Saisoneröffnung

Die Berliner Philharmoniker eröffnen rein russisch

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Matthias Nöther

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Unter Sir Simon Rattle läuten die Berliner Philharmoniker die neue Saison ein. Sie spielen die Symphonischen Tänze, Sergej Rachmaninows letztes Orchesterwerk aus dem Jahr 1941.

Welche Rolle die Deutsche Bank als Sponsor bei den Berliner Philharmonikern spielt, bekam der normale Besucher des Saison-Eröffnungskonzerts unter Sir Simon Rattle höchstens durch den um eine Stunde nach vorne verlegten Konzertbeginn mit. Schließlich sollte danach genug Zeit für den exklusiven Empfang sein, der von der Bank zu Ehren des Orchesters veranstaltet wurde. Die Kooperation zwischen den Philharmonikern und der Deutschen Bank jährt sich in diesem Jahr zum 25. Mal.

Auf das Publikum wartete ein ausschließlich russisches Programm. Die Symphonischen Tänze, Sergej Rachmaninows letztes Orchesterwerk aus dem Jahr 1941, haben die Philharmoniker in den letzten Jahren des öfteren und mit verschiedenen Dirigenten aufgeführt – man hört es auch an diesem Abend.

Sie spielen das durchaus komplizierte Stück mit einer beispiellosen Freiheit. Hier scheint selbst das letzte Quentchen an soldatischer Disziplin, wie sie ja selbst den freiheitsliebendsten Orchester-Stimmgruppen irgendwie doch noch eigen ist, aufgehoben.

Stimmen wie aus dem Nichts

Nach dem satten russischen Tanzidiom, mit dem die Streicher das Werk eröffnen, tauchen Stimmen wie zufällig aus dem Nichts auf und verschwinden wieder darin. Diese Freiheit, die das Orchester zeigt, untermauert vor allem die Modernität Rachmaninows, der in diesem späten Stück zeigt, wie wenig er seine Orchestermusik von seinem Instrument, dem Klavier, her dachte, und wie sehr aus dem vielstimmigen orchestralen Klangkörper heraus.

Hier erscheinen die Symphonischen Tänze wie das eigenwillige Spätwerk eines russischen Romantikers – aber zugleich, vielleicht ohne dass Rachmaninow das als erklärter Traditionalist so sah, als modernes Werk der 1940er-Jahre, das von der kühlen Anti-Romantik des jüngeren russischen Kollegen Igor Strawinski keineswegs unberührt war. Von der Musik des jeweils Anderen hielten die beiden nicht viel voneinander. Als sie sich in der gemeinsamen kalifornischen Wahlheimat dann doch einmal zum Essen trafen, vermieden sie das Thema Musik penibel.

Strawinskis „Feuervogel“-Ballett ist in der Form, in der es Simon Rattle im zweiten Teil des Konzerts dirigiert, kaum im breiten Bewusstsein der Klassikliebhaber. Statt der normalerweise gespielten Suite erklingt hier die gesamte Ballettmusik, was zumal im Konzertsaal ein sehr vielschichtiges Bild des 27-jährigen Newcomers Strawinski vermittelt, der mit dieser Komposition im Jahr 1909 seinen Durchbruch erlebte.

Die Philharmoniker eröffnen den extrem leise gedachten Beginn mit den Kontrabässen tatsächlich so, dass kaum noch etwas zu hören ist. Das impressionistisch Zauberische, aber auch die rhapsodisch frei erscheinenden Passagen der originalen Ballettmusik, die in der Philharmonie nur ein imaginäres Tanzgeschehen begleiten, entsprechen den Philharmonikern. Sie sind für das freie und grundsätzlich auf spielerische Freiheit angelegte Spiel dieses Orchesters unter seinem Chef die beste Herausforderung.