Termin mit Irritationen: Kirill Petrenko hat seinen unüblichen Vertrag als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker unterschrieben
Nach Monaten des Wartens ist es am Donnerstag um 14.45 Uhr so weit: Kirill Petrenko unterschreibt im Foyer der Philharmonie seinen Vertrag als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Seine Aufregung kann er erstaunlich gut verbergen. Die andere Unterschrift leistet Michael Müller (SPD), der Regierende Bürgermeister und Stiftungsratsvorsitzende. Nun ist der Regierende nicht für seinen Humor berühmt, aber er hat in seiner Eröffnungsrede einen verblüffenden Scherz gemacht.
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Er erklärt, wie wichtig es ist, vielversprechende Dirigenten langfristig zu binden. Weshalb man „über einen unbefristeten Vertrag gesprochen“ habe. Keiner lacht. Dabei sind Fünf-Jahres-Verträge üblich. Und die Philharmoniker sind seit den Querelen mit Pultdiktator Herbert von Karajan gebrannte Kinder von eheähnlichen Chefverträgen. Nach Karajan sollte das nie wieder passieren. Die Irritationen, die Michael Müller ausgelöst hat, lösen sich erst nach der Pressekonferenz auf. Petrenko hat laut Orchestervorstand einen Vertrag mit sieben Jahren Mindestlaufzeit. Die Kündigungsfrist beträgt drei Jahre, ansonsten ist der Vertrag unbefristet.
Kommentar: Ein riskantes Bekenntnis
Am 19. August 2019 beginnt seine Amtszeit
Die neue Ära beginnt offiziell am 19. August 2019. Dann tritt Petrenko sein Amt bei den Philharmonikern an. Es fühle sich „gut“ an, sagt der designierte Chefdirigent nach der Unterzeichnung, und er freue sich „auf die Konzerte“. Es sind knappe Sätze. Es dauert etwas, bis der Dirigent auftaut. Er ist ohnehin weder als Redner noch als Charmeur bekannt. Jenseits des Dirigentenpults geht er selten aus sich heraus.. Vor einigen Jahren habe er sich entschieden, keine Interviews mehr zu geben, erklärt er auf der Pressekonferenz. Ihm gegenüber sitzen viele Menschen, die gern ein Interview mit ihm führen würden. Gesprächsverweigerer werden nicht gerade geliebt.Es sei eine sehr persönliche Entscheidung gewesen, erklärt Petrenko, weil er über seine Arbeit nicht sprechen möchte. Dabei soll es künftig in Berlin bleiben, aber einmal im Jahr wird es eine Pressekonferenz geben.
Seine Erklärungen klingen freundlich und verbindlich, auch wenn sie in dieser Runde nicht jedem gefallen. Darüber hinaus will er die hauseigene Digital Concert Hall als „fantastisches Medium“ nutzen. Dort wird es PR-Interviews geben.
Petrenko will eine starke Intendantin an seiner Seite
Er brauche eine starke Persönlichkeit neben sich, hat er zu Andrea Zietzschmann gesagt. Petrenko saß natürlich mit in der Findungskommission für die Neubesetzung des Intendanten. Seines Intendanten. Die Gespräche mit Andrea Zietzschmann begannen etwa im Mai, kurz vor der Sommerpause. Dann gab es viele Gespräche und Verhandlungen. Die Musikmanagerin unterschreibt am Donnerstag zeitgleich ihren Vertrag, einen in bewährter Schnupperkurslänge, als neue Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker. „Ich habe das Gefühl, dass wir zusammen viel erreichen können“, sagt Petrenko über die Philharmoniker. An seiner neuen Intendantin lobt er die „wahnsinnigen Erfahrungen“. Und vor allem könne man menschlich gut miteinander. Darüber hinaus sei man auch von der Generation her nicht weit entfernt, sagt Petrenko, Jahrgang 1972. Andrea Zietzschmann ist gerade mal zwei Jahre älter.
Orchestervorstand Knut Weber hebt denn auch den Generationswechsel hervor. Bei den Musikern würden ständig die Älteren gehen und Jüngere kommen. Die Neubesetzung passt also. Der philharmonische Cellist kennt „die Andrea“ noch aus der Zeit beim Gustav Mahler Jugendorchester. Dann habe sie das Mahler Chamber Orchestra gegründet. Offiziell hat das natürlich Claudio Abbado getan. Mach mal, habe er zu Andrea Zietzschmann gesagt, erzählt Knut Weber. Und sie hat es gemacht. Der Philharmoniker findet das beeindruckend.
Andrea Zietzschmann ist die neue Intendantin
Ihre Nähe zu Abbado, dem früheren Chefdirigenten, der zur Legende geworden ist, bleibt ein Pfund, mit dem sie künftig wuchern kann. Andrea Zietzschmann weiß, dass sie Repräsentationsaufgaben übernehmen muss. Was Petrenko nicht sagen will, wird sie verkünden. Offiziell wird sie den amtierenden Intendanten Martin Hoffmann im Sommer 2017 ablösen.
Einiges wird sich verändern, gerade auch habituell. Das philharmonische Gardemaß in den Chefetagen wird kleiner. Der scheidende Chefdirigent Simon Rattle erschien stets rank, weltläufig und offenherzig, sein Intendant Hoffmann ebenso. Petrenko wirkt kleiner und verschlossener. Andrea Zietzschmann und er sind ungefähr gleich groß. Petrenko hat die Philharmoniker bisher erst dreimal dirigiert. Ein weiteres Konzert hat er kurzfristig wieder abgesagt. Von Rückenschmerzen war die Rede. Wenn er an diesem Donnerstag in seinem eleganten grauen Anzug zum Podium hoch geht, wirkt er voller Spannung, als würde er regelmäßig Krafttraining machen.
Russische Musik bezeichnet er als Teil seiner DNA
Beim Briten Simon Rattle wurden die philharmonischen Pressekonferenzen auf Englisch abgehalten. Petrenko spricht fließend und ein sympathisches Deutsch, wenngleich mit Akzent. Das Russische bleibt immer im Hintergrund. Auf die Frage, wie russisch die Berliner Philharmoniker künftig sein werden, lächelt er. Dann meint er, die russische Musik sei Teil seiner DNA und er „werde starke Akzente setzen“. Aber über konkrete Pläne, über das Repertoire, will er sich erst auf seiner nächsten Pressekonferenz im Frühjahr 2019 äußern. Zumindest gibt Petrenko ein klares Bekenntnis ab, dass er die Educationprojekte „ganz wichtig“ findet und weiterführen werde.
Nach bereits etwa einer halben Stunde muss der Neue weiter. Er wirkt gut gelaunt, der Termin ist für ihn insgesamt gut laufen. Auf der Treppe halten ihn zwei Fotografen kurz an. Petrenko wirkt hin- und hergerissen, aber eigentlich ist er in der Stimmung für ein Foto im Foyer. Es kommt nicht dazu, zwei PR-Frauen stellen sich dazwischen und ziehen ihn weg.