Was Noel Gallagher besser kann als sein Bruder? Hits schreiben und Solo-Erfolge feiern. Im Klappe-Aufreißen sind beide ziemlich gut. Nur mit dem Lampenfieber ist es so eine Sache, da hatte Liam die Nase vorn, weil Noel die Bühne nicht sonderlich mag. Aber als Musiker muss man eben auftreten.
Blöde natürlich, wenn man wie Noel Gallagher ein wenig schüchtern ist und (so heißt es) mittlerweile ganz auf chemische Hilfsmittel verzichtet. Die Wartezeit auf den cleanen Band-Chef vertreibt sich das Publikum im Innenraum der Max-Schmeling-Halle damit, einen ziemlich großen Stoffhund durch die Reihen zu werfen.
Als das Licht endlich ausgeht, geht auch der Hund in der Masse unter. Das Publikum brüllt, die Bühne leuchtet in atmosphärisch blauem Licht. Ungerührt kommt die Band und mit ihr der nüchterne High-Flying-Leader auf die Bühne: Noel Gallagher trägt schwarz, der Videoscreen hinter ihm projiziert eine Wand aus Backsteinen.
Der Abend beginnt mit „Do the Damage“, einem Song seines neuen Albums „Chasing Yesterday“. Das Publikum jubelt, Gallaghers Blick bleibt am Boden, das Publikum wird vorerst ignoriert. So singt er „You Know We Can’t Go Back“, "(Stranded On) The Wrong Beach“ und „Everybody’s On The Run“.
Verwaschener Sound, deutliche Stimme
Noel hat acht Musiker mitgebracht, aber weil der Sound in der Schmeling-Halle gewohnt schlecht ist, hätte er sich die drei Jungs an Saxophon, Trompete und Posaune auch sparen können. Man kann sie im verwaschenen Brei schlichtweg nicht hören. Dafür hört man deutlich, was Noel Gallagher singt. Und für alle, die nicht verstehen, dass es auf „Chasing Yesterday“ um so Universelles wie Vergänglichkeit geht, zeigt die Videoleinwand hinter ihm Erde, All und Sterne. Noel Gallagher starrt immer noch auf den Boden, hat keine Worte fürs Publikum.
Natürlich kokettiert der ältere Gallagher-Bruder mit seinem rumpeligen Grantel-Image. Zuletzt hat er sich mit einer Bemerkung über deutschen HipHop ins Gespräch gebracht. Und während die Eko-Fresh-Fans seine Facebook-Seite mit ellenlangen Anti-Posts überziehen, grinst sich Noel Gallagher einen.
In Wirklichkeit ist der Musiker nämlich ein ganz netter Mann. Zum Stück „Fade Away“ schnallt er sich zum ersten Mal an diesem Abend die Akustik-Gitarre um. Singt von seiner Kindheit, als Fantasie noch Realität war und von der Tragik, dass diese unschuldigen Kinderträumereien irgendwann verschwinden. „Und, wie ist euer Abend so?“, fragt er dann mal beim Publikum nach. Der Abend ist klasse, soll der kollektive Jubel, der im entgegen schwappt, wohl heißen.
Der ältere Gallagher-Bruder ist der begabtere
Auf der Balustrade der Max-Schmeling-Halle hängt eine abgegriffene Oasis-Gedächtnis-Flagge. Natürlich denken sie hier an Oasis. Die Jungs in den Karohemden, die Pärchen in den alten Tour-T-Shirts, die Jeansträger mit Liam-Gedenk-Modfrisur und die Typen in den lindgrünen Parkas. Aber keiner muss sich fragen, ob Noel Gallagher solo wohl gut geht – schon das letzte Album und das ausverkaufte Köln-Konzert vor drei Jahren haben bestätigt, was Noel schon immer wusste und Liam zeitlebens ärgern wird: Der ältere Gallagher-Bruder ist der begabtere. Erfolgreich Hallen bespielen kann er auch alleine.
Mit seinen High Flying Birds macht Noel ohnehin Musik, die nach Oasis klingt. Böse Zungen schreiben, Gallagher sei in seiner Komfortzone stecken geblieben, klinge immer nur nach unaufgeregtem Brit-Pop mit eingängigen Melodien. Hier in der Max-Schmeling-Halle nimmt ihm das keiner übel. Wer will schon wirklich etwas gänzlich anderes von dem Mann aus Manchester hören?
Als dann die alten Oasis-Klopper ertönen („Champagne Supernova“ zum Beispiel), wünscht man sich doch den Liam zurück, wie er in hochnäsiger Ian-Brown-Manier aufs Tambourin schlägt. Und während der ein oder andere noch von „Wonderwall“ träumt, stimmt Noel zur Eröffnung der Zugabensektion „Don’t Look Back In Anger“ an. Natürlich singen alle mit - Oasis forever! Irgendwann wird eine Reunion möglich sein, das hat Noel bereits angekündigt. Dafür muss lediglich genug Geld im Pott liegen.