit ihrer Freundin im Hotelbett, gekippter Kamera beim Gang über eine menschenleere Straße und Erinnerungen an ein Familienfest in Myanmar – da noch ohne Maske, aber mit der Gewissheit, dass es auf der Welt noch andere Kriege gibt als den gegen Corona.
So schneit die schnöde Realität stets hinein in diese virusgemachte Zeitschleife – und umgekehrt. In der Dokumentation „Für die Vielen – Die Arbeiterkammer Wien“ von Constantin Wulff leeren sich nach einer Stunde gespenstisch die Flure einer sozialen Einrichtung, die den Schwachen helfen will, aber jetzt selbst Hilfe benötigt.
In dem argentinischen Beitrag „La edad media“ berichten Alejo Moguillansky und Luciana Acuna live aus dem Lockdown, erzählt aus Sicht ihrer Tochter Cleo und deren Langeweile, die diese auf ihre kreative Weise nutzt. Langeweile als Filmthema – das ist nur im Lockdown möglich.
Ein Todkranker in einer Bar
Noch spannender sind die Filme, die man als metaphorische Sicht auf zwei Jahre Stillstand und ihre Auswirkungen lesen kann. Wenn in der thailändischen Dokumentation „Scala“ über den Abriss eines alten Filmtheaters nur noch die Wände stehen bleiben, kann man sich schon fragen, was vom klassischen Kinobesuch übrig geblieben ist, wenn man pandemiebedingt auf dem eigenen Sofa die Kinobilder über Streamingdienste zu schätzen gelernt hat.
Vielleicht mag es aber auch manchem so gehen wie dem Mann im Einakter „Une fleur à la bouche“, den Luigi Pirandello unter dem Eindruck der Spanischen Grippe 1923 geschrieben hat. In einer Bar erzählt ein Todkranker einem schweigsamen Gast, wie sehr er alle Momente – von der Geste einer Verkäuferin bis zum Lächeln des Barmanns – angesichts seiner verrinnenden Lebenszeit auskostet.
Nackte Menschen im Stechlinsee
Regisseur Eric Baudelaire hat daraus ein Hybrid aus Drama und Dokumentation gezaubert, in dem er die Barszene mit Beobachtungen aus einem Blumengroßmarkt konfrontiert - als Kommentar unseres Umgangs mit der Natur.
Vor der hat der bosnische Experimentalfilmer Dane Komljen den allergrößten Respekt. In „Afterwater“, dem schönsten Forums-Film, tauchen junge nackte Menschen im Stechlinsee unter, streicheln Farn und Moos und lassen zeitvergessen Pandemie einfach Pandemie sein. Und der See ruht mit ihnen. Traumhaft!