Bei den Filmfestspielen in Cannes wird regelmäßig ein Preis für den überzeugendsten Auftritt eines Hundes verliehen. Ich wusste das nicht, bis gestern. Da geschah nämlich etwas, was sonst in deutschen Kinos eine Seltenheit ist, bei der Berlinale aber eigentlich die Regel: Ich kam mit dem mir völlig unbekannten Menschen neben mir ins Gespräch.
Eigentlich wollte ich gar nicht reden, weil es schon spät war und ich meine Kräfte schonen wollte, um später nicht einzuschlafen. Also spielte ich Schach auf meinem Handy. Das fand die Frau neben mir offenbar interessant (dass jemand außer mir Schach interessant findet, erlebe ich auch nicht so oft). Sie sprach mich an und entpuppte sich als in Großbritannien lebende Italienerin namens Rita, sie schreibt dort als Filmkritikerin für verschiedene Zeitungen.
Sie stellte mir ihren besten Freund Toby vor, von dem sie stolz berichtete, er sei der Erfinder des „Palm Dog Awards“, der sich namentlich an die „Palme d’Or“, also die Goldene Palme von Cannes anlehnt und dort seit 2001 für die beste Hundeperformance vergeben wird. Im vergangenen Jahr ging der Preis an den weißen Pudel Einstein, der in Noah Baumbachs Tragikomödie „The Meyerowitz Stories“ eindringlich, aber ohne falsches Pathos das Drama emotionaler Zurückweisung verkörpert.

Hunde sind gerade ein Riesenthema
Eigentlich schade, dass es so etwas bei der Berlinale nicht gibt. Gerade in diesem Jahr hätte es sich ja angeboten. Sie hat ja schon mit einem Hundefilm begonnen. Und außerhalb des Kinos dreht sich sowieso alles gerade um den Hund, weil erstens am 18. Januar das chinesische Jahr des Hundes begonnen hat und es zweitens einer großen Boulevardzeitung gelungen ist, einen Hund als Mitglied bei der SPD anzumelden. Es ist zwar nicht ganz klar, wie dieser Hund nun an der umstrittenen Mitgliederentscheidung zur großen Koalition teilnehmen soll. Aber das ändert nichts daran, dass Hunde gerade ein Riesenthema sind. In Berlin mit seiner speziellen Beziehung zu Hunden sowieso.
Rita bestand darauf, sich meine Kontaktdaten zu notieren, aber das war nicht mehr möglich, weil das Licht ausging und der Film begann. Es war ein Film von Steven Soderbergh mit dem Titel „Unsane“, er läuft im Wettbewerb außer Konkurrenz . Obwohl es in diesem Thriller eigentlich keine lustigen Stellen gab, musste ich dauernd lachen. Das lag daran, dass Rita neben mir schon während des Vorspanns eingeschlafen war und immer dann, wenn es im Film besonders brutal oder beängstigend zugehen sollte, auf die entzückendste Weise sanft aufschnarchte.
Ein Killer springt aus dem Schatten – schnarch.
Normalerweise bin ich kein Freund des Schnarchens, aber der Film war so schlecht, dass sich Ritas Geräusche wie ein Live-Kommentar dazu anhörten. Ich musste an die Fernsehsprecher denken, die gerade bei Olympia immer solche Sportarten wie Buckelpistenski oder Eiskunstlauf in Echtzeit bewerten. Ritas Urteile waren vernichtend. Unheimliche Musik dräut aus dem Off – ratzepüh. Ein Killer springt aus dem Schatten – schnarch.
Als nach 98 endlosen Minuten der Abspann lief, wachte Rita wieder auf und fragte, ob sie mich gestört habe. Nein, antwortete ich, ich habe gar nichts gehört. Sie hat sich, schreibt sie mir gerade, den Film heute dann noch einmal angesehen. Mein Neid darauf hält sich in Grenzen.