Nacho Duato zeigt seinen „Nussknacker“ an der Deutschen Oper. Bei der Premiere gibt es Proteste des Publikums gegen Sasha Waltz.

Bei der glanzvollen Premiere von Nacho Duatos „Der Nussknacker“ wurde wieder jede öffentliche Geste im Umkreis des Staatsballetts als Aussage zur Causa Sasha Waltz gewertet. Seit der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Tim Renner kurz vor der Wahl im September den amtierenden Intendanten Nacho Duato nicht verlängerten und dafür das Duo Sasha Waltz und Johannes Öhman als Ballettchefs benannten, herrschen um die Compagnie Turbulenzen.

„Waltz weg!“, schallte es denn auch bei der Vorstellung am Freitag aus dem Zuschauerraum, eine Dame hielt ihr Transparent „Kein Tanztheater“ hoch. Vor der Deutschen Oper hatten schon die Mütter der Ballettkinder demons­triert. Und Michael Müller, der erstmals als Premierengast beim Staatsballett begrüßt wurde, schlugen Buhrufe aus dem Zuschauer­raum entgegen.

Duato lobt sein exzellentes Ensemble

Das Staatsballett wirkte, anders als das Publikum, bei der ersten Premiere der Saison sichtlich um Harmonie bemüht. Nacho Duato lobte zu Beginn in seiner Kurzansprache die Zusammenarbeit mit seinem „exzellenten Ensem­ble“. Verheißungsvoll glitzerten die Sterne auf dem Bühnenvorhang, der Zank sollte dem Zauber einer Ballettpremiere weichen. Auf dem Gabentisch lag allerdings Gebrauchtware: Nacho Duato adap­tierte seine Version von Tschaikowskys Weihnachtsklassiker, die 2013 am Mikhailovsky Theater in Sankt Petersburg herauskam.

Für die Praxis, dem Staatsballett alte Eigenkreationen zu übereignen, ist Duato in den letzten beiden Jahren oft gescholten worden. Entkräften konnte er den Vorwurf choreografischer Leidenschafts- und Belanglosigkeit bislang nicht. Auch mit seinem „Nussknacker“, einer halbherzig modernisierten Fassung, gelingt ihm das nicht.

In Seidenkleidern und Smokings

Zeitlich angesiedelt hat er das Fantasie­geschehen um den zum Prinzen verwandelten Nussknacker im Jahr 1918; diese Entscheidung ist nicht inhaltlich motiviert, sondern kostümtechnisch – um mit den Seidenkleidern und Smokings mehr Bewegungsfreiheit für die Tänzer zu schaffen. Realistisch-psychologisch gestaltet Duato den 1. Akt um die kleine Clara (Iana Salenko), die bei der opulenten elterlichen Weihnachtsfeier im Jugendstilsalon vom Patenonkel Drosselmeier (Rishat Yulbarisov) mit einem Nussknacker bedacht wird. Erbeutet ihr Bruder Fritz (Dominic Whitbrook) das Geschenk, wendet sich Clara schmollend an Drosselmeier (Rishat Yulbarisov), der sie herzt und Fritz schilt. Deutlich gestaltet Duato ein Doppelgängermotiv, wenn sich Clara gleichermaßen auf des Paten wie später des Prinzen Bein setzt. „Der Nussknacker“ ist auch eine Geschichte vom sexuellen Erwachen.

Fröhliche Leichtigkeit strahlt dieser 1. Akt aus. Das Bewegungsmaterial auf klassischer Grundlage wirkt lebendig, fließend, elegant; im Pas de deux von Clara mit dem Nussknacker (Marian Walter) erinnert es an Eistanz, wenn er sie leichthändig über den spiegelblau beleuchteten Bühnenboden gleiten lässt. Aber schon bei der Schlacht zwischen den Spielzeugsoldaten und dem Mäusekönig geht Duatos „Nussknacker“ die Puste aus. Iana Salenko findet nicht zu einer dramatischeren Charaktergestaltung. Die Soldaten marschieren, die Mäuse krallen, aber ihrer Begegnung fehlt die Dynamik.

Ein Riesen-Cupcake wird auf die Bühne gerollt

Für den 2. Akt lässt das nichts Gutes hoffen: er ist dramaturgisch ohnehin problematisch, reiht er doch ein Divertissement ans nächste. Den Schneeflockenwalzer hat Duato kassiert. Bei ihm reihen sich die Damen des Ensembles in Plastiktutus zu simplen Formationen, die eher an ein Aqua-Musical à la Esther Williams erinnern denn an die Prachtentfaltung imperialer Ballettkunst. Auch der Sternenvorhang wirkt wie das Bühnenbild einer Revue. Alles ist groß und deutlich: Passend zu den pastellfarbenen Weißmieder-Rosaröckchen lässt Bühnen- und Kostümbildner Jérôme Kaplan beim Blumenwalzer einen Riesen-Cupcake auf die Bühne rollen. Bis auf ein Matrosenquartett wirken die Nationaltänze belanglos.

So kann das Solisten-Ehe-Paar Salenko-Walter den Abend für seine Eigendarstellung kapern. Sind die beiden im 1. Akt auf ihre Weise eine Idealbesetzung – Salenko mädchenhaft, Walter hölzern –, so zeigen sich in der Solo-Variation Schwächen. Dem Jubel für die beiden tut das keinen Abbruch. Die Staatsballett-Fans feiern ihre Stars, nur Duato erntet einige Buhrufe.