Abschieds-Interview

Dagmar Reim: „Die schnellsten 13 Jahre meines Lebens“

| Lesedauer: 9 Minuten
Susanne Leinemann und Matthias Wulff
Vor dem suhrkampschönen Bücherregal in ihrem Büro: Intendantin Dagmar Reim. Ende Juni ist Schluss

Vor dem suhrkampschönen Bücherregal in ihrem Büro: Intendantin Dagmar Reim. Ende Juni ist Schluss

Foto: Ricarda Spiegel

Das Abschieds-Interview: Intendantin Dagmar Reim blickt auf ihre Zeit beim Rundfunk Berlin Brandenburg zurück

Dies ist ja ein Abschlussinterview. Schon nostalgisch?

Dagmar Reim: Nein. Aber es gibt immer mehr Dinge, die ich jetzt zum letzten Mal mache. Immer öfter heißt das Vorzeichen: „Das letzte Mal.“ Das ist noch kein Grund zur Nostalgie.

Aber Wehmut empfinden Sie schon …

Es gibt ja viele Menschen, mit denen ich gerne zusammengearbeitet habe. Die werde ich vermissen.

Waren Sie überrascht im Nachhinein, dass es am Ende fast drei Amtszeiten waren?

Ja! Es waren die schnellsten dreizehn Jahre meines Lebens.

Haben Sie denn schon einen Plan für den Tag danach? Kreuzfahrt gebucht?

Nein, nein – und es ist auch keine Weltumrundung im Einhandsegler geplant. Ich habe mich bislang geweigert, einen Plan für den Tag danach zu machen.

Sie haben ja unerwartet vorzeitig aus privaten Gründen Ihr Amt aufgegeben. War das auch ein Glück für den RBB – die Nachfolgediskussion war damit kurz und heftig.

Ich weiß es nicht genau. Aber im Grunde finde ich es immer besser, einen Termin selbst zu setzen. Selbst zu entscheiden, wann Schluss ist.

Was sagen Sie zu Ihrer Nachfolgerin, Patricia Schlesinger?

Ich freue mich über sie, ich freue mich sehr.

Frau Schlesinger werden drei Attribute zugeschrieben: durchsetzungsstark, meinungsfreudig, direkt. Klingt vertraut.

Der „Stern“ würde sagen: Drei sind ein Trend. Jetzt haben wir erst einmal zwei.

Und vor allen Dingen wird immer das gleiche Modell Frau hier beim RBB gewählt.

… das Modell Frau, aus Hamburg importiert.

Aber ist es nicht bitter für einen so großen Sender wie den RBB, mit seiner einzigartigen Ost-West-Mischung, dass kein Nachfolger aus dem Haus gestellt wird? Sondern wieder jemand aus Hamburg kommt?

Ich glaube, es kommt häufiger jemand von außen als von innen – gerade auch bei der ARD.

Patricia Schlesinger kommt ja vom Fernsehen. Eine Erwartung an sie ist: Das Fernsehen des RBB muss besser werden.

Was heißt besser werden? Dieselben Menschen, die geschrieben haben, das Fernsehen des RBB sei schlecht, sagen der ARD generell – und manchmal auch uns – Quotengeilheit nach. Wenn wir also 0,4 Prozent schlechter sind als der Nachbarsender, ist das Fernsehen dann schlecht? Ich bestreite diese These.

Aber es geht ja auch um die Qualität. Ein Medienjournalist schrieb vorwurfsvoll: Die Hauptstadt strahlt nicht in den RBB und der RBB strahlt nicht in die Hauptstadt.

Nach meinen 13 Jahren Berlin-Kenntnis sage ich: Berlin ist eine wunderbare, riesige Stadt, die aus sehr vielen kleinen Dörfern besteht. Und natürlich muss der RBB Spandau zeigen, aber er muss auch Mitte zeigen. Dazu kommt: Er muss auch Prenzlau, Perleberg und Cottbus abbilden. Das ist eine ziemlich schwierige Aufgabe. Und jetzt überlegen Sie, ob der Hipster aus Mitte mit diesem Knödel auf dem Kopf ein Programm teilen würde mit einem Datschenbesitzer in Spandau. Eher nicht. Das bedeutet, wenn Sie Programm machen für diese Stadt, können Sie es nicht allen recht machen. Sie müssen versuchen, so etwas wie Schnittmengen herzustellen.

Bei der Abendschau gelingt das offenbar. Die Quoten sind gut.

Die Abendschau ist mit ihrer neuen Chefin Anna Kyrieleis einen deutlichen Schritt in Richtung Modernisierung gegangen. Das war wichtig. Ich höre viel Resonanz auf die Abendschau. Von „total trutschig“ bis „ja, das ist meine Stadt. Das ist Berlin – in seiner Vielfalt“. Die Abendschau ist eine elektronische Abendzeitung. Sie ist kiezig und sie ist mittig zugleich. Sie ist für kleine Gruppen in dieser Stadt und für die große Mehrheit. Und – das gebe ich gern zu – ist im Gesamtprogramm so noch nicht gelungen. Daran arbeiten wir.

Was ist denn mit dem Hauptstadtstudio?

