Es gibt nichts Unzuverlässigeres als Tenöre. Eigentlich sollte die Buchvorstellung „Die weltbesten Tenöre“ ein Gipfeltreffen werden

Gleich vier große Sänger sind zu der Buchvorstellung „Die weltbesten Tenöre“ (Opera Rifko Verlag, 35,50 Euro) angekündigt. Aber es gibt bekanntlich nichts Unzuverlässigeres als Spitzensänger, pünktlich erscheint zumindest der Koreaner Yosep Kang, kurz nach ihm trifft der Berliner René Kollo ein. Das Gipfeltreffen der Tenöre soll um 12 Uhr in einer Privatwohnung im Henselmann-Tower am Strausberger Platz stattfinden.

Es ist ein ungewöhnlicher und geschichtsträchtiger Ort. Hermann Henselmann war der Chefarchitekt in Ost-Berlin und der Erbauer der Stalinallee. Heute ist es die Karl-Marx-Allee. Bei Lachsschnittchen und einem Glas Sekt erfährt man einiges über die Bewohner und Gäste des Hauses, welche Musiker hier lebten oder leben. Bei den Henselmanns, die in den 50er-Jahren einen Kultursalon pflegten, ging auch Bert Brecht ein und aus. Die Schauspielerin Anne-Sophie Briest („Kokowääh“) ist eine geborene Henselmann, sie ist Enkelin des Architekten.

Irgendwann sickert unter den 15 bis 20 Anwesenden durch, dass Klaus Florian Vogt doch erkrankt sei. Also sind es nur noch drei Tenöre. Um 12.29 Uhr klingelt es an der Wohnungstür. Buchautor Johannes Ifkovits strebt optimistisch zur Sprechanlage. Der Peruaner Juan Diego Flórez wird erwartet. Aber er ist es noch nicht.

Einige Sänger wollten nicht in dem Buch erscheinen

Derweil präsentieren Fotograf Ifkovits und seine Ehefrau Evelyn Rillé, die als Fotomodell 1984 das erste „Bild“-Girl war, ihren gewichtigen Bildtextband. 44 Tenöre stellen sie auf den fast 300 Seiten vor. Es ist ein fleißiges und aufwendig gemachtes Buch. Alphabetisch geordnet beginnt es mit Roberto Alagna, führt über Piotr Beczala und Placido Domingo hin zu Jonas Kaufmann, streift Neil Shicoff und Rolando Villazon, um mit Klaus Florian Vogt zu enden. Jeder Berliner Opernkenner wird sofort an den Fingern abzählen, welche großen Tenöre im Buch fehlen. Wenn man darüber nachdenkt, gibt es über die Generationen hinweg mehr großartige Tenöre als abzählbare Finger. Autor Ifkovits vermisst selbst José Cura, Peter Seiffert und Marcelo Alvarez. Die drei wollten in keinem Buch erscheinen, in dem es auch um andere Tenöre geht. Ein klares Statement.

Um 12.40 Uhr klingelt es erneut an der Wohnungstür. Alle warten auf den Tenor. Der Gast, der durch die Tür kommt, wirkt irritiert, weil ihn alle so anstarren. Aber es ist nicht Flórez. Im Wohnzimmer haben es sich Yosep Kang, Jahrgang 1978, und René Kollo, Jahrgang 1937, bequem gemacht. Kang ist gewissermaßen ein Nachfolger von Kollo an der Deutschen Oper. Beide standen auch schon mal gemeinsam auf der Bühne und verstehen sich prächtig. Kang singt am heutigen Sonnabend den Herzog von Mantua, also den Schürzenjäger in Verdis „Rigoletto“, an der Deutschen Oper. „Ein schweres Stück“, sagt Kollo, und beide sind sofort in eine musikalische Diskussion über den Komponisten vertieft.

„Alle haben wahnsinnige Angst um ihre Stimme“

Eigentlich war Kollo in seiner Glanzzeit ein großer Wagner-Tenor. Der Verdi gehört in seine Altersproduktion am Renaissance-Theater. Das berühmte Quartett aus Verdis „Rigoletto“ gibt dem Theaterstück von Ronald Harwood seinen Titel, im Stück geht es um vergessene Opernstars in einer Seniorenresidenz. Am Ende erklingt das Quartett. „Sauschwer ist es“, wiederholt Kollo. Er bietet Kang ein Glas Sekt an, aber der lehnt höflich ab.

Der in Wilmersdorf wohnende Kang, der seit 2000 in Berlin lebt und zehn Jahre zum Ensemble der Deutschen Oper gehörte, zählt zu den kon­trollierten Tenören. Er reist stets mit seiner Ehefrau, selbst eine ausgebildete Sängerin, die immer im Publikum sitzt und ihn berät. So eine Tenorkarriere muss gut geplant sein. „Alle haben wahnsinnige Angst um ihre Stimme“, sagt Autor Ifkovits. Das war eine Erfahrung, die das Wiener Autorenehepaar in den zwei Jahren Arbeit am Buch gemacht hatten. Einmal waren sie mit fünf Tenören für Fotos und Interviews in New York verabredet, vier sagten kurzfristig wieder ab. Die Sicherheit der Stimme geht immer vor.

Gegen 13 Uhr ist allen klar, dass Flórez nicht mehr kommen wird. Ifkovits erzählt etwas, dass Flórez so kurz nach der Generalprobe doch nicht kommen kann. Am Sonntag ist schließlich in der Deutschen Oper die Premiere von Meyerbeers „Die Hugenotten“, eine Fünfstundenoper. Alle nicken verständig.