Kunsthistoriker Horst Bredekamp über den neuen Intendanten für das Humboldt-Forum. Er kennt den Museumsmann aus London schon lange. Ein Treffen in der Humboldt-Box am Schloss.

Horst Bredekamp, 67, ist der Berliner Statthalter im Intendantenteam mit Neil MacGregor und Hermann Parzinger. Sie sollen das Konzept für das Humboldt-Forum entwickeln. Der Berliner Kunsthistoriker, der seit 1993 an der Humboldt-Universität (HU) lehrt, kennt den Schotten schon lange, die beiden pflegen eine kollegiale Freundschaft. An der HU beschäftigt sich Bredekamp mit der Renaissance, den neuen Medien und politischer Ikonographie. Wir trafen Bredekamp oben auf der Terrasse der Humboldt-Box – mit Blick auf den Rohbau des Schlosses.

Berliner Morgenpost: Die Begeisterung für die Personalie MacGregor in Berlin ist erstaunlich. In London verabschiedet man einen „Hero“, einen „Giganten“. Woher kommt diese Euphorie?

Horst Bredekamp: Er bringt wie kaum ein Zweiter eine weltumfassende Orientierung mit, die vom Commonwealth ausgeht und in der Geschichte der Londoner Sammlungen begründet ist. Die Kolonialgeschichte sieht er kritisch und beleuchtet sie immer wieder in ihrer Größe und Problematik. Nicht ohne Grund wird er im indischen Mumbai das aus der britischen Kolonialzeit stammende CSMVS-Museum bei der Neukonzeption beraten.

Er ist Deutschland gut gesonnen …

Er hat ein starkes Interesse an der deutschsprachigen Kultur und hat in Deutschland studiert. Vor allem aber kennt er Berlin. Er ist einer der besten Kenner des hiesigen 19. Jahrhunderts, ein großer Anhänger von Herder und der Idee des Weltbürgertums, das sich um 1800 entwickelte. Und er ist ein großer Anhänger der Berliner Sammlungen. Diese haben sich aus komplexen Zusammenhängen gespeist, die keinesfalls allein kolonial geprägt waren. Dieses Interesse für die Spezifik Berlins prädestiniert ihn.

Wie haben Sie Ihre Berufung in das MacGregor-Intendanzteam empfunden? Die Ansprüche sind hoch gesteckt.

Ich bin sehr positiv gestimmt. Ich kenne die beteiligten Personen gut, und wir sollten als ein Team zusammenspielen. Wir sind ja nicht als Repräsentanten von Institutionen berufen, sondern als freie Geister, und allein dies sollte die Horizontweite bestimmen. Das gilt insbesondere natürlich für Neil MacGregor.

Der Regierende Bürgermeister hat kürzlich einen Kurswechsel vollzogen. Er will mehr Berlin im Schloss. MacGregor baut an einem Weltmuseum. Wie passt das zusammen?

Michael Müllers Idee stand ich anfänglich sehr kritisch gegenüber, mittlerweile aber überwiegt aus meiner Sicht die Möglichkeit einer neuen Kooperation. In Berlin steigt effektiv jemand ein, während aus London jemand kommt, der seine internationale Perspektive mitbringt.

Wer aber vertritt die Interessen des Regierenden?

Die Humboldt-Universität ist zwar ein autonomes Gebilde, aber selbstverständlich ist auch sie ein Teil Berlins. Insofern ist Berlin mit zwei Partnern vertreten. Was den Druck und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit noch größer werden lässt.

Kriegen wir ein neues Berliner Stadtmuseum im Schloss?

Ich glaube nicht, dass jemand im Kreis um Michael Müller ernsthaft daran glaubt, ein zweites Berlinmuseum zu gründen. Die großartige wie prekäre Rolle Berlins vom 17. bis 20. Jahrhundert sollte das Thema sein. Wenn das Jahr 1933 mit dem folgenden Desaster nicht gekommen wäre, hätte Berlin die Stadt des 20. Jahrhunderts werden können. Die Berliner Universität setzte damals Maßstäbe. Das wurde 1933 zerstört, aus eigener Schuld, an die immer wieder erinnert werden muss. Wenn alles auf das schwarze Ziel Hitler zuläuft, werden die Alternativen und Gegenbewegungen ausgeblendet. Sie gehören aber zum Gesamtbild.

