Drei Filme auf den drei wichtigsten A-Festivals der Welt, und alle in einem Jahr: Das hat bisher nur Krzysztof Kieslowski 1993/94 mit seiner „Drei Farben“-Trilogie geschafft. Als zweiter ist es nun dem Österreicher Ulrich Seidl gelungen: Von seiner „Paradies“-Trilogie stellte er „Liebe“ in Cannes vor, „Glaube“ in Venedig. Am Freitag zeigt er in Berlin nicht nur den letzten Teil „Hoffnung“ im Wettbewerb. In einer Sonderveranstaltung sind am kommenden Mittwoch alle drei Teile in der Akademie der Künste zu sehen. Und parallel dazu gibt es eine Fotoausstellung zu „Paradies“ in der c/o-Galerie.
Berliner Morgenpost: Herr Seidl, wie schafft man das, mit drei Filmen in einem Jahr auf die drei größten A-Festivals der Welt zu kommen? Und dann auch noch alle in den Wettbewerb. Andere sind ja schon froh, wenn ihnen das mit einem gelingt.
Ulrich Seidl: Das war natürlich keine Strategie. Das hat sich so entwickelt. Im Vorfeld gab es die Überlegung, alle drei Filme auf einem Festival zu präsentieren. Das Festival in Venedig hat mir auch das Angebot gemacht. Aber dann durfte ich auch nach Cannes. Und im Nachhinein kann ich nur sagen, ich bin froh, dass es anders gekommen ist. Weil die mediale Aufmerksamkeit so natürlich eine ganz andere ist. Auch weil jeder Film für sich wirken kann. Insofern ist es nicht ein einmaliger Event, der dann vorbei ist, sondern ein Happening, mit dem man ein Dreivierteljahr beschäftigt ist. Das hat idealerweise in Cannes begonnen, mit „Liebe“. Dass ich in Venedig mit „Glaube“ angeeckt bin, zeigte nur, wie passend er da war. Und auch „Hoffnung“ passt vielleicht ganz gut für Berlin.
Nach Cannes und Venedig konnte Dieter Kosslick wohl gar nicht anders als für die Berlinale zuzusagen. Wenn er Ihnen aber nur das Panorama angeboten hätte, hätten Sie das ausgeschlagen?
Ein autonomer Festivalchef kann natürlich sagen, den nehm ich nicht, den will ich nicht. Wenn’s nicht der Wettbewerb gewesen wäre, hätt’ ich’s mir überlegt. Das überlegt man sich ja immer.
In der Bibel kennen wir die Begriffs-Trias Glaube Liebe Hoffnung. Warum haben Sie mit der Liebe begonnen?
Ich habe das ausprobiert. Und wenn man sich das hintereinander anschaut, wie das funktioniert, war ganz klar, „Liebe“ musste der erste sein. „Glaube“ hätte das nicht sein dürfen. Dass das so eine kleine Irritation ist zu den drei christlichen Tugenden, das macht doch auch nichts.
Wie kamen Sie überhaupt auf die Trilogie über drei Frauen auf der Suche nach Erfüllung, drei Geschichten von vergeblichen weiblichen Begehrens?
Ursprünglich sollte das ein Episodenfilm werden, drei Geschichten in einem Film, die parallel erzählt worden wären. Das habe ich ja auch schon einmal gemacht. Ich drehe aber immer sehr viel. Die Erfahrung mit dem Material mache ich immer erst am Schneidetisch. In diesem Fall hatte ich über 90 Stunden Material gedreht. Und da habe ich gesehen, ein Film würde emotional zu schwierig werden. Also eigentlich nicht aushalt-, nicht zumutbar. Die eine Episode hätte die andere geschwächt. Also habe ich mich entschieden, drei eigenständige Filme zu machen. Und letztlich, glaube ich, war’s die richtige Entscheidung.
„Paradies: Liebe“ handelte von Sextouristinnen in Kenia. Sie sind damit gleich mehrfach zur Schlagzeile in der „Bild“-Zeitung geworden.
… habe ich gehört, ja. Was soll man dazu sagen? Das sind Zufälle, mit denen man nicht rechnet.
In Venedig gab es bei „Paradies: Glaube“ harsche Proteste von ultra-orthodoxen Katholiken, die behaupteten, Sie würden den Katholizismus durch den Kakao ziehen. Es gab Forderungen, man müssen den Film aus dem Wettbewerb nehmen, das ganze Festival müsse beendet werden.
Das hat mich gar nicht erschüttert. Natürlich habe ich etwa die Szene, wo meine Hauptfigur sich mit dem Kruzifix unter der Bettdecke zu schaffen macht, bewusst eingesetzt. Aber man kann auch nicht nur eine Szene aus einem Film herausnehmen, an den Pranger stellen und „Gotteslästerung“ rufen. Das kann ja nicht sein. In dieser Filmerzählung stimmt diese Szene in sich und ist richtig. Diese christliche Vereinigung dort prozessiert ja eigentlich gegen die Abtreibung in Italien; da weiß ich ja schon, woher der Wind weht. Die haben das medial für sich beansprucht, und das hat ja auch funktioniert. Man hat ja schon fast erwartet, dass die aufbegehren.
Sind das Reaktionen, die man sich als Filmemacher auch erhofft? Zu spalten, zu erregen, anzuecken?
Ich denke, das habe ich nicht nötig. Und man kann es auch nicht darauf anlegen. Man weiß nie, wie ein Film ankommen, ob er ein Publikum finden wird. Man kann nur einen Film machen, zu dem man stehen kann. Den setzt man in die Welt und dann sind andere Kräfte am Wirken.
