Friederike Seyfried, Chefin des Ägyptischen Museums in Berlin, über Raub und Handel mit antiken Kunstschätzen. Am heutigen Donnerstag startet die große Konferenz zum Thema „Kulturgut in Gefahr“.

Illegale Ausgrabungen antiker Stätten, Kunstschätze auf dem Schwarzmarkt, Plünderungen in den Museen – noch nie wurde so viel antikes Kulturerbe gestohlen wie heute. Bedingt durch Terror, Krieg und politische Instabilität fällt es den Antikenverwaltungen der betroffenen Länder schwer, ihre Kulturschätze zu schützen. Am schlimmsten ist die Lage im Irak und in Syrien. Eine international besetzte Konferenz „Kulturgut in Gefahr“ beschäftigt sich am heutigen Donnerstag und Freitag mit den Themen Raubgrabungen und illegaler Handel. Ein Gespräch mit Friederike Seyfried, Chefin des Ägyptischen Museums, zur aktuellen Lage in Ägypten.

Berliner Morgenpost: Frau Professor Seyfried, Berichten zufolge ist in Ägypten seit der Revolution 2011 der Antiquitätenraub sprunghaft gestiegen. Ist die Entwicklung tatsächlich so besorgniserregend?

Friederike Seyfried: Ja, das ist sie. Die Ägypter leiden massiv unter dem Anstieg der Raubgrabungen. Das nimmt Ausmaße an, die erschreckend sind. Wenn man die Luftbilder im Zeitverlauf vergleicht, erkennt man den Schaden. Ein Schacht nach dem anderen wurde aufgemacht, und die Sachen sind verschwunden.

Was ist die Ursache?

Die Ursachen sind mannigfaltig. Zum einen gibt es wirklich Not. Viele Menschen haben einfach kein Auskommen mehr, weil der Tourismus zusammengebrochen ist. Und wenn es dann einfach ist, an Antiken zu kommen und die dann zu verschachern, dann macht man es. Dann gibt es aber auch das andere Extrem, wo mit organisierten Strukturen geplündert, gegraben, geraubt wird.

Die ägyptische Archäologin Monica Hanna von der Humboldt Universität hält die mangelnde Identifikation der Ägypter mit ihrem kulturellen Erbe für eine Ursache.

Das würde ich nicht so harsch formulieren. Gerade der frühere Antiquitätenminister Zahi Hawass hat auf seine Weise gerade sehr viel dazu beigetragen, dass sich die Ägypter mit ihrem Kulturgut auseinandergesetzt haben. Auch vor der Revolutionsphase wurde sehr viel dafür getan, dass die Ägypter ein Verständnis für ihre eigene Kultur entwickeln. Anderseits wird das vielleicht in ländlichen Regionen anders gesehen.

Welchen Stellenwert hat Deutschland als Umschlagplatz für Raubgüter?

Was ich mitbekomme durch die Behörden, ist, dass Deutschland in diesem Geflecht eher ein Durchgangsland ist. Ich weiß, dass die Polizei mit Unterstützung der Museen gerade dabei ist, Licht in dieses dunkle Feld zu bringen.

Ihnen wird nichts angeboten?

Ich habe von Anbeginn gesagt, dass ich keine Ankäufe mehr tätigen werde. Niemals. Ab und an bekommen wir das Angebot, dass uns jemand etwas aus einem Nachlass schenken will. Dann müssen wir die Herkunft überprüfen.

Wer kauft sich das denn und stellt die ägyptische Vase auf den Kamin?

Es gibt solche Leute, ich kann es nicht nachvollziehen und mir ist dieses Verhalten fremd, aber ich weiß, dass es sie gibt.

Kennen Sie Fälle, wo es strafrechtliche Verfolgung gab?

Meine Kollegen und ich, alle aus archäologischen Einrichtungen, werden regelmäßig von den Strafverfolgungsbehörden um eine Expertise zum beschlagnahmten Kulturgut gebeten. 2009 gab es zum Beispiel eine Beschlagnahmung am Zollamt Friedrichshafen in Süddeutschland, und im Frühjahr 2014 sind diese bedeutenden Antiken im Auswärtigen Amt an die Ägyptische Botschaft übergeben worden und in ihr Heimatland zurückgegangen.

