Wilco setzen bei ihrem Auftritt im Tempodrom in Berlin ganz auf Understatement und ihre künstlerische Brillianz. Das geht voll auf.
Es ist sehr dunkel, als Jeff Tweedy die Bühne des Tempodrom betritt. Um den Sänger und Songwriter der großartigen Band Wilco aus Chicago herum steht der Wald – ein Bühnenbild wie aus einem Wandertheater, halb naiv, halb surreal in seiner handgemalten Plastizität, in frühmorgendliches Blau getaucht.
Tweedy singt ein Stück der neuen Wilco-Platte „Schmilco“, begleitet nur von Gitarrist Nels Cline, ruhig und schlicht: „I was high as high can get / always afraid of those normal American kids“. Was vielleicht nur ein Lied über eine Außenseiterjugend in Belleville, Illinois, ist, kann man gerade an diesem Abend nicht anders hören denn als politischen Kommentar. Muss man zur Zeit nicht tiefe Angst haben vor Leuten, die der Meinung sind, sie seien die normale Bevölkerung – in den USA und überall?
So kommt in Tweedys Texten das Größere, Gewichtigere oft daher: versteckt in scheinbar simplen Szenen. Ob es darum geht, dass sich ein Mädchen jeden Sommer in den Drummer einer Heavy Metal Band verliebt – in noch einen und noch einen (siehe: Eitelkeit der Liebe), oder darum, dass man die Unschuld vermisst, mit der man früher bekifft am Lagerfeuer saß und Kiss-Songs spielte (Jugend und ihr Vergehen).
Die Band spielt zusammen wie ein einziger Klangkörper
Dieses Understatement spiegelt sich auch in der Show der Band: keine aufwändigen Inszenierungen, Kostümierungen. Tanzeinlagen eh nicht: Tweedy steht in Jeansjacke und Ringel-T-Shirt, Bart und Brille beschattet von einem weißen Hut, etwas hüftsteif am Mikro, und macht, was er macht: Musik. Seine Stimme, die auf den ersten Hörer so unspektakulär daherkommt, ist eine der markantesten der aktuellen Rockmusik, man kriegt sie nicht mehr aus dem Kopf. Und die sechsköpfige Band besteht, logisch, nicht nur aus technisch brillanten Musikern, sie spielt auch live zusammen wie ein einziger Klangkörper.
Nicht ganz klar ist, warum das Tempodrom für diesen Abend bestuhlt wurde. Was als ruhiges, intimes Folk-Konzert beginnt, schraubt sich innerhalb weniger Stücke zu heftiger Energie hoch. Schon bei „Trying to break your Heart“ schießen Feedbacks und Gewitterlicht durch den Theaterwald. Und plötzlich sind da Leute, vorne vor der Bühne. Alle strömen nach, alle stehen. Und Tweedy bedankt sich dafür: So sei das viel besser.
Mal federnde Beats, mal herzzerreißend, mal abgeklärt
Jetzt greifen Wilco tief in die Truhe ihrer eigenen Geschichte, kontrastieren die bewusst einfachen Songs von „Schmilco“ mit den federnden Beats von „Misunderstood“, dem herzzerreißenden „Jesus, Etc.“ oder dem fast fröhlichen „I’m always in Love“. Sie spielen eine abgeklärte Version von „Reservations“ („I’ve got reservations / About so many things / But not about you“) und verschneiden das epische „Via Chicago“ mit blühendem Krach.
Als sie nach fast zwei Stunden „Impossible Germany“ als langes, bluesinformiertes Gitarenduell zwischen Tweedy und Cline zelebrieren, „I’m the Man who loves you“ in bester Lynyrd Skynyrd-Erdigkeit in den Saal brätzen, ist auch auf den Sitzplätzen Headbangen angesagt.
Zum Schluss gibt es noch „Hummingbird“ – und perfekter kann man einen Popsong nicht schreiben: mit Drive, Transparenz und Poesie. Tweedy nimmt seinen Hut ab, hält ihn sich beim Singen vors Herz. Drummer Glenn Kotche ist nach der letzten Zugabe völlig durchgeschwitzt, sieht aber sehr glücklich aus.