Berlinale

European Film Market zeigt nächste Kino-Themen

| Lesedauer: 4 Minuten
Sören Kittel

Foto: Britta Pedersen / ZB

Auf der Berlinale geht doch vor allem um die perfekte Erzählung. Im Martin-Gropius-Bau wetteifern die besten Erzähler um Aufmerksamkeit.

Die Koreanerin Kim Yunjeong steht inmitten von Lärm, aber lächelt irritierend freundlich, als sie von der Vergewaltigung erzählt. „Jang-mi ist vor zehn Jahren vergewaltigt worden von vier Jungen, die gerade einmal 18 Jahre alt waren“, sagt sie. „Einer von ihnen, Sung-gong, wollte es gar nicht, seine Freunde zwangen ihn.“

Sie stoppt, weil sie weiß, dass es nicht logisch klingt. Der Film, sagt sie, erkläre das sehr gut. „Eines Tages, zehn Jahre später, trifft Sung-gong zufällig in Seoul auf Jang-mi und sie verlieben sich.“ Erst dann finde Sung-gong die Kraft sich bei seinen drei früheren „Freunden“ für ihre Tat zu rächen.

Das erklärt also das blutige Plakat zum Film „Fatal“, dass am koreanischen Stand hängt. Es ist der Film, den Kim Yunjeong dreimal angeschaut hat, um ihn so schnell zu erklären. Den Wettbewerbsbeitrag „Nobody’s Daughter Haewon“ hat sie zehnmal gesehen. „Ich verstehe nicht, warum an manchen Ständen die Kollegen nur die Filmplakate kennen.“

Die Koreanerin ist Profi, beim „Pitchen“, denn so heißt das Verfahren hier im European Film Market (EFM). Die Besucher haben wenig Zeit und wollen viele Filme kennen lernen. Dieses Zusammenfassen, das „Pitchen“ beherrschen im Martin-Gropius-Bau viele, man muss sie nur fragen.

Wahre Berliner Geschichten

Gleich im Erdgeschoss schreien die Plakate Geschichten von den Wänden – verfehlen aber dabei oft das Ziel: zu interessieren. Wer will schon einen Film sehen, dessen Werbespruch lautet: „Liebe ist der Weg einer Frau zu ihrem Schicksal“. Das zumindest steht auf einem Plakat zum Film „Where I belong“ und niemand weiß, dass es darin um Migranten aus Österreich im London der 50er-Jahre geht.

Oder: „Ein Tropfen Schnaps wird Dich nicht umbringen“, so lautet die Zeile zu „Gloriously Wasted“ – eine finnische (ja, genau) „Säuferkomödie“ über den Arbeiterstadtteil Kallio in Helsinki. Wer mehr wissen will, muss die Menschen vor den Plakaten fragen.

Im ersten Stock, gleich bei der Treppe, steht jeden Tag Frédéric Gentet, ein 30 Jahre alter Pariser von der Firma „Reel Suspects“, der von den Filmen in seinem Repertoire einen aussucht, der von Berlin handelt: „Bei ‚Lose your head‘ geht es um den Spanier Luis, der hier herkommt, um zu feiern und im Untergrund auf gefährliche Freunde trifft.“

Das erinnert an die wahre Geschichte des Portugiesen Afonso Freire, der im März 2009 tot in der Spree gefunden wurde. „Im Film ist es ein Grieche, der gleich zu Beginn vermisst wird“, sagt Frédéric Gentet, „aber Luis, der Spanier, sieht im sehr ähnlich.“ Mehr will er nicht verraten, und einen Kaffee braucht er auch – die Premieren-Party zum Party-Film ging sehr lang.

Das Ende ist noch offen

So kann man von Stand zu Stand gehen. Jeder der Film-Promoter weiß sofort einen Film, den er oder sie in drei Sätzen zusammenfassen kann. Aus Israel kommt auf der Berlinale der Film „State 194“, eine Dokumentation über die Gründung des palästinensischen Staates. Promoter Vadim Dumesh: „Der Filmemacher hatte Zugang zu höchsten Kreisen Israels, das ist unvorstellbar gut.“ Aus Schweden folgt bald das „optimistisches Drama“ mit dem Titel „Hotel“, so sagt Victoire Thevenin, „über eine Frau, die ein Trauma überwinden muss und deshalb mit anderen Traumatisierten von Hotel zu Hotel zieht.“

Irgendwann wird klar, es ist nur deswegen so laut im Martin-Gropius-Bau, weil hier in diesen Tagen Tausende Geschichten gleichzeitig „gepitcht“ werden, damit der Zuhörer sich 90 Minuten Zeit nimmt, um sie anzuschauen.

Der Iraner Kamyar Mohsenin ist eher ein leiser Typ. Er zeigt auf das am wenigsten bunte Plakat an seiner Wand: „Everything for Sale“. „Es geht um einen Mann, dessen Bruder das Augenlicht verloren hat.“ Die Operation sei teuer, dieser Mann gibt alles auf: „Alles zu verkaufen“, so der Titel. „Auch seine Seele.“ Wie geht es aus? „Wir wissen es noch nicht“, sagt Mohsenin und lächelt hintergründig wie Kim Yunjeong, die auch kein Ende verrät. „Das entscheiden wir noch.“