Film

Verkehrter „Tatort“: Ulrich Tukur spielt Ulrich Tukur

| Lesedauer: 5 Minuten
Felix Müller
Diesmal gehts ihm selbst an den Kragen: Ulrich Tukur (r). Der „Tatort“-Kollege Wolfram Koch ist ihm dabei keine große Hilfe

Diesmal gehts ihm selbst an den Kragen: Ulrich Tukur (r). Der „Tatort“-Kollege Wolfram Koch ist ihm dabei keine große Hilfe

Foto: ARD / HR/Kai von Kröcher

Satire und Philosophie: Der Wiesbadener „Tatort“ handelt davon, wie ein „Tatort“ entsteht. Dabei sind auch andere Kommissare zu Gast.

Die Wiesbadener „Tatort“-Folgen mit dem dandyhaften Felix Murot alias Ulrich Tukur tanzen gern aus der Reihe. Das konnte man schon in der letzten Episode mit dem anspielungsreichen Titel „Im Schmerz geboren“ besichtigen, die eine Art Cocktail aus ungezählten Gewalt-Erzählungen vom Nibelungenlied bis zu Quentin Tarantino war, garniert mit allerlei Shakespeare-Klimbim.

Das war im hohen Maße albern und doch auch sehenswert: Weil es so verliebt war in die Historie des Films, voller Energie steckte und in Ulrich Matthes einen brillanten Bösewicht gefunden hatte.

Der Darsteller kann sich an nichts erinnern

Auch diesmal dürften einige am Sonntagabend irritiert aus dem Sofa hochschrecken. Denn Ulrich Tukur spielt diesmal gar nicht Felix Murot, das wird nach fünf Minuten klar. Er spielt einen Schauspieler namens Ulrich Tukur, der einen „Tatort“ dreht.

Der Film imitiert einen Blick hinter die Kulissen deutscher Fernsehproduktionen. Und auch da, lernen wir, geht es manchmal tödlich zu: Ein Mitarbeiter der Aufnahmeleitung ist nachts mit dem Auto tödlich verunglückt. Ulrich Tukur war offenbar der Letzte, der ihn lebend gesehen hat. Aber er kann sich an nichts erinnern. Der Kommisarsdarsteller gerät selbst unter Mordverdacht.

Die Dreharbeiten werden unterbrochen, und Tukur kriegt es mit einer Menge alter Bekannter zu tun: Mit Martin Wuttke (Martin Wuttke) etwa, der seit seinem Ausstieg aus dem Leipziger „Tatort“ unter Geldnot leidet. Oder mit Wolfram Koch alias Felix Brix aus Frankfurt, der sich ebenfalls selbst spielt und einen etwas altmännerhaften Zotenhumor pflegt.

Oder dessen Filmpartnerin Margarita Broich, die mit ihm so gar nichts anfangen kann und im wahren Leben wiederum mit Martin Wuttke verheiratet ist. Es sind Schauspieler, naturgemäß eitel, hungrig nach Ruhm und Ehre, auch missgünstig gegenüber den Erfolgen anderer. Daraus hätte man viel machen können.

Eine Serie aus England hat das vor ein paar Jahren sehr lustig demonstriert. „Extras“ hieß sie, hinter ihr steckten der Komiker Ricky Gervais und der Autor Stephen Merchant, die sich bereits das „Stromberg“-Vorbild „The Office“ ausgedacht hatten.

„Extras“ stellte die Statisten in den Mittelpunkt, die in jeher großen Filmproduktionen gebraucht werden – aber nur dafür, einmal kurz durchs Bild zu laufen, ein Gesicht in einer Massenszene zu sein oder dem Star aus der Jacke zu helfen.

Das war sehr liebevoll erzählt und wurde schnell urkomisch, weil in jeder Folge Weltstars wie Kate Winslet, Ian McKellen oder Patrick Stewart in Nebenrollen auftauchten und sich genauso verhielten, wie man es von Hollywooddiven erwartet: egoman, rücksichtslos, arrogant.

Die Idee hat sich in Deutschland in Gestalt der etwas blassen ZDF-Serie „Lerchenberg“ fortgepflanzt, wo man zwar nicht Kate Winslet in der Rolle der Kate Winslet, aber immerhin Sascha Hehn in der Rolle des abgehalfterten Schauspielers Sascha Hehn vorgeführt bekam, der grimmig seine Neurosen pflegte.

Und auch diesem „Tatort“ (Buch und Regie: Bastian Günther) hat sie erkennbar Pate gestanden. Wenn es gut läuft, kann man daraus eine schöne Mediensatire machen, im besten Fall grundiert von den philosophischen Fragen nach Identität, die der Beruf des Schauspielers mit sich bringt: Denn natürlich kann niemand sich selbst „spielen“. Auch die noch so überzeugend wirkende Selbstdarstellung bleibt immer eine Fiktion.

Nervöse Künstler, die dauernd intrigieren

Das hilft auch diesem „Tatort“ lange Zeit über die Runden. Interessant an ihm ist vor allem der Vergleich: Bei Margarita Broich, Martin Wuttke und Wolfram Koch haben wir ihren Auftritt als harte, mitunter zynische Ermittler noch gut in Erinnerung – nun sehen wir sie als nervöse Künstler, die sich immerzu unterschätzt wähnen und gern auch mal gegeneinander intrigieren.

Bei Tukur kann man sogar in derselben Folge mitansehen, wie weit seine schauspielerischen Fähigkeiten reichen: Der immer etwas satte, selbstzufriedene Grandseigneur Murot auf der einen Seite und der verhuschte, an sich selbst zweifelnde, manchmal fast unsichtbare Schauspieler Tukur auf der anderen.

Darin liegt eine sympathische Selbstironie, aus der man aber wohl mehr hätte machen können. Das Drehbuch stützt sich zu stark auf die durchschaubare Kriminalgeschichte, die es womöglich gar nicht gebraucht hätte. Der „Tatort“ versucht sich immer wieder neu zu erfinden, aber an sein uraltes Grundschema, den Dreiklang Tod-Ermittlung-Aufklärung, hat noch kein Autor je gerührt. So wirkt diese Folge manchmal, als würde in einer modernen Luxusyacht ein alter Zweitaktmotor tuckern.

Die Narzissmen der Schauspieler erreichen nicht immer komisches Niveau. und zur ungewollten Ironie dieses Films gehört, dass ausgerechnet die beiden noch nicht allzu bekannten Polizistendarsteller Sascha Nathan und Yorck Dippe am stärksten überzeugen. Das ist nicht schlimm. Es ist nur ein bisschen schade.

„Tatort: Wer bin ich?“ ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.