Sammlungen und Berlinausstellung werden sehr eng miteinander verzahnt sein?

Ja, verbunden qua Geschichte. Vor 25 Jahren habe ich die Geschichte der Kunst- und Wunderkammern als vormoderne Museen rekonstruiert, und seither habe ich nicht aufgehört, mich mit diesem Stoff zu beschäftigen. Im dritten Stock des Berliner Schlosses, im Nordostflügel, gab es den großen Bereich der Kunstkammer, von der weitgehend herkommt, was die Berliner Museologie heute ausmacht, das Ethnologische Museum, das Museum für Kunst und Gewerbe, teilweise auch die archäologischen Sammlungen und die Skulpturen aus dem Bode-Museum sowie das Kupferstichkabinett. All das ist aus dem Schloss gleichsam „herausgeschwitzt“ worden.

Bislang blieb das Konzept des Humboldt-Forums leider nebulös, was lief da schief?

Am Anfang, 2001, löste das Projekt in der Öffentlichkeit eine beträchtliche Begeisterung aus. Kein Kaufhaus sollte es werden, keine Tanzschule, kein zweiter Kulturpalast, sondern ein von der Politik unabhängiges Haus mit anspruchsvollem Konzept. Dann kam die Diskussion um Hartz IV, und damit geriet das Schloss in Misskredit. Es geriet ins Abseits, weil es wie ein Luxusdiamant behandelt wurde. Zehn Jahre lang wurde das Schloss als ein überflüssiger Auswuchs ohne Idee dargestellt. Ich habe das als einen populistischen Kurzschluss empfunden.

Berlin hat viele große Museen, wird das Humboldt-Forum genügend Besucher haben?

Dieses Gebäude wird vom ersten Tag an ein Publikumsmagnet werden, und es wird dem Pergamonmuseum Konkurrenz machen. Schon jetzt zeigt der Kubus des Gebäudes, wie sich Berlins Mitte schließt. Wenn Unter den Linden für den Verkehr geschlossen würde, entstände dort eine weltweit einzigartige Situation. Es wäre ein Parcours des Gedächtnisses der Menschheit, wie es einen solchen weder in London noch in Paris gäbe. Es würde eine Sogkraft entfaltet, die wir uns im Moment noch nicht vorstellen können.

Geben Sie ein Beispiel, was zu sehen sein könnte?

Neben und mit den Sammlungen wird es ein anspruchsvolles Programm geben. Höchst anspruchsvoll in der Zuspitzung, höchst populär in der Darstellung.

Da hätte ich gern ein Beispiel, ein Thema?

Ich könnte Ihnen gleich sieben nennen. Ein erstes: die Simulation der Welt im Digitalen und die Rückwirkung auf das Analoge. Dies ist ein historisches Phänomen, das oftmals durchgespielt wurde, zum Beispiel im Barock. Eine Ausstellung im Kulturvergleich wäre großartig.

Und ein zweites, drittes?

Eine Erörterung des sich dramatisch wandelnden Begriffs der Materie in der jüngsten Forschung, vom passiven Erdulden zum aktiven Handeln. Und drittens: die Frage der Zentralperspektive und des Raumbegriffs im Kulturvergleich. Viertens: das Problem der Kartografie, historisch wie aktuell. Warum sind die Karten auf den Nordpol ausgerichtet, warum gibt es in Australien nicht gesüdete Karten? Eine reine Übereinkunft.

Fünftens?

Die weltweiten Bilderkämpfe der letzten 20 Jahre als Epoche eines neuen Bilderkrieges, aber auch die Eigenmacht der Bilder, ihre subversiven, Hierarchien unterlaufenden Qualitäten, ihre Untauglichkeit für Ideologien. Sechstens: die Neubestimmung des Verhältnisses von Nah und Fern, auch über die Wanderschaft von Bildern und Objekten. Dies könnte ein zentrales Thema sein. Und siebtens: die Zukunft der Universität und die Universität der Zukunft. Wenn Sie Parzinger und MacGregor fragen, kriegen Sie aus dem Stand von beiden weitere sieben Themen.