Der Kulturstaatssekretär kommt zu spät, 13 Minuten. Etwas abgehetzt, gerade noch war er auf der Kunstmesse „Positions“. Der schwarze Bus, Nummer 3, das ist seiner. Richtung Marzahn geht es, in die Peripherie. Der KGB hat ihn eingeladen, den hat der Senat zum Kunstherbst gesponsert. Mit 110.000 Euro. „Immerhin“, sagt Renner. KGB, das ist die Abkürzung für die 29 bezirkseigenen kommunalen Galerien, die sich über die ganze Stadt verstreuen bis nach Spandau und Marzahn. Als sexy gelten sie nicht, sagen sie von sich selbst, sie arbeiten jenseits des künstlerischen Mainstreams, abseits der großen Galerien und sind doch wichtig, weil junge Künstler hier oft ihre erste Anlaufstelle haben. Und jetzt treten die 29 KGBler erstmals gemeinsam auf mit einem prallen Programm. Und freuen sich, dass Renner dabei ist bei der öffentlichen Shuttle-Tour in die verschiedenen Häuser.
Sein erster Kunstherbst
Es ist die dritte Berlin Art Week, für Renner die erste. Es ist schön zu sehen, wie sich die Straßen seit Dienstag gerade in Mitte und Kreuzberg immer mehr füllen mit Museumsleuten, Besuchern, Künstlern und all jenen, die einfach dabei sein wollen. So viele Vernissagen, Rundgänge, Talks: Das bunte Zusammenspiel ganz vieler Berliner Institutionen, das gab es noch nie. Alle ziehen an einem Strang, Museen, große und kleine Galerien und auch die Privatsammler bemühen sich zu diesem Termin, um Qualität zu zeigen. Es ist, als wollten alle gemeinsam beweisen: Hey, schaut her, wir sind Europas Kunsthauptstadt! „Wir bemühen uns alle, dass das hier funktioniert“, sagt Privatsammler Axel Haubrok, der in seiner „Fahrbereitschaft“ in Lichtenberg Konzeptkunst zeigt.
Tim Renner hat einen ziemlich vollen Kunstherbst-Terminkalender, sieben oder acht Eröffnungen, Reden und auch Partys stehen auch drin. Eigentlich hätte er gern noch mehr gemacht, sagt er, aber „schließlich muss ich ja noch arbeiten“. Der Kultursenat hat die Kunstwoche initiiert. Die Behörde hat ein weißes Heftchen herausgegeben mit all den Veranstaltungen drin. Renner müsste sich eigentlich teilen können: Da gibt es die geöffneten Privatsammlungen, die mehr Eigenständigkeit bekommen als ernst zu nehmende Ausstellungsorte, und all die winzigen Projekträume, die Stärkung gut gebrauchen können, weil sie an der Basis arbeiten. Da wäre noch die Hauptmesse, das Herzstück, die „ABC“, und ja, die neue Messe „Positions“, im ehemaligen Kaufhaus Jandorf. Sie nimmt den Mittelbau der Galerien auf, die auch noch weniger bekannte und junge Künstler fördert. Das wollen sich alle anschauen, die putzbröckelnde, zweigeschossige Immobilie an der Brunnenstraße ist eine Entdeckung für die Kunst.
Junge Menschen mit Bierflaschen in der Hand
Am Eröffnungsabend stehen Hunderte junge Leute vor der Tür, Bierflaschen in der Hand. „FREIHEIT“, steht auf dem Bürgersteig, der Schriftzug ist ausgelegt in Tausenden Cent-Münzen. „Cool“, sagt eine junge Frau mit Blondschopf. „Wir stoßen an auf die Freiheit der Kunst.“ Drinnen wird ordentlich gefeiert, Galerist Kristian Jarmuschek spendiert Prosecco und ist froh, dass so viele gekommen sind.
