Noch einen Tag! Am Donnerstag beginnt die Berlinale. Dann wird wieder eine ganze Stadt vom Filmfieber angesteckt. Schon jetzt sind die Tickets für die ersten Tage heiß umkämpft, stehen die Leute stundenlang in der Schlange vor den Kassenhäuschen. 409 Filme laufen in diesem Jahr im offiziellen Programm. Das sind noch einmal sechs mehr als im Rekordjahr 2013, das macht im Schnitt 37,1 Filme pro Tag.
Da fragt man sich natürlich: In welchen Film soll man gehen? Wann lohnt sich das Schlangestehen? Unser Filmredakteur Peter Zander hat schon mal eine Vorauswahl getroffen. Das ist natürlich eine völlig subjektive Wahl. Es gibt Filme, die sollte, die darf man auf keinen Fall verpassen. Der neue Clooney, der neue Lars von Trier – darauf kommt jeder. Aber auch andere Beiträge sollten im Dickicht der zahllosen Sparten und Sektionen nicht untergehen. Eine kleine Empfehlung in 16 Titeln.
Für Nostalgiker
Monuments Men (Wettbewerb – Außer Konkurrenz) Mit Waffen können sie nicht umgehen, Kunst ist ihr Geschäft. Doch diese Monuments Men werden in den USA und England rekrutiert, um die Nazis auch kulturell zu besiegen - und in den letzten Kriegstagen noch die großen Meisterwerke der Kunst zu retten, die die Deutschen aus den Museen der besetzten Länder geplündert haben. George Clooney hat so ziemlich alles in diesem Film gemacht, Produktion, Regie, Drehbuch – und er spielt auch noch mit seinen Buddys Matt Damon und Bill Murray mit. Clooney wird das hohe C der Berlinale.
American Hustle (Berlinale Special) Gleich für zehn Oscars ist diese feine Komödie nominiert. Das schaffte sonst nur „Gravity“. Und so umweht die Berlinale-Gäste Christian Bale, Bradley Cooper und Jennifer Lawrence noch eine ganz besondere Aura, wenn sie diesen Film am zweiten Berlinale-Tag vorstellen. Bale, herrlich hässlich mit der schlimmsten Perücke der Filmgeschichte, und die atemberaubende Amy Adams spielen zwei kleine Trickbetrüger, die in den siebziger Jahren von der CIA erpresst werden, um korrupte Politiker auffliegen zu lassen. Ein absurdes Marionettenspiel, bei dem man bis zuletzt nicht weiß, wer eigentlich die Fäden in der Hand hat. Das alles basiert auch noch auf einer wahren Geschichte.
Baal (Berlinale Special) Dass Rainer Werner Fassbinder noch einmal auf der Berlinale zu sehen sein würde, hätte sich auch keiner träumen lassen. Immerhin ist er vor 22 Jahren gestorben. Hier erleben wir ihn noch einmal am Anfang seiner Karriere, inszeniert von einem anderen Großen des Neuen Deutschen Films: Volker Schlöndorff. Ihre radikale Adaption von Brechts „Baal“ hat 1968 die Erben des Dichters verstimmt. Helene Weigel persönlich sorgte dafür, dass der Film nicht mehr gezeigt werden durfte. Bis jetzt. Ein zwangsweise vergessenes Werk kann so endlich wiederentdeckt werden.<txt3>
Yves Saint Laurent (Panorama) Kostümfilme nennt man Filme, die in einer anderen Epoche spielen und bei denen vor allem Szenen- und Kostümbildner gefragt sind. Es ist nur folgerichtig, wenn legendären Couturiers und Modeschöpfern auch mal eigene Filme gewidmet werden. Coco Chanel hat es 2008 gleich zu zwei Filmen gebracht. Nun gibt es auch einen über das Leben von YSL, grandios verkörpert von Pierre Niney, den man bislang nur von der Comédie française kennt. Der prächtige Bilderborgen lässt eigentlich nur eine Frage offen: Wo bleibt Catherine Deneuve?
