Er war noch nicht im Amt, da hat Klaus Lederer (Linke) bereits provoziert. Jetzt sitzt er als Kultursenator im neuen Büro. Ein Treffen

Es war eine seiner ersten Amtshandlungen, sich mit Chris Dercon zu verabreden. Der neue Kultursenator Klaus Lederer hat einige Dissonanzen mit dem künftigen Volksbühnen-Intendanten Dercon auszuräumen. Überhaupt hat der Linken-Politiker Lederer einige Baustellen übernommen.

Herr Lederer, warum sagt ein Linker, der bislang in der Kulturpolitik nicht sonderlich aufgefallen ist, dass er das Kulturressort übernehmen will. Was soll für das linke Milieu am Ende herausspringen?

Klaus Lederer: Für mich stellt sich im Kern die Frage, wie organisiere ich Zugänge zu den verschiedenen Segmenten und Ebenen im Kulturbetrieb. Das kann der Zugang zur freien Szene, zur Musikschule oder zum Jugendtheater sein. Es geht aber nicht darum, die großen Kulturinstitutionen zu schröpfen, um es den kleinen Einrichtungen zu geben. Ich mache das Konkurrenzdenken hier nicht mit.

Bürgerliche Parteien wissen, wer ihr Adressat in Sachen Kultur ist. Wer ist es bei den Linken?

Es sind breite Schichten, einfach, weil Kultur eine Art Grundnahrungsmittel ist, ein Lebensmittel zur Verständigung in einer Gesellschaft. Aber die Zugänge und Voraussetzungen sind sehr unterschiedlich. Zunächst einmal braucht man Zeit, um Kunst produzieren und genießen zu können. Man braucht den Kopf frei. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern und drei Jobs wird es schwer haben, sich Zeit fürs Theater zu nehmen. Und es ist auch eine Frage des Geldes. Wir wollen niedrigschwellige Zugänge zu Kunst und Kultur schaffen.

Was wollen Sie mit der Staatsoper oder den Philharmonikern, mit Stars wie Daniel Barenboim oder Kirill Petrenko umgehen?

Ich hoffe, dass sie bleiben. Ich bin nicht bereit, vermeintliche Populärkultur gegen Hochkultur zu stellen. Es gehört alles dazu und braucht Unterstützung. Wenn es der Markt allein regeln würde, bräuchte man keine Kulturpolitik. Es geht in der heutigen Zeit zunehmend auch darum, die Kulturstandorte, die aus dem öffentlichen Raum zu verschwinden drohen, zu bewahren. Das muss in Querverbindung zur Stadtentwicklung geschehen. Wir müssen etwa neue Atelierräume schaffen oder sichern.

Was haben Sie in Ihren ersten Amtstagen gemacht?

Als erstes ging es darum, in meinem Büro die Arbeitsfähigkeit herzustellen. Das klingt einfach, aber es braucht seine Zeit. Mein Pressesprecher Daniel Bartsch ist seit Montag offiziell hier, mein Staatssekretär Torsten Wöhlert war am Dienstag davor berufen worden. Wir haben begonnen, uns den einzelnen Referaten im Haus vorzustellen. Darüber hinaus haben wir ein erweitertes Themenfeld. Wir haben ja in der Kulturverwaltung eine Erweiterung um baukulturelles Erbe, Denkmalschutz, Musikboard und die Frage der Musikschulen. Dazu kommt das Europareferat.

Wie viele Mitarbeiter kommen neu hinzu?

Das lässt sich noch nicht konkret benennen, weil Verhandlungen laufen. Es werden 60 bis 70 neue Mitarbeiter dazu kommen.

Warum haben Sie noch nicht mit dem umstrittenen designierten Volksbühnenchef Chris Dercon gesprochen?

Es war eine meine ersten Aktivitäten, ihn zu erreichen, ohne jetzt am Telefon Dinge mit ihm zu klären. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir uns treffen werden. Wir müssen einen Termin finden. Er ist ja auch viel unterwegs und nicht die ganze Zeit in Berlin.

Sie haben gleich nach Ihrer Benennung als Kultursenator öffentlich gesagt, die Personalie Dercon zu überprüfen. Wie ernst ist es Ihnen damit?

Es geht nicht darum, Leute aufs Schild zu heben oder vom Schild zu stoßen. Das ist keine Art und Weise, um den Leuten und den Kulturinstitutionen gerecht zu werden. Mein Ansatz war, die Dinge zu überprüfen. Das habe ich vor der Wahl gesagt, und werde mich danach auch nicht um 180 Grad drehen. Ich möchte das Konzept kennenlernen. Alle fragen sich doch, was in der Volksbühne ab nächsten Herbst passieren wird. Ich werde mit allen Beteiligten reden, auch mit denen, die bislang nicht in den Prozess einbezogen waren.

Dercon ist gleich nach seiner Berufung, also vor Ihrer Amtszeit, öffentlich gedemütigt worden, und gleich nach Ihrer Berufung von Ihnen wieder. Das ist kein guter Umgang mit einem Intendanten, der noch gar nicht im Amt ist?

Die ganze Kommunikation um den Intendantenwechsel an der Volksbühne war ein Desaster. Das hat sich nicht nur auf Dercon abgeladen, sondern ist auch von Teilen in der Volksbühne so empfunden worden. In der Zwischenzeit hatte sich der Konflikt weiter entwickelt in einer Solidarisierung mit den Mitarbeitern, wo ich Beteiligter war. Aber es ist doch völlig klar, dass ich in einer solchen Situation nicht den Daumen hebe oder senke. Das steht mir nicht zu.

Ist denn Dercons Vertrag wieder lösbar?