Sextourismus, eine fanatische Christin, die sich mit dem Kruzifix befriedigt, und eine Dicke im Diätcamp, die sich in ihren Campleiter verliebt: Wieso diese Fixierung auf Sex?
Sexualität spielt in allen Episoden eine Rolle, aber eine Fixierung ist das nicht. Ich habe wie immer die Drehbücher mit meiner Frau geschrieben, und die Ursprungsidee war: Tourismus. Ich habe da auf ein altes Projekt zurückgegriffen und mich auf Sextourismus von Frauen konzentriert. Auch die Geschichte mit der Wandermutter Gottes hatte ich schon lange geschrieben und wollte sie endlich inszenieren. Und dann wollte ich immer schon mal einen Film über Frauen machen. Da war die Überlegung, was ist die dritte Geschichte? Und ich dachte, das muss dann eine andere Generation sein. Ein junges Mädchen. So entstand das Lolita-Thema.
Sie wirken ungemein sympathisch, machen aber immer so harte, unbequeme Filme mit schrecklichen, abstoßenden Menschen, wo man aus dem Fremdschämen nicht herauskommt. Immer wenn ich einen Ihrer Filme im Kino sehen will, sagen Freunde von mir: „Oh, der ist bestimmt gut. Aber ich geh bestimmt nicht rein.“ Was fasziniert Sie gerade an diesen Themen?
Ich muss mal eines richtig stellen: Das sind keine Filme über schreckliche Menschen. Das sind Filme über uns. Viele wollen sich dem nicht ausliefern, weil sie Angst davor haben, sich selbst zu sehen. Das ist das ganze Problem. Meine Filme schauen halt hinter die geschönte Wirklichkeit. Sie zeigen, was man sieht, wenn man in den Spiegel schaut. Davon handeln die Filme. Das ist halt im ersten Moment nicht angenehm. Aber letztlich doch bereichernd. Weil man eine Erfahrung macht. Eine Erkenntnis bekommt. Die Filme sind auch dafür da, dass man sich einander in die Haare gerät. Das ist auch eine Form der Auseinandersetzung, und dabei entsteht etwas. Wenn man das unbequem findet, ich habe kein Problem damit. Das ist mir lieber, als wenn man geschmeichelt aus dem Kino geht.
Fühlen Sie sich damit allein auf weiter Flur? So radikale, direkte Filme machen nicht viele.
Auch damit habe ich kein Problem. Ich bin immer ein Einzelkämpfer gewesen. Ich mache das, was ich für richtig halte. Und was ich über die Welt sagen möchte. Das ist ja mein Blick über die Welt.
Die Filme wirken oft fast dokumentarisch und leben doch von sehr starken Bildern. In „Liebe“ gibt es dieses eine Bild, wo die Touristinnen am Strand auf der Liege liegen. Und vor einer gespannten Leine die jungen Kenianer stehen und darauf warten, dass sie erwählt werden. Was ist da zuerst, das Bild, das Sie inszenieren, oder die Recherche, die in ein Bild gebrannt wird?
Wenn ich das Drehbuch schreibe, ist das Bild noch nicht da. Bilder entstehen erst direkt am Schauplatz, beim Drehen. Ich bin aber jemand, der sich seine Schauplätze sehr genau aussucht, ich lasse mich davon auch sehr inspirieren. Es würde mich nicht interessieren, etwas nachzubauen, ich mache aus dem, was ich finde, etwas, ich gestalte das. Das Bild mit der Absperrung, das habe ich da vorgefunden, ich mache daraus aber etwas Artifizielles und stelle die Liegestühle genau so hin. Die Realität stimmt, ist aber erhöht.
Was die Hauptdarstellerinnen in all Ihren drei Filmen machen, ist sehr mutig. War das sehr schwierig, sie zu gewinnen? Gab es Momente, wo die Schauspielerinnen sagten, das geht zu weit.
Nein. Maria Hofstätter etwa aus „Glaube“, die schon in „Hundstage“ mitgespielt hat, die weiß, worauf sie sich mit mir einlässt. Weil sie eben auch meint, dass das so sein muss. Sie kann nie etwas spielen, wovon sie nicht überzeugt ist. Sie lässt sich mit einer Hingabe auf eine Rolle ein, ist eine Perfektionistin. Wir haben auch öfter Szenen abgebrochen, wenn wir nicht weiterkamen, und haben das dann an einem späteren Tag noch einmal versucht.
In „Hoffnung“ geht es jetzt um ein schwergewichtiges Mädchen. War Ihre Verantwortung da noch etwas stärker?
Da spielen hauptsächlich Jugendliche, was für mich neu war. Klar, man arbeitet mit Menschen, die noch nicht erwachsen sind. Da gab es andere Schamgrenzen zu überwinden, da gibt es Dinge, die ich nicht verlangen kann, da habe ich eine andere Verantwortung.
Diese Schonungslosigkeit, von der Sie sprechen, wo kommt die her? Woher rührt Ihr peinlich genauer Blick auf die Welt?
Es geht immer um Wahrheitsfindung. Das hat sicher mit meinem Werdegang zu tun, mit meiner Menschwerdung. Ich komme aus einem streng katholischen Elternhaus, bin auch sehr religiös erzogen worden. Habe aber sehr bald gesehen, welche Verlogenheit dahinter steckt, welche Verlogenheit und Heuchlerei. Das hat mich auch geformt, dagegen anzukämpfen. Für die Wahrheit zu kämpfen. Das ist auch die Aufgabe der Kunst: einen anderen Blick zu zeigen. Nicht etwas zu bestätigen, sondern etwas in Frage zu stellen.