Für Bücherfreunde
A Long Way Down (Berlinale Special) Silvester ist keine gute Zeit, um sich umzubringen. Weil das zu dem Reizdatum viele tun wollen. Und man auf dem Hochhaus, von dem man sich in aller Ruhe stürzen wollte, keine Sekunde für sich hat. Gleich vier Protagonisten treffen sich in Nick Hornbys Roman - und schließen einen Pakt, bis zum Valentinstag weiterzuleben. Quasi ein Club der aufgeschobenen Suizidanten. Schwerstmut als Ausgangspunkt einer Komödie - darauf muss man auch erst mal kommen. Hornby hat auch das Drehbuch mitverfasst. Und weil einer in diesem Quartett Ex-007 Pierce Brosnan ist und der selbst schwache Filme noch zu adeln weiß, kann es hier eigentlich gar keinen Absturz geben.
Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (Berlinale Special) Es soll ja Menschen geben, die den Bestseller von Jonas Jonasson noch nicht gelesen haben. Wie ein rüstiger Greis da aus dem Altenheim ausbüxt, zufällig ein paar Millionen klaut und nebenbei eine Geschichte erzählt, die selbst die von Forrest Gump in den Schatten stellt. Weil er von Franco und Stalin geliebt und gehasst wurde und nebenbei die Atombombe erfand. Die Schweden haben „ihren“ Buchhit mit genau dem Humor verfilmt, den schon die Vorlage so herrlich absurd machte.
The Two Faces of January (Berlinale Special) Es ist schon wieder 15 Jahre her, dass „Der talentierte Mr. Ripley“ auf der Berlinale lief. Jetzt feiert eine neue Patricia-Highsmith-Verfilmung hier Premiere, die nicht von ungefähr daran erinnert. Weil sie von Max Minghella produziert wurde, dem Sohn des kürzlich verstorbenen Anthony Minghella, der „Mr. Ripley“ inszeniert hat. Diesmal ist Viggo Mortensen ein talentierter Betrüger, der Opfer im großen Stil ausnimmt, dem aber ein kleiner Gauner in die Quere kommt. Schon wegen Kirsten Dunst und der vielen flirrenden Sommerbilder ein absolutes Muss.
Anderson (Panorama) Alice Schwarzer und André Schmitz sind nur die neuesten Belege dafür, dass man eigentlich niemandem trauen kann. Das gilt auch für Schriftsteller. Sascha Anderson war der Star vom Prenzlauer Berg, von der alternativen Ost-Berliner Literaturszene. Bis 1991 herauskam, dass er ein Informant der Stasi war, der Kollegen und Künstlerfreunde bespitzelte. 23 Jahre später fragte Filmemacherin Annekatrin Hendel ihn und Weggefährten nach den Motiven und Folgen. Keine Vergangenheitsaufarbeitung, vielmehr ein Zeitbild, das bis in die Gegenwart reicht.
Für Hartgesottene
Das finstere Tal (Berlinale Special) Deutsche Western, das geht gar nicht. Zumindest seit Pierre Brice nicht mehr durch Karl-May-Land reitet. Thomas Arslans Wettbewerbsbeitrag „Gold“ vom Vorjahr hat diese These wohl eher bestätigt. Aber nun kommt diese Verfilmung des gleichnamigen Buchbestsellers. Ein Western, der in den Alpen spielt, mit einem lonesome Cowboy (Sam Riley), der noch eine Rechnung offen hat, und lauter bösen Schurken, von Tobias Moretti bis Hans-Michael Rehberg. Das Ganze spielt in frostig-kargen Bildern, erst zum blutigen Showdown bricht die Sonne durch.
Nyphomaniac: Volume 1 (Wettbewerb – Außer Konkurrenz) Sex! Stars! Zensierte Fassung! Das schreit geradezu nach einem Aufreger. Lars van Trier, der sich zuletzt in Cannes um Kopf und Kragen redete, meldet sich mit diesem XXL-Opus über eine Nymphomanin (Charlotte Gainsbourg) zurück. Zahlreiche Stars wie Shia LaBoeuf (Foto), Willem Dafoe oder Chansonsänger Benjamin Biolay lassen die Hüllen fallen – wurden aber unter der Gürtellinie von Pornostars gedoubelt. Im Kino wird es nur eine entschärfte Version geben – die Berlinale-Gänger aber dürfen eine um 20 Minuten längere, explizitere Version sehen. Dabei ist auch eine echte Entdeckung zu machen: Stacy Martin, die die junge Gainsbourg gibt.
