Im Café „Liebling“ in Prenzlauer Berg ist das Licht schummerig. Gideon Böss bestellt Kräutertee gegen die grassierende Grippewelle, der Tee kommt zügig, den antibakteriellen Honig dazu bleibt man ihm schuldig. Die Musik hier ist ziemlich laut und kippt ins clubbige, abends wird der Raum kurzerhand zur Bar. Die Atmosphäre komplettieren ein Mädchen mit Dutt und einseitigem Undercut, ein Mann mit Vollbart, Hornbrille und Flanellhemd und eine Frau in einem schwarzen Vintage-Herrenanzug und weißem, glattgebügeltem Hemd. Man muss mittlerweile relativ laut sprechen, um sich zu verstehen. Ein etwas schwieriger Ort für ein Interview, wie man leider erst zu spät merkt.
Obwohl sich der Laden mit seinem Namen bereits trefflich anbiedert – es handelt sich nicht um das Lieblingscafé von Gideon Böss. Ehrlich gesagt war er noch gar nie hier. Er wirkt auch nicht wie die aufgestylten Menschen, die ihn umgeben. Der 1983 geborene Autor wirkt vor allem recht ernsthaft, was deswegen nicht überraschend ist, weil sich dieser Charakterzug fast allen Menschen nachsagen lässt, die gemeinhin als witzig gelten. Gideon Böss betreibt einen Blog, der „Böss in der Berlin“ heißt, und nicht sklavisch lustig sein muss, sondern durchaus auch ernsthaft sein darf. Sein erster Roman heißt „Die Nachhaltigen“, bei dem es sich um ein satirisches und außerordentlich lustiges Buch handelt.
Auch Bastian, der Protagonist aus „Die Nachhaltigen“, würde sich nicht ins Café „Liebling“ setzen. Bastian ist lieber in seinem vollgestopften Zimmer in Marzahn, da wo es nur ganz wenige Hipster gibt und die Mieten wirklich noch billig sind. Anstatt Sanddornsaft zu trinken, träumt Bastian von Lena, die dem Pseudoaktivismus frönt. Seitdem Lena Bastian in einer Fußgängerzone angesprochen hat, um ihn als Parteimitglied der Nachhaltigen zu werben, ist er schwer verliebt. Dummerweise ist Lena bereits vergeben. An Rüdiger, der sich unter anderem durch eine spektakuläre (und selbstverständlich vorgetäuschte) Geiselnahme am Stuttgarter Hauptbahnhof einen Namen in der Aktivistenszene machen konnte und nun in Berlin eine Partei gründen will. Um Bastians aussichtslos scheinende Liebe rankt sich eine Geschichte über Berlin, Politik und den ungewollten Witz von blindem Aktionismus.
Aufgebrachte Meute
Bastian beschließt Lena mit einem selbst geschriebenen Theaterstück zu beeindrucken, das er trotz nicht vorhandener Erfahrung kurz entschlossen auch gleich selbst inszeniert. Als er einen schwarzen Schauspieler, der in seinem Stück den Hitler spielen will, ablehnt, hat das dustere Kellertheater, dessen Toiletten ins angrenzende Reisebüro ausgelagert sind, einen handfesten Skandal. Nicht einmal Bastians Einwand, dass ein Hitlerbart nun einmal auf schwarzer Haut schwer zu erkennen sei, will die aufgebrachte Meute beruhigen, die sich von nun an, mit allerlei anklagenden Plakaten bewaffnet, vor dem Theater aufbaut.
Parteigründung und Wutbürgerparolen sind Themen, die einen süddeutschen Hintergrund beim Autoren Böss vermuten lassen. Den hat er zwar, aber sonderlich nah war ihm Süddeutschland nie. Das Thema habe sich aufgedrängt, befindet er. „Ich fand vor allem die Grundidee spannend. Nämlich ausgehend von einem schwarzen Schauspieler, der für die Rolle des Adolf Hitler abgelehnt wird, einen Rassismusskandal zu konstruieren. Ich habe in die Geschichte die typischen Reflexe von empörungsbereiten Bürgerbewegungen eingebaut. Unsere Gesellschaft ist ja nicht so eindimensional, wie sie durch den Tunnelblick solcher Gruppen wirkt. Dazu kommt, dass die Stuttgart-21-Gegner, die ich im Prolog beschreibe, genauso wie viele andere Bürgerbewegte, furchtbar verbissen und humorlos sind. Dadurch merken sie nicht, wie lächerlich manche ihrer Protestformen sind.“ Anstelle von Piratenpartei und süddeutschem Wutbürgertum stehen heute Themen wie die Angst vor Terror, Pegida-Front oder Islamisierungsdebatte im Vordergrund. Trotzdem sind Böss’ „Nachhaltige“ aktuell, weil sich das Buch unter anderem an einer verbissen geführten Rassismusdebatte abarbeitet.
Dass Böss’ Geschichte nur in Berlin spielen kann, sei logisch. „In Berlin findet sich die skurrilste Vielfalt an Subkulturen, die sowohl lustig, irre oder bizarr sein können. Alle haben eine unfassbare Bandbreite an Ideen, wie man die Stadt, die Politik oder die gleich die ganze Welt verändern könnte.“ Böss hat seine ersten Lebensjahre in Mannheim verbracht. Abi machte er dann in Oggersheim, 500 Meter von Helmut Kohls Bungalow entfernt. Hannelore konnte man im Supermarkt antreffen, Helmut bei Spaziergängen im Ried beobachten. Gerne nutzen Böss’ Gymnasiallehrer die Nähe zum Ex-Kanzler. Am liebsten während Klassenfahrten, weil man rund um dessen Straße, wegen des ausgedehnten Polizeischutzes, besonders sicher parken konnte. Nach Berlin kam Böss wegen eines Praktikums. „Als ich hier ausgestiegen bin wusste ich genau, dass ich bleiben muss“. Es hätte nicht zwingend der Prenzlauer Berg sein müssen, aber mit seinem jetzigen Bezirk ist Böss völlig zufrieden.
Die Angst nach den Attentaten
Vor Wutbürgern braucht man als Satiriker wohl keine Angst zu haben, auch nicht als Satiriker nach „Charlie Hebdo“. „Insgesamt hat sich natürlich schon etwas an der Situation geändert. Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ wird zwar propagiert, es dürfe sich nichts ändern und man werde sich nicht einschüchtern lassen, aber ich glaube das stimmt nicht. Ich glaube, alle haben Angst davor, kritische Themen anzufassen, nachdem wir jetzt gesehen haben, was passieren kann. Auf das Buch reduziert, hat sich allerdings nichts für mich verändert. Ich könnte es jetzt so wieder schreiben.“