„Die Partys“, sagt Renner, „gehören zu Berlin und zur Kunstwoche. Sammler kommen doch gerade wegen der guten, lockeren Stimmung in die Stadt. Jung, hip, modern, daran will jeder teilhaben.“
In dieser Woche wird Renner mehrmals auf Eröffnungen sagen, dass man dieses „Kapital“ bewahren muss, es Respekt verlangt für „Kunst und Kultur“. Dass aber das Künstlerparadies Berlin, von dem alle Welt schwärmt und die Stadt profitiert, „stabil bleiben“ muss. Die Mieten steigen, auch für die Ateliers, die Freiräume werden weniger. Da kann es schnell einen Umschwung geben. „Wie halten wir die Künstler in der Stadt? Wie bilden wir Vielfalt in unserer Welt ab, nicht als Erfüllung von Erwartungen?“, fragt er Freitagabend bei der Eröffnung der Ausstellung „Meschac Gaba“ in der Kunsthalle der Deutschen Bank. Das Bankhaus ist Hauptsponsor der Berlin Art Week.
Der Kunstherbst fing für Tim Renner schon vergangenen Sonntag an. Da hatte Klaus Biesenbach vom New Yorker Museum of Modern Art auf die Terrasse des Soho Hauses eingeladen, zu einem oder zwei Bombay-Drinks, je nach abendlicher Konstitution. Wenn Biesenbach ruft, kommen alle, es sei denn, sie sind ernsthaft verhindert. Da stand Renner dann mittendrin in der losen Clique von Museumschefs, Galeristen, Agenten und vor allem jungen Künstlern aus der ganzen Welt. Da wurde über alles mögliche fabuliert, die angesagtesten Ausstellungen, klar, die besten Partys und die coolsten Locations in der Stadt. Und plötzlich kam André Schmitz, Renners Vorgänger, den man nach seinem Rücktritt in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen hatte. Ein großes Hallo, Umarmungen, Küsschen da und dort. Schmitz verteilte Handküsse mit der ihm eigenen Grandezza. Alle mögen ihn. Und so erlaubte er sich einen hübschen Scherz über doppelte Staatssekretäre.
Chaos in der Akademie
Einen Tag später sah Renner Schmitz dann schon wieder – bei der zentralen Eröffnung in der Akademie am Hanseatenplatz. Renners Rede an dem Abend blieb dann eher kurz, das war vernünftig. Es war ein großes Gedrängel, etwa 5000 Menschen waren da, Hunderte schlängelten sich die Treppen hoch in die Ausstellung „Schwindel der Wirklichkeit“. Die Wärter mussten sie immer wieder schließen. „Tolle Schau“, sagt Renner. 4000 Leute hätten sich nachmittags auf Facebook für das Event angesagt, erzählt jemand. Das Bier war trotzdem schon um 21.30 Uhr aus. Renner jedenfalls ist drei Tage später noch erstaunt „über das mittlere Chaos“, das am Hanseatenweg herrschte und dies „einzig wegen der Kunst“.
Der Bus ist angekommen: Galerie M in Marzahn. Tim Renner hört geduldig zu, wie man dort zwischen all den Plattenbauten künstlerisch arbeitet. Viel Zeit hat er nicht. Die nächste Galerie ist dran, in Lichtenberg. Dann muss er raus aus der Galerientour, zum nächsten Termin: die Jubiläumsfeier der Amerika-Gedenkbibliothek. Am frühen Abend will er zurück sein bei den KGBlern, zur Vernissage im Kunstraum Bethanien. Da gibt es dann Party, mit Musik von bildenden Künstlern, die auch Musiker sind. Lange wird er auch dort nicht bleiben, auf ihn warten die Privatsammler – beim Dinner bei Christian Boros.
Ob Renner Kunst gekauft hat irgendwo auf der Art Week? Noch nicht, sagt er, aber seine Frau sei gerade noch auf der „Positions“ unterwegs: „Wer weiß, was da noch kommt?“