Der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg deutet in der Deutschen Oper Berlin Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ als spannendes Sex-and-Crime-Drama.
Die Idee mit den Fischen sei ihm in Berlin gekommen, erzählt Ole Anders Tandberg. In Frank Castorfs Volksbühnen-Inszenierung von Ibsens „Die Frau vom Meer“, die er in den 90er-Jahren sah, wurden noch viel fragwürdigere, laszivere Dinge mit Fischen angestellt, als er es in seiner Schostakowitsch-Inszenierung wagen würde, so der norwegische Regisseur.
In der mit der Oper in Oslo koproduzierten Neuinszenierung der „Lady Macbeth von Mzensk“ haust die Heldin auf einem Haufen dicker Dorsche. Die glitschigen Dinger sind riesig und werden von den Chorsängern ausgiebig befingert und in die Hand genommen. „Eine Reminiszenz an Norwegen“, erklärt Tandberg.
In seiner skandinavischen Heimat repräsentiert die Fisch-Industrie immer noch den zweitgrößten Arbeitgeber des Landes („gleich hinter der Öl-Industrie“). Fragt sich, was uns das in Berlin angeht?! Auf die Frage, ob er bei der Vorbereitung der Osloer Premiere gewusst habe, dass die Produktion nach Berlin an die Deutsche Oper reist, sagt Tandberg: „Aber gewiss doch! Das ist ja gerade der Sinn der Sache.“
Alle Künstler schöpfen aus dem kleinen, feuchten Loch, in dem sie nun einmal sitzen. Nichts dagegen! Aus genau diesem Grunde sagt Tandberg: „Wir fanden es richtig, als Norweger aus einer norwegischen Perspektive unsere Geschichte zu erzählen.“ Er und sein Team dachten, so würde es „am Interessantesten für das Publikum“.
Ein Stück über die Liebe?
Keine Frage, dass der Kabeljau ein Symbol für die sexuellen Wünsche der Titelheldin ist; eben jene Triebe, die in Schostakowitschs wichtigster Oper zur Katastrophe führen. Eine feuchte Spur in den Untergang.
Grundsätzlich, so gibt auch Tandberg zu, handelt es sich bei der „Lady“ um eine simple Mord-Geschichte darüber, wie man einen lästigen Ehemann aus dem Wege schafft. Katerina bringt ihren Ehemann mit Hilfe ihres Liebhabers schlicht um die Ecke. „Ein Stück über die Liebe“, so Tandberg. In Wirklichkeit gehe es bei Katerina darum, „wie man erfolglos vermeidet, ein Monster zu werden“. Die Heldin lebe in einer chauvinistischen Welt zwischen impotentem Ehemann und sexuell übergriffigem Schwiegervater. Ihr Liebhaber werfe sie später weg wie eine ausgelutschte Zitrone.
Zwischen Triumph und Drangsalierung
Der reißerische Stoff, basierend auf einer Novelle des großen russischen Erzählers Nikolai Leskow, war für Schostakowitsch 1934 ein großer Uraufführungstriumph. Und Anlass für die nachhaltige Verfolgung und Schikanierung des Komponisten. Wenige Tage nach der Uraufführung im Leningrader Maly-Theater sah Josef Stalin, abgeschirmt hinter einer Stahlwand in seiner Loge im Bolschoi-Theater, die Moskauer Premiere des Werkes. Ein dekretierter und lancierter Hetzartikel unter dem berühmt gewordenen Titel „Chaos statt Musik“ bereitete dem Publikumserfolg ein abruptes Ende. Die Oper wurde vom Spielplan verbannt. Für „Schosto“ nahmen die Drangsalierungen und künstlichen Behinderungen fortan kein Ende mehr.
Das Verbot des Werkes in der UdSSR wurde erst 1963 aufgehoben, nachdem Schostakowitsch sich zu einer Umarbeitung entschlossen hatte. Die instrumental und erotisch entschärfte Version unter dem Titel „Katerina Ismailowa“ wird heute kaum noch gespielt. Weil sie als korrumpiert gilt. Auch für Tandberg war die revidierte Fassung „keine Option“, wie er sagt. „Nicht nur aufgrund der politischen Geschichte der Oper, sondern auch musikalisch-sexuell“. Wie bitte?!
Musik beschreibt den sexuellen Akt
Die Sache ist die, dass am Ende des 1. Aktes die erotische Vereinigung zwischen Katerina und ihrem Liebhaber so detailliert auskomponiert wurde – und zwar nur in der Originalfassung! –, dass man jedes kleinste sexuelle Detail musikalisch mitvollziehen kann. „Sie hören da alles“, so Tandberg, „von der rhythmischen Vereinigung der Körper über den Orgasmus und die Ejakulation bis zur Erschlaffung des Penis’: schlimm und hochinteressant zugleich“, meint Tandberg.
Mit dieser Musikwerdung von Sexualität steht Schostakowitsch musikhistorisch nicht allein. Schon Wolfgang Wagner war stolz darauf, in der Partitur des „Tristan“ jene Stellen genau bezeichnen und beziffern zu können, wo der Koitus von Tristan und Isolde konkret vor sich geht. Es handelt sich, nebenbei gesagt, um die ganz leisen Stellen. Wohingegen es bei Schostakowitsch lauter, ekstatischer und gewiss auch gewaltsamer zugeht.
Theatererfahrungen in Deutschland
Ähnlich wie etliche offensive Opernregisseure kommt auch Ole Anders Tandberg ursprünglich vom Drama her. Geboren 1959 in Norwegen, wohnhaft in Stockholm, begann er als Schauspieler und wurde zunächst Theaterregisseur – ein Genre, in dem er auch heute noch etwa die Hälfte seiner Arbeiten macht. 2002 übernahm er für Prokofjews „Feurigen Engel“ seine erste Opernregie, gefolgt von Ravels „L’enfant et les sortilèges“ und einem in Skandinavien sehr erfolgreichen Mozart-Zyklus (in Göteborg und Stockholm). „Figaro“ interpretierte er als Parabel über die Inexistenz der Liebe. In Zürich wird er im nächsten Jahr Puccinis „La Bohème“ inszenieren. Die „Lady“ ist die erste seiner Opernarbeiten, die außerhalb Skandinaviens zu sehen ist.
Berlin besuchte Ole Anders Tandberg indes regelmäßig. Prägende Theatererfahrungen machte er bei Peter Steins „Orestie“ (1982) und Jürgen Goschs Düsseldorfer Gastspiel mit „Macbeth“. Er behauptet, Oper so anzugehen, als sei es Schauspiel. Er hat damit Grund, sich auf seine Hauptdarstellerin zu freuen, die zu den profiliertsten Sängerdarstellerinnen ihrer Generation gehört: die (als Elektra weltweit gefeierte) Evelyn Herlitzius.
Premiere an der Deutschen Oper Berlin am So 25. Januar, 18 Uhr. Weitere Aufführungen Do 29. und Sa 31. Januar, Do 5. und Sa 14. Februar, jeweils 20 Uhr. Karten unter Tel.: 030 343 84 343 oder www.deutscheoperberlin.de