Im Augenblick schaue ich mir eine kulturpolitische Entscheidung an. Ich werde nicht vertragsbrüchig werden. Es gibt diesen Vertrag. Die Frage bleibt: Ist das, was Dercon konzeptionell vorhat, für diesen Ort das Richtige oder nicht? Es ist keine Entscheidung für oder gegen Dercon, sondern für oder gegen ein Konzept an einen bestimmten Ort. Dercon ist ein anerkannter Kurator, seine Fähigkeiten sind in Berlin gefragt.

Notfalls würden Sie ihn zur Änderung des Konzeptes überreden?

Wenn es sein muss, ja. Aber man tut als Kulturverantwortlicher immer gut daran, sich bei inhaltlichen Dingen zurückzuhalten. Intendanten tragen die konzeptionelle Verantwortung für ihre Einrichtung, das ist nicht die Aufgabe der Politik, daran herumzuschrauben.

Gibt es überhaupt einen finanziellen Spielraum, um einen solchen Vertag zu lösen? Es ist von einer Millionenabfindung die Rede?

Ich habe nicht gesagt, dass ich mir zuerst den Vertrag ansehe und bewerte. Es sollen keine Sieger oder Besiegten vom Platz gehen. Die einzige Frage, die ich mir stelle ist, wie kann die Volksbühne als Repertoire- und Ensembletheater weiter entwickelt werden, auch in einer bestimmten Tradition. Ist das mit dem Konzept möglich? Das werden die Gesprächsthemen in den nächsten Wochen und Monaten sein.

Wird es mit einem linken Kultursenator eine Ressourcenverteilung von teurer Spitzenkultur hin zu armen Künstlern in der Stadt geben?

Ich habe diese Gegenüberstellung nie verstanden. Ich weiß, dass es Vertreter der freien Kulturszene gibt, die immer wieder darauf hinweisen, die Opernhäuser bekommen soundsoviel und wir nur soviel.

Das stimmt doch aber auch.

Richtig ist, dass die großen und traditionsreichen Kultureinrichtungen in Berlin über die größten Budgets verfügen, um ihre Kunst betreiben zu können. Aber auch in den großen Häusern gibt es Arbeit hart am Limit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Das gibt es nicht nur in der freien Szene. Man kann sich nicht hinstellen und sagen, die Großen haben schon so viel, jetzt packen wir rundum noch etwas obendrauf. Ich denke, wir müssen neue Schwerpunkte in Berlin setzen und notfalls in den Haushaltsberatungen darum kämpfen, dass diese ausfinanziert werden. Das betrifft die Basiskultur, Bibliotheken, Musikschulen oder Kinder- und Jugendtheater. Diese Mittel müssen zusätzlich erwirtschaftet werden.

Die Kultur braucht mehr Geld?

Die Kultur war lange am Ende der Stange. Bei den großen Institutionen hat man irgendwann wieder etwas draufgelegt. Und der Bund fördert vor allem traditionsreiche Institutionen, die eine weite Ausstrahlung haben. Aber insgesamt wurde in der Berliner Kultur lange gespart bis zum Gehtnichtmehr. Die Kultur wurde immer schnell denunziert, sie sei nur für die Eliten da. Aber wenn wir uns umschauen, was macht das Leben in Berlin aus? Dann ist es zum großen Teil das reichhaltige, kreative Leben in einer Kulturmetropole.

Zu Ihren Baustellen gehört auch das Staatsballett, dass vehement gegen die neue Doppelintendanz von Sasha Waltz und Johannes Öhman opponiert?

Auch das ist ein Prozess, in dem ich verstehen muss, an welcher Grenze entlang der Konflikt eigentlich verläuft. Es besteht doch kein Zweifel daran, dass Sasha Waltz eine bedeutende Choreografin ist und die Tanzlandschaft in der Stadt geprägt hat. Es gibt viele Orte in Berlin, an dem zeitgenössischer Tanz stattfindet. Manche sagen zu wenig, andere meinen zu viel. Ich denke, es ist bislang nicht gelungen, dem zeitgenössischen Tanz die Basis zu verschaffen, die er in Berlin verdient.

Das sollte aber nicht das Problem des Staatsballetts sein?

Das Staatsballett hat eine internationale Ausstrahlungskraft. Manche sagen, sie ist nicht mehr so groß unter dem gegenwärtigen Intendanten. Im Staatsballett geht die Angst um, dass es unter der neuen Doppelintendanz die klassische Ausrichtung verliert. Auch hier müssen Idee und Konzept auf den Tisch kommen. Ich werde einen Prozess der Kommunikation in Gang bringen müssen, der leider eben im Vorfeld nicht stattgefunden hat. Und das mit dem Ziel, zu schauen, ob nicht ein großes Potential in dem Modell steckt. Mir selbst gefällt zeitgenössischer Tanz genau so gut wie klassisches Ballett.

Wolfgang Brauer, der zuletzt den Untersuchungsausschuss Staatsoper geleitet hat, hat die Linken verlassen. Nicht ohne vorher allen mitzuteilen, dass Sie als Kultursenator ungeeignet seien, weil er sie nie im Theater gesehen hat. Ein merkwürdiger Vorgang.

Ich habe ihn auch nie in Kultureinrichtungen gesehen, aber das ist kein Beweis dafür, dass er nirgendwo war. Es zeigt nur, wie groß die Kulturlandschaft ist. Ich habe sofort nach der Wahl mit ihm gesprochen und ihn gebeten, für uns mitzuverhandeln im Bereich der Kultur. Wenn er wirklich davon überzeugt wäre, dass ich für das Amt ungeeignet wäre, hätte er mich nicht unterstützt, Kultursenator zu werden. Ich schätze ihn sehr und bedaure seinen Schritt.