Aus den Bubbles schält sich langsam das Gesicht von Nico raus. Umrahmt vom langen Blondhaar sieht sie aus, wie weiland in den Sechzigern als sie die Ikone der Popkultur war. Einen Moment lang ist es fast so, als lebten diese Zeiten mit dem Bild wieder in ihrer coolsten Form auf. Immerhin läuft die Animation auf einem Screen hinter John Cale, der 1965 mit Velvet Underground und seinen Mitstreitern Lou Reed und Nico die Rockmusik revolutionierte, bevor er auf Solopfaden wandelte.
Mittlerweile ist der 80-jährige mit seinem gewaltigen Œuvre zwischen Artrock, Proto-Punk und Avantgarde als einer der einflussreichsten Musiker überhaupt längst Teil der
Rockgeschichte. Mit vollem weißen Haar und schwarzem Look steht er nun nach vier Jahren wieder auf der Bühne der Verti Music Hall. Da er noch nie ein Mann großer Worte war, wenn er stattdessen die Musik sprechen lassen kann, genügt ein kurzes Hallo ans Publikum: "Guten Abend Berlin! Schön, Euch zu sehen!" Danach wird die Setlist so akribisch wie virtuos abgearbeitet
Begleitet wird der walisische Musiker, der Bratsche und Klavier studiert hat, bei den neuen Songs aus seinem fulminanten aktuellen Album "Mercy" und einer klug ausgewählten Retrospektive alter Titel von Gitarrist Dean Boyer, Bassist Joey Maramba und Schlagzeuger Alex Thomson. John Cale selbst steht am E-Piano, greift später auch zu seiner Fender Stratocaster, was den Klang rockiger macht. Und über allem liegt natürlich sein volltönender Bariton.
Der Sound ist überwiegend dräuend bis krachend, wuchtig bis komplex, melancholisch und nachtdunkel gefärbt. Drei rote Totenköpfe nicken dazu zwischenzeitlich von der Leinwand herab. In jedem Fall wird es laut, heftig und grandios bei Songs wie "Night Crawling" und "Helen of Troy". Es geht damit hinab in Abgründe. Seelisch, musikalisch Und keiner kann diese Düsternis so perfekt in Musik transformieren wie John Cale. Zudem macht er Ausflüge in experimentelle Klanglandschaften, die sich fast schon gefällig auflösen. Denn letztlich ist Cale auch ein großer Melodiker. Einfach sensationell.