Gab es seit dem Regierungswechsel in Ägypten eine spürbare Veränderung?

Die Gefahr des Plünderns und Ausgrabens hat man dort längst erkannt.

Man reagierte nicht früher, weil die Mittel fehlten?

Ja, es flächendeckend zu verhindern, das ist sehr, sehr schwierig. Man versucht es überall, aber leicht ist es nicht.

Für welche Länder gibt es eine Rote Liste mit den gefährdeten Objekten?

Für Syrien, für den Irak und die „gelisteten Objekte“ aus dem Kairoer Museum sind mit hinein genommen, weil es für die Ägypter wichtig ist, dass die online zu sehen sind. Eine umfassende Rote Liste für Ägypten gibt es derzeit leider nicht.

Wann waren Sie das letzte Mal in Ägypten?

Im November, vor drei Wochen.

Ägyptens Touristenzahlen sind rückläufig – wie ist Ihr Eindruck vor Ort?

Das Land leidet ganz extrem. Das tut mir persönlich weh, weil ich dieses Land seit den 80er-Jahren kenne. Es fehlen einfach Einnahmequellen. Die Nil-Kreuzfahrtschiffe liegen brach. Allerdings habe ich im November im Ägyptischen Museum schon wieder einige Touristen gesehen, einige Reisegruppen mit Indern, Pakistani und Chinesen. Aber in Assuan sind nur ganz wenige Menschen, die Hotels sind leer. So geht die Infrastruktur kaputt.

Wie groß schätzen Sie den Schaden für das kulturelle Erbe Ägyptens ein?

Wie gesagt, der Einbruch des Tourismus ist sehr schmerzhaft für die gesamte Wirtschaft. Das hat die Raubgrabungen unglaublich befördert. Hinzu kommen noch die organisierten und groß angelegten Raubgeschichten. Wenn Objekte einfach aus der Erde geholt und dann gehandelt werden, bedeutet das zudem einen großen Verlust an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es geht nicht nur darum, dass gewaltsam Gräber aufgebrochen und Mumien weggeworfen werden – für uns Archäologen geht der Fundzusammenhang verloren. Das kann man gar nicht finanziell beziffern.

Sie arbeiten gerade an einem neuen Projekt in Ägypten.

Es ist eine Kooperation. Es geht um die Sicherung eines neu entdeckten Gräberfeldes in Assuan, ganz im Süden. Nach Plünderungen müssen Rettungsmaßnahmen durchgeführt werden, dann folgen Absicherung, Restaurierung, Dokumentation und wissenschaftliche Ausarbeitungen. Wenn wir auf diesem Gebiet mit unseren ägyptischen Kollegen zusammenarbeiten dürften, dann bedeutet dies eine große gegenseitige Wertschätzung.

Aber Nofretete wurde nicht noch einmal zurückgefordert?

Es gibt keine Rückforderung der ägyptischen Seite. Wichtig ist doch, dass wir gemeinsame Projekte wie das eben geschilderte angehen.

Gibt es also ein Umdenken in Ägypten?

Ich glaube schon. Tatsächlich sieht man im Land, dass man aktuelle Schwierigkeiten meistern muss. Hier geht es um die Wahrung des kulturellen Erbes, das derzeit in Ägypten gefährdet ist. Da müssen alle helfen, dass dem Einhalt geboten wird. Und da müssen wir den ägyptischen Kollegen zur Seite stehen. Wir sind nun im 21. Jahrhundert an einem Punkt, dass wir dieses Weltkulturerbe gemeinsam verwalten. Die Berliner Konferenz „Kulturgut in Gefahr“ ist ein richtungsweisender Schritt in die Richtung, dass wir Kulturraub verhindern und dass das eine gemeinsame Aufgabe ist. Die betroffenen Länder sind ja in Berlin beteiligt.