„Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ ist ein Gute-Laune-Film über einen Begräbnis-Funktionär. Und das funktioniert tatsächlich. Es ist einer der anrührendsten Filme der letzten Zeit.

Ach nee, bitte nicht! Das ist wohl die erste Reaktion, die dieser Film auslöst: spontane Ablehnung. Der Alltag ist schon grau und sorgenvoll genug, muss man sich da auch noch mit solchen Themen befassen: Todesfälle, anonyme Bestattungen, schon zu Lebzeiten vergessene Menschen, die erst Wochen nach ihrem Ableben gefunden werden? Und das Ganze soll auch noch ein Gutelaunefilm sein? Geht doch gar nicht.

Geht aber doch. Denn „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ kommt aus England, dem einzigen Land, das den schwarzen Humor so kultiviert hat, dass die Abgründe offen klaffen und die Balance trotzdem stets gewahrt bleibt. Man darf sich deshalb nicht von seinen Abwehrmechanismen leiten lassen. Sonst läuft man Gefahr, einen der anrührendsten Filme der letzten Zeit zu verpassen.

Eine traurige Jobbeschreibung

Der titelgebende Mr. May ist ein sogenannter Funeral Officer der Londoner Stadtverwaltung, ein Sachbearbeiter also für die wirklich letzten Dinge im Leben. Er wird immer dann gerufen, wenn wieder ein Mensch völlig vereinsamt gestorben ist. Eine traurige Jobbeschreibung ist das. Oft verwahrloste Wohnungen betreten, nach Spuren irgendwelcher Angehöriger fahnden, die sich meist im Nichts verlieren. Die wenigen Habseligkeiten ordnen und zum Entrümpeln freigeben. Und so läuft Mr. May auch ziemlich sauertöpfisch durchs Bild. Ohne je den Mund zu verziehen. Ein trauriges, stoisches Gesicht. Ein mausgrauer Beamter, der in einer Abstellkammer von Büro arbeitet und auch zu Hause überwiegend grau eingerichtet ist. Ein Fleisch oder doch Tofu gewordener Trauerkloß.

Mr. May aber macht weit mehr, als sein Job eigentlich vorschreibt. Er verfasst auch die Trauerreden, die der Priester bei der Beerdigung hält. Und ist auch immer der einzige Besucher dieser Zeremonie. Das ist schon das erste tröstende Signal, das dieser Film ziemlich früh aussendet. Ganz egal, wie man einmal verenden wird und ob sich noch wer an uns erinnern wird: Es könnte, so die Hoffnung, immer einen Mr. May geben, der sich noch kümmern wird. Und dem letzten Gang wie dem verlorenen Leben noch einmal etwas ganz Wichtiges verleiht: Würde.

Grandioser Hauptdarsteller

Regisseur Uberto Pasolini, nicht mit dem großen Pier Paolo Pasolini verwandt, dafür aber entfernt mit dem ebenso großen Luchino Visconti, hat sich vor allem als Produzent britischer Komödien wie „Ganz oder gar nicht“ oder „Palookaville“ hervorgetan, bevor er vor acht Jahren mit „Machan – Spiel der Träume“ sein Regiedebüt gab. Für seinen zweiten selbstinszenierten Film hat er mit rund 30 Funeral Officern gesprochen, hat sie sechs Monate lang bei der Arbeit begleitet. Sein Mr. May ist eine Art Quintessenz aus diesen Erfahrungen. Pasolinis größtes Pfund dabei ist aber die Besetzung. Der britische Schauspieler Eddie Marsan ist noch nicht gar so bekannt.

Ein Charaktergesicht, das man bislang nur in Nebenrollen gesehen und oft übersehen hat, wiewohl er schon bei einem Steven Spielberg, einem Martin Scorsese, einem J.J. Abrams mitgespielt hat. Und am auffallendsten in Mike Leighs auch auf der Berlinale gezeigtem „Happy-Go-Lucky“. „Mr. May“ ist nun Marsans längst überfällige erste Hauptrolle, und er spielt sie so zurückgenommen, so vorzeitig erloschen, mit hängenden Schultern und trübem Blick, dass man schon bald erkennt: Auch dieser Mr. May ist eine einsame Pflanze, all den anonymen Toten seelenverwandt.

Zu viele Ressourcen für Tote verschwendet

Dieser Mann lebt nur für die Arbeit. Aber schon sehr bald wird sie ihm genommen. Ein neuer, junger, gelackter Chef bekrittelt, dass er „zu viele Ressourcen“ mit den Toten verschwende. Sein Posten wird deshalb wegrationalisiert und von einer strammen Beamtin übernommen, die ungerührt mehrere Aschenurnen in ein Massengrab schüttet. Nichts da länger mit letzter Würde und Trauerarbeit. Aber einen Fall hat Mr. May noch, und den erledigt er mit noch mehr Akribie als alle anderen. Das mag daran liegen, dass der Tote direkt im Haus gegenüber seiner eigenen Wohnung gefunden wird, dass er vom Fenster aus in dessen Wohnung sehen kann.

Quasi in ein verzerrtes Spiegelbild. Jedenfalls macht sich Mr. May auf, diesmal wirklich noch Verwandte, Freunde oder auch nur entfernte Bekannte zu finden. Dieser Tote soll nicht ohne Geleit zu Grabe getragen werden. Jede kleinste Spur fischt Mr. May aus dem Müll. Kommt dabei einer gebrochenen Vita auf die Spur, die auch die Bruchstellen des letzten halben Jahrhunderts britischer Geschichte aufzeigt. Und stößt am Ende auf eine Tochter, die nichts von ihrem Vater weiß und von Joanne Froggat (der Dienerin aus dem Serienhit „Downton Abbey“) mit fragiler Zerbrechlichkeit gespielt wird.

Ode an die Menschlichkeit

Der letzte Job von Mr. May wird zum Befreiungsschlag, zum Sprung ins Leben. Bis dato zeigte Uberto Pasolini seinen rabenschwarzen Film in entsättigten Farben, mit matten Braun- und kühlen Grautönen. Und der traurige Antiheld wird, selbst wenn er mit jemand anderem im Raum ist, im Bild immer isoliert. Dann wird der Film plötzlich bunter und lichter, ist Mr. May auch mal neben Mitmenschen zu sehen. Und dann geht ganz sprichwörtlich die Sonne auf, wenn über das graue Mausgesicht so etwas wie ein Lächeln huscht.

Das – spätestens – ist der Moment, wo auch der Zuschauer mitgerissen wird. Am Ende freilich wirft der Film noch mal eine ganz unerwartete Volte, die auch dem Hartgesottensten ein Tränchen entlocken wird. Zu diesem Zeitpunkt grübelt man schon lange nicht mehr darüber nach, ob sich Trauerfälle fürs Gutelaunekino eignen. Der Beweis ist längt getan. Wie nebenbei handelt „Mr. May“ große, existenzielle Fragen ab und wird zu einer Ode an die Menschlichkeit. Man verlässt den Kinosaal als ein besserer Mensch. Und mit dem guten Gefühl, dass man, solange es selbstlose Wesen wie diesen Mr. May gibt, nie wirklich alleine ist.