Pianist Radu Lupu und Dirigent Paavo Järvi spielen Beethovens c-Moll-Klavierkonzert in der Philharmonie. Und sie finden zusammen
Ein gewagtes Experiment, diese Beethoven-Paarung: Radu Lupu und Paavo Järvi – zwei Musiker, wie sie unterschiedlicher kaum sein können – spielen gemeinsam das c-Moll-Klavierkonzert in der Philharmonie. Ein mit allen modernen Wassern gewaschener Dirigent trifft auf einen Pianisten, der wie ein Fossil im heutigen Konzertleben anmutet. Warum, wird bereits nach wenigen Takten Beethoven deutlich: Das Klavierspiel des Rumänen Radu Lupu erinnert auf nostalgische Weise an Pianisten wie Edwin Fischer oder Wilhelm Kempff. An Pianisten längst vergangener Epochen, denen erfülltes Musizieren stets wichtiger war als technische Perfektion. An Pianisten, bei denen selbst falsche Töne musikalischer klingen als so manch richtiger Ton eines geschmeidigen Virtuosen.
Tatsächlich ist Radu Lupu niemals in seiner Karriere ein Virtuose gewesen, auch nicht in seiner ruhmreichsten Zeit, den 80er-Jahren. Dafür galt er umso mehr als Klangpoet par excellence und diente in dieser Hinsicht vielen heranwachsenden Pianistengenerationen als inspirierendes Vorbild.
Ein Meister poetischer Klangfarben
In Beethovens c-Moll-Klavierkonzert erweist Lupu sich nun einmal mehr als Meister poetischer Klangfarben. Unter seinen feinfühligen Pranken entsteht ein sehr romantisch empfundener Beethoven, der nach spätem Brahms klingt. Das Problematische daran allerdings: die grundsätzliche Gemütlichkeit, die sein Klavierspiel an diesem Abend ausstrahlt. Eine Gemütlichkeit, die durch bequeme Tempi, Rubati und üppige Pedalisierung noch verstärkt wird – und auch rein optisch unübersehbar ist: Der 70-jährige Lupu lehnt sich auf seinem Lehnstuhl so weit zurück, dass er beinahe schon liegt.
Und der estnische Dirigent Paavo Järvi? Er lässt die Staatskapelle Berlin vollkommen anders musizieren. Nicht nach spätem Brahms, sondern nach reifem Mozart klingt seine Beethoven-Version. Historisch informiert und souverän aufs traditionelle Sinfonieorchester zugeschnitten. Es ist ein Beethoven mit vibrato-armen Streichern und erdigen Bläsern, ein Beethoven von hoher Transparenz und attraktiver Expressivität.
Dass Lupu und Järvi trotz so gegensätzlicher Klangvorstellungen zusammenfinden, liegt am Dirigenten und am Orchester: Sie kommen dem Pianisten in puncto Tempo und Dynamik maximal entgegen – und schaffen das Kunststück, auf organische Weise wieder anzuziehen und zuzulegen, wenn der Pianist pausiert.
Schostakowitschs siebte Sinfonie wird ein Kunststück
Ein weiteres Kunststück gelingt der Staatskapelle nach der Pause. In Schostakowitschs Siebter, der sogenannten „Leningrader“, entfalten die Musiker einen so unwiderstehlichen Sog über alle Sätze hinweg, dass man vollkommen überrascht ist. Gehörte nicht gerade jene Sinfonie zu den Repertoire-Sorgenkindern? Jene Sinfonie, die mit einem triumphalen Geniestreich beginnt und danach leider ziemlich stark nachlässt?
Paavo Järvis Interpretation kann nun als Gegenbeweis gelten. Oder besser gesagt: Er schafft es, die kompositorischen Schwächen der Sätze 2 bis 4 nahezu vollständig zu überdecken. Erstaunlich, wie lange Järvi den Kopfsatz in aller Schönheit und Ausgewogenheit musiziert – um dann die Stimmung umso heftiger in kriegerischen Wahnsinn umschlagen zu lassen. Noch erstaunlicher allerdings, mit welcher Selbstverständlichkeit er musikalische Spannung und Hingabe der Musiker in den übrigen Sätzen einfordern kann.