Samuel Barbers amerikanische Oper „Vanessa“ erlebt ihre Berliner Erstaufführung beim Deutschen Symphonie-Orchester. Das Publikum jubelt
Samuel Barbers „Vanessa“ galt nach der Uraufführung an der Metropolitan Opera New York als die große amerikanische Oper, auf die Viele gewartet hatten. Die Vollblutoper ist ein packendes Seelendrama mit beeindruckend starker, romantischer Musik in der Nachfolge von Strauss und Schreker. Sie hat nur einen einzigen Schönheitsfehler: Sie stammt aus dem Jahr 1958.
International waren damals Serialismus, Aleatorik und elektronische Musik angesagt – und nicht spätromantische Opern. In den USA galten solche Vorgaben allerdings niemals so streng wie in Europa. Dort waren Begriffe wie Neoromantik und Eklektizismus nie Schimpfwörter. Es gab immer eine breite konservative Strömung, die „Vanessa“ damals sofort auf ihren Schild hob. Nach der Europäischen Erstaufführung bei den Salzburger Festspielen hagelte es dann die zu erwartenden Verrisse.
Es gab Aufführungen in Darmstadt und Frankfurt
Nun wirkt der Anachronismus mit jedem verstrichenen Jahrzehnt immer weniger bedeutend. Immer wieder einmal nimmt sich ein Opernhaus oder Orchester in Europa dieser eigentlich so lebenstüchtigen Oper an. Es gab Aufführungen in Darmstadt, London, Monte Carlo und vor vier Jahren in Frankfurt. Keine brachte für „Vanessa“ den Durchbruch. Im Moment laufen Wiederbelebungsversuche gleichzeitig in Berlin und dem irischen Wexford.
Die Berliner Erstaufführung mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und dem amerikanischen Dirigenten David Zinman legte sich mit beeindruckender Verve für Samuel Barber ins Zeug. Die wechselnden Lichtstimmungen der halbszenischen Aufführung in der Philharmonie unterstützten die schaurige Geschichte von Karen Blixen, die auf dem deutschen Buchmarkt als Tania Blixen bekannt ist.
Ein Dreiecksdrama mit zwei Frauen
Irgendwo im frostigen und düsteren hohen Norden sitzt die Baroness Vanessa auf ihrem Schloss und wartet seit zwanzig Jahren auf die Rückkehr ihrer großen Liebe Anatol. Tatsächlich kehrt Anatols Sohn im Schloss ein und stiftet beträchtliche Liebeswirren bei Vanessa und ihrer Nichte Erika. Es entspinnt sich ein schreckliches Dreiecksdrama zwischen zwei Frauen, die an die wahre und ewige Liebe glauben und einem verarmten Glücksritter, der gern eine gute Partie machen möchte.
Gian Carlo Menotti hat ein erstklassiges, psychologisch auf den Punkt geschriebenes Libretto verfasst. Menotti war selbst ein sehr erfolgreicher Opernkomponist und hätte diesen Text sicher nicht verschenkt, wenn Barber nicht sein Lebensgefährte gewesen wäre.
Geigenblitze schlagen treffsicher ein
Die Musik eröffnet vom Vorspiel an dunkle Abgründe. Der Komponist schafft eine gespenstische Atmosphäre, die immer dicht am Text entlangkomponiert ist und jede emotionale Regung mitvollzieht. Das Orchester macht Vanessas nervliche Anspannung, den Aufruhr ihres Herzens spürbar. Die Musiker spielen Gesten der Zärtlichkeit und der Wut, Geigenblitze schlagen treffsicher ein. Beklemmend, wie der Rias-Kammerchor als braver Kirchenchor mit aufgebrachten Orchestereinwürfen konfrontiert wird.
Die beiden Protagonistinnen wirken bestens aufeinander eingespielt. Kein Wunder, beide haben die Oper im letzten Sommer in der Santa Fé Opera aufgeführt. Erin Wall singt die Titelpartie mit fulminanter Stimme und Durchschlagkraft. Virginie Verrez als Erika entwickelt sich mit ihrer Stimme glaubwürdig vom naiven Mädchen zu Vanessas Ebenbild. Den Lebemann mit einschmeichelndem Tenor gibt Andrew Staples. Die Berliner Erstaufführung wird zum umjubelten Erfolg – wie zu erwarten war. Das Publikum hat diese zuspätromantische Oper niemals im Stich gelassen.