Er ist ein Zen-Meister im Anzug eines Jazzers, einer der größten Sänger der Popgeschichte - Van Morrison sang in der Zitadelle Spandau.
Van Morrison spielt, man muss es mal sagen, nicht viel besser Saxophon als Woody Allen Klarinette spielt. Braucht er auch nicht. So wie Woody Allen den meisten Leuten zu Recht eher als Filmregisseur bekannt ist, ist Morrison vor allem einer der größten Sänger der Pop-Geschichte. Und das seit beinahe 50 Jahren. Punkt. Da stört es wenig, dass es am Getränkestand der Zitadelle Spandau neben Schultheiss nur Schultheiss zu kaufen gibt. Es stört auch nicht, dass im Minutentakt Flugzeuge aus Tegel hinter der Bühne abtauchen, dass das Publikum, 55 plus, eine Funktionssandalen-Invasion lostritt und Jungs, die in Bob-Dylan-Shirts lässig zusammen mit ihren Papas Zigarillos rauchen, ihnen auf erschreckende Weise ähnlich sehen.
Es ist eigentlich zu früh, ja, es ist zu hell für den Blues. Doch selbst das stört nicht. Van Morrison kommt auf die Bühne: schwarzer Anzug, Sonnenbrille, Gangster-auf-Urlaub-Hut. Nichts davon wird er ablegen in den nächsten 100 Minuten, nicht mal das Jackett aufknöpfen. Er wird nur später zwei Mal „Danke schön“ sagen. Sonst nichts, jedenfalls nicht zum Publikum. Warum auch. Er ist ja zum Singen da.
Popmusik ist Arbeit
Das beginnt mit Bar Jazz, entspannt, fast unambitioniert. Vans technisch perfekte Band klingt, als spiele sie in einer Hotel-Lounge zwischen zwei Sets mal ein bisschen was zum eigenen Vergnügen. Während Paul Moran ein Solo in die gedrechselte Hammondorgel tippt, schreibt Morrison noch schnell irgendwas auf einen Zettel. Pünktlich zum nächsten Einsatz steht er aber wieder am Mikro. Dieses Understatement, das man selten findet im Pop: Bloß nicht so tun, als ginge es hier um irgendwas anderes als Arbeit.
Morrison, für seine schlechte Laune berühmt – der Fanmund sagt: je schlechter die Laune, desto besser das Konzert – beginnt mit minimaler Mimik, kleinen herrischen Gesten. Die Band steht im Halbkreis um ihn herum, immer auf der Hut. Noch in den letzten Takten eines Songs ruft er irgendwem den Titel des nächsten zu. Kurzes Panikmoment, eine winzige Pause – und weiter geht’s. R’n’B, Soul, Jazz und Popsongs folgen einander nahtlos. Als wäre man zu Gast bei einer besonders präzisen Jam Session.
Morrison stimmt seinen Mund wie ein Instrument
Wenn er nicht singt, macht Morrison manchmal Bewegungen mit dem Mund, als würde er sich die nächsten Töne zurechtlegen. Als stimmte er sein Instrument. Und auch wenn er viel Altsaxophon spielt an diesem Abend, gern mal die Mundharmonika rausholt und gegen Ende sogar die E-Gitarre – er kann seine Jahrhundertstimme einfach nicht verstecken. Sie ist rau und strahlend zugleich, bellend und klar, voller Kraft und Wissen, Jugendlichkeit und Trauer.
„Baby, please don’t go“ singt er fast wie vor 51 Jahren, singt es durch das Mikrophon, das für die Harmonika gedacht ist: blechern und schneidend, eine Erinnerung an knisternde Monoplatten, an die Zeiten vor CDs, iPods, Internet und dem ganzen neumodischen Quatsch. Tief getaucht ist diese Stimme in Morrisons eigene Version der Musikgeschichte – ein Ire mit Blues. Ein Dichter auch, der ein Zen-Meister ist, im Anzug eines Jazzers. Beim Klassiker „Moondance“ verschleift Morrison den Text so stark, das es kaum noch Worte sind. Dann folgt einer dieser La-la-la-Teile, die er liebt. Da ist seine Stimme ganz bei sich: ein Instrument, das jeden Inhalt transzendiert. In solchen Momenten könnte er genau so gut den Wetterbericht singen oder die Wochenendausgabe einer Tageszeitung.
Sommerregen und Liebemachen
Morrison springt durch die Stile, die Jahrzehnte. Ein Blick auf die Statistik: 21 Stücke von 16 Alben. Nach einem wunderbar federnden „Enlightenment“ nimmt die Band mit „Real Real Gone” Fahrt auf. Bei „Think Twice Before You Go“ packt Gitarrist Dave Keary doch noch den Verzerrer aus. „Brown Eyed Girl“ singt Morrison wie ein Kinderlied, was es letztlich auch ist – ein im besten Sinn naives Stück über Sommerregen und Liebemachen. Einmal wischt er sich den Schweiß von der Stirn, zieht sich die Hose hoch. Zweimal sagt er während eines Gitarrensolos „Yeah“. Muss ein guter Tag sein. Dem Konzert schadet es nicht.
Gegen Ende spielt er noch eines dieser langen Mantras: „And the Healing Has Begun“. Eines der Stücke, in denen Morrison sich in Trance singt, in denen Mystik, Erotik und Rock’n’Roll ineinander fließen. Wen kümmert’s, dass die Akkorde fast dieselben sind wie im Song zuvor? Morrison spielt ein Solo auf der gelben Gibson, roh und simpel, als säße er vor einer Blechhütte am Mississippi und die Geister von Muddy Waters und Ray Charles stünden neben ihm und grinsten. Dann legt er den Kopf in den Nacken und lässt seine Stimme los. Lässt sie machen, was sie will.