Wir sind beim Hauptstadtstudio der Federführer, wir sind zuständig. Ich unterzeichne beispielsweise die Reiseanträge der Kollegen dort, und ich beantworte mögliche Programmbeschwerden über Beiträge, die dort entstehen.

Das heißt, die Verantwortung des RBB wird immer dann wirksam …

… wenn es unangenehm wird.

Aber davon merkt man als Zuschauer nichts – das Hauptstadtstudio verbindet man mit dem WDR. Nie mit dem RBB.

Das wird sich ändern.

Die gute Nachricht ist ja, dass die Radiosender gut dastehen.

Ja, ich freue mich über unsere Radios. In diesem sehr harten Konkurrenzkampf am Radioplatz Berlin sind die Programme des RBB, wie ich finde, unverwechselbar. Um Radioeins beneidet uns die ganze ARD, das Inforadio ist hervorragend. Und Fritz …

… wird vielleicht auch mal wieder von mehr Leuten gehört werden.

Das wäre gut.

Fritz ist der einzige Problemsender, oder?

Ich denke, auch unser Kulturradio muss sich neu aufmachen, wieder mal die Zukunft zu gewinnen. Es gibt eine neue Generation, die es gilt, für Kultur zu gewinnen. Das kommt nicht von selbst.

Das heißt, das Kulturradio muss jünger werden?

Wenn Sie sich, wie ich, in den Konzertsälen und den Theatern dieser Stadt tummeln, dann sehen Sie zu wenige Leute um die vierzig. Es gibt so etwas wie einen Generationenabriss.

Wenn man interessante neue Gesichter nimmt wie Jan Böhmermann, Olli Schulz oder Joko und Klaas, dann werden die leider nicht vom RBB produziert.

Herr Böhmermann und Herr Schulz haben ihre Karriere bei Radioeins begonnen.

Und jetzt sind sie zu Spotify gewechselt.

Man darf niemanden kritisieren, der der Spur des Goldes folgt.

Ist es die Rolle des RBB, junge Talente aufzubauen, und dann werden sie weggekauft?

Das ist normal. Ein kleiner Sender ist immer eine Krabbelgruppe. Anne Will, Johannes B. Kerner, Steffen Simon kommen von hier. Das freut mich. Man sollte nicht so vermessen sein zu denken: Große Talente können wir in einem kleinen Sender für immer halten.

Apropos Spotify. Radioeins weigert sich inzwischen, die Playlists dorthin abzugeben.

Wieso sollten wir denen unser gutes Produkt kostenlos liefern? Wieso? Und das, wenn sie uns sehr gute Protagonisten mit sehr viel Geld wegkaufen.

Letztes Jahr wurde viel über die Medien diskutiert, es gipfelte im Vorwurf „Lügenpresse“. Hat Ihnen das mal zugesetzt?

Es stimmt, wir bekommen sehr viel aggressivere Fundamentalkritik zu hören. Es gibt Menschen, die sind definitiv nicht mehr zu erreichen. Aber wir dürfen das nicht überbewerten. Es gibt viele, die weiterhin ansprechbar sind. Das heißt, wir müssen uns die Arbeit immer schwer machen. Und die Differenzierung nicht vergessen.

Differenzierung war im letzten Flüchtlingssommer nicht gerade die Stärke in den Medien. Es dominierte Euphorie.

Es mag sein, dass wir den positiven, den Stimmen, die von euphorischen Erwartungen sprachen, zunächst etwas zu viel Raum gegeben haben. Aber – und das ist der wichtige Punkt für mich – ich unterstelle keinem meiner Kolleginnen oder Kollegen, absichtsvoll die Welt schöner zu malen, als sie ist. Wir haben alle, denke ich, Lehrgeld bezahlt in diesem Jahr, das hinter uns liegt in Deutschland. Wobei unsere Berichterstattung vom Lageso sehr gut war.

Inwiefern …

Da gab es in der Gesamtheit keinen falschen Ton. Es ging nicht gegen Flüchtlinge, nicht gegen die, die keine Flüchtlinge wollten. Es ging gegen ein eklatantes Problem, das wir in dieser Stadt mit der Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge hatten.

Am Schluss noch mal zu Ihnen. Haben Sie nicht Angst, nach dem Aufhören in ein Loch zu fallen? Sie haben doch oft 16-Stunden-Arbeitsage gehabt.

Vor allem arbeite ich seit 42 Jahren ohne Pause. Ich habe immer nur angefangen. Das Aufhören werde ich jetzt lernen. Aber ich habe keine Angst davor. Mein Leben ist ja dann nicht leer. Ich habe dieselben Freunde, die ich vor 30, 40 Jahren hatte. Der Kontakt war immer eng.

Aber stiller wird Ihr Leben schon werden.

Es ist so: Man lernt ja viele Menschen im Beruf kennen. Und keiner sagt irgendein freundliches Wort zu mir, weil ich so schöne grüne Augen habe. Sondern viele sprechen freundlich mit mir, weil sie den RBB meinen. Damit ist Schluss am 30. Juni. Das ist mir völlig klar. Dann reden sie freundlich mit Frau Schlesinger. Und das ist auch gut so.