Man muss einfach einmal Nein sagen. Die junge Suzanne traut sich erst nicht. Beim Gelübde im Kloster kommt erst kein Widerspruch, schaut sie nur stumpf vor sich hin. Sie bebt innerlich. So viel Leid ist in diesem Blick.
Als sie nicht antwortet, wiederholt der Priester die Frage, ob sie Nonne werden will. Und endlich geht er ihr doch von den Lippen, dieser Satz: „Ich will nicht.“ Sehr leise nur, aber auch sie wiederholt die Antwort. Und sagt drei Mal Nein.
Es nutzt nichts. Suzanne kommt unter die Haube. Also nicht unter die Brauthaube wie ihre Schwestern. Sondern unter die Nonnenhaube. Noch eine Hochzeit mag der Vater nicht zahlen.
Das reicht ihr allerdings als Begründung nicht aus. Also muss man ihr die ganze Wahrheit sagen: Dass sie gar nicht die leibliche Tochter ist, sondern die verbotene Frucht eines Fehltritts der Mutter.
Die wird von Martina Gedeck gespielt und wirkt deshalb gewohnt unterkühlt. Aber da wird die ganze Dimension weiblicher Unterdrückung deutlich: Auch die Mutter leidet in ihrer Ehe und hat sich, zumindest einmal, nach Freiheit gesehnt. Vergebens. Schließlich willigt Suzanne doch ein. Um quasi für das Vergehen der Mutter zu büßen.
Kalte Füße bekommen
Als Denis Diderot ab 1760 an seinem Roman „Die Nonne“ schrieb, schien Säkularisierung noch in weiter Ferne. Das Buch war eine wahre Kampfschrift wider die Kirche. Handelt es doch von einem Mädchen, das gegen seinen Willen ins Kloster gesperrt wird, das dort unter Neid, Missgunst und offenem Hass leiden muss, das unterdrückt, bestraft, geschunden und gezüchtigt wird.
Und selbst die glückliche Fügung, in ein anderes Kloster überführt zu werden, fügt ihr nur neues Leid hinzu: Hier ist ihr im Gegenteil die Mutter Oberin mehr als zugetan, stellt sie ihr nach und legt sich nachts zu ihr ins Bett. Nicht nur, um sich die kalten Füße zu wärmen.
Alles über die 63. Berlinale lesen Sie in unserem Special.
Als das Buch 1796, zwölf Jahre nach Diderots Tod und mitten in den Revolutionsunruhen, erschien, war dies die passende Schmähschrift wider Scheinheiligkeit und Fanatismus, ein Pamphlet für die Trennung von Kirche und Staat.
Der Skandal-Klassiker ist bereits mehrfach verfilmt worden, unter anderem mustergültig von Jacques Rivette, 1966 im Cannes-Wettbewerb, mit Anna Karina in der Titelrolle und Liselotte Pulver als begehrende Mutter Oberin.
Dass man es nun erneut verfilmt wurde, verwundert nicht: In Zeiten, da die Kirche wiederholt wegen sexueller Übergriffe in die Schlagzeilen und in Erklärungsnot kommt, scheint der Plot aktueller denn je. Umso mehr verwundert, dass die Kirchenkritik dabei weitgehend ausgespart bleibt.
In deutschen Klöstern gedreht
Man muss einfach mal Nein sagen. Das hat sich offensichtlich auch der Regisseur Guillaume Nicloux gedacht. Das überrascht umso mehr, da Nicloux – 1966, im Jahr von Rivettes Film geboren – dezidiert betont, wie stark der Roman ihn in seiner rebellischen Phase beeinflusst, wie sehr er ihn fürs Leben geprägt habe.
Jahre lang habe er die Idee einer Verfilmung im Kopf gehabt, den Zugang fand er aber erst, als ihm klar wurde, dass er sich vom Kontext des Romans lösen müsse. Ergo vom kirchenkritischem Blick. „La religieuse“, der in den deutschen Klöstern Maulbronn und Bronnbach verfilmt wurde, ist also, überspitzt betont, Diderot ohne Diderot. Oder, um es mit Nicloux‘ Worten auszudrücken: weniger eine Geschichte über Gefangenschaft als vielmehr über die Freiheit.
Allgemeingültig könnte er sein. Wirken doch nur die wenigen Szenen „draußen“ wirklich historisch, mit all ihren Kostümen und Korsetten. Innerhalb der Klostermauern scheint sich dagegen nicht allzu viel geändert zu haben in 200 Jahren. Aber für eine Metapher auf heutige Parallelen ist das dann doch noch ein bisschen zu historisch. Und wenn man Zeitgemäßes über junge Frauen, die gegen Autoritäten rebellieren, darstellen möchte, bleibt schon die Frage, warum man dann überhaupt auf den alten Diderot zurückgreift.
Klaustrophobische Gefühle
Was bleibt, ist immerhin ein Drama über Gefangenschaft, übers Ein- und Aus- und Weggesperrtsein. Das ist ein kleiner roter Faden in diesem Berlinale-Jahrgang. Der bislang eindrücklichste Beitrag in dieser Hinsicht war der polnische Wettbewerbsfilm „In the Name of“, in dem es um einen – zeitgemäßen – schwulen Priester in Polen ging, Das Drama um die ins Irrenhaus abgeschobene Künstlerin „Camille Claudel 1915“ oder Jafar Panahis Reflektion über seinen eigenen Hausarrest in „Pardé“ werden noch folgen.
Das erste Gesicht von Unterdrückung und Aufbegehren aber bietet die bei uns noch gänzlich unbekannte Pauline Etienne, die nicht nur gegen Anna Karina aus dem Erfolgsfilm anspielen muss, sondern auch gegen zwei starke Schauspielerinnen an ihrer Seite: besagte Frau Gedeck als Mutter und Isabelle Huppert als Mutter Oberin.
Wettern wider Würdenträger
Etienne spielt das ergreifend mit verwundert-unschuldigem Blick. Und einer Präsenz, die viele Unstimmigkeiten, viele Vagheiten in dieser Neuverfilmung vergessen lassen. Ihr Regisseur zwängt sie dabei, selbst in Szenen, die im Park spielen, immer in künstliche Rahmen und Gitter. Da kriegt man selbst im Berlinale-Palast klaustrophobische Gefühle. Am Ende aber entlässt er seine Figur in ein vorsichtiges Happy End. Denis Diderot würde die Perücke zu Berge stehen.
Bei der Pressekonferenz zu seinem Film kritisierte der Regisseur Teile der Kirche scharf. „In Frankreich gibt es noch immer religiöse Würdenträger, die Präservative und Abtreibung verurteilen“, wetterte Nicloux. Für ihn verkörpere das „Extremismus und Einmischen eines patriarchischen Systems“. Hätte sein Film nur auch so starke Worte gefunden.
Termine Friedrichstadtpalast, 11.2., 15 Uhr, 17.2., 18.15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 11.2., 20 Uhr