Kreuzgang (Wettbewerb) Armes Mädel. Die 14-jährige Maria ist eine ganz normale Pubertierende, die nur ein bisschen Musik hören will und den Schüler aus der Parallelklasse mag. Aber das ist schon zuviel für ihre ultrareligiöse Mama. Und der Pater aus dem Firmunterricht tut sein Übriges dazu bei, das Mädchen in einen regelrechten Glaubenswahn zu führen. Das alles wird auch formal streng erzählt: in 14 fast völlig starren Einstellungen, die den Stationen auf Jesu Leidensweg folgt und die Geschichte damit zu einer großen Passion macht. Ein tief verstörendes, aggressiv machendes Werk.
Das Cabinet des Dr. Caligari (Berlinale Classics) Das Böse kommt vom Jahrmarkt! Tagsüber ist der titelgebende Doktor in einer Schaubude zu sehen, nachts aber schickt er sein in Trance schwebendes Medium auf, zu morden. Robert Wienes existenzialistisches Stummfilmdrama von 1919 ist eins der großen Meisterwerke des deutschen Films. Gerade ist das Oeuvre aufwändig restauriert worden. Jetzt ist es wie neu zu sehen. Und wird auch an einem einzigartigen Ort vorgestellt: in der Philharmonie, mit Livemusik von John Zorn. Das wird eins der ganz großen Highlights des Festivals.
Für Anspruchsvolle
Die geliebten Schwestern (Wettbewerb) Die einen verehren Schiller für seine Werke und Ideale, den anderen ist er verleidet, seit sie in der Schule „Die Glocke“ auswendig lernen mussten. So aber hat man den deutschen Dichter und Denker noch nicht gesehen. Kulturregisseur Dominik Graf zeigt ihn in einer tragischen Ménage à trois mit den Lengefeld-Schwestern. Großes Gefühlskino mit Florian Stetter, Hannah Herzsprung und der Neuentdeckung Henriette Confurius. Goethe stapft bei diesem dreistündigen Werk übrigens nicht einmal durch die Weimarer Kulisse.
Grand Budapest Hotel (Wettbewerb) Wes Anderson hat ja schon immer einen sehr eigenen, sehr schrägen Humor. Den kultiviert er zur Höchstform im Eröffnungsfilm des Festivals, der in Babelsberg gedrehte „Grand Budapest Hotel“. Damit beschert Anderson der Berlinale einen großen Bahnhof für eine unglaubliche Anzahl von Stars selbst in Kurz- und Kleinstauftritten, von Tilda Swinton bis Bill Murray. Mittendrin im Geschehen: Ralph Fiennes als schmallippiger Concierge eines Hotels der Empire-Zeit, das wie die Epoche selbst nach dem Ersten Weltkrieg dem Untergang geweiht ist. Herrlich absurd und quietschbunt: Dieser Film macht einfach nur Spaß. Ein idealer Starter für elf Festivaltage.
Zeit der Kannibalen (Perspektive Deutsches Kino) Wer hat diesen Film nur in diese Kategorie gesteckt? Er hätte sich auch im Wettbewerb redlich geschlagen. Drei aalglatte Wirtschaftstypen (Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler) verhandeln weltweit über Millionendeals, ohne die Hotels je zu verlassen. Und die sehen auch immer gleich aus: schön designt, schön grau, schön öd. Was geht sie das wahre Leben da draußen an? Johannes Nabers Film lebt vor allem von urkomisch bösen Dialogen. Bis am Ende die Realität doch noch mit Wucht in die edle Hotelsuite dringt.
Cathedrals of Culture (Berlinale Special) Welch grandiose Idee: Große Stätten der Kultur lässt man einfach selber sprechen. Beziehungsweise beauftragt renommierte Filmemacher, um sie zum Sprechen zu bringen. Bei diesem 3-D-Filmprojekt über die Seelen berühmter Bauwerke haben unter anderen Wim Wenders, Robert Redford und Michael Madsen mitgewirkt. Sie zeigen uns mit unverwechselbarer Handschrift die Berliner Philharmonie, das Opernhaus in Oslo, ein Kloster für die Wissenschaft in Kaliforniens, aber auch das humanste Gefängnis der Welt im norwegischen Halden.