Ab Freitag präsentieren Künstler der Berliner freien Szene ihre Arbeiten in Schöneweide. Eine der Gründe, hierher zu kommen: bezahlbare Mieten. Über 250 Künstler arbeiten in der Gegend.
Am S-Bahnhof steht ein blondiertes Mädel mit knappem Höschen und redet mit zwei Typen, Basecaps in den Nacken gedreht. Man lehnt im Schatten vor der Shopping Mall. Sommerwind geht durch die Schnellerstraße, am „Fischkombinat“ hängt eine Deutschlandfahne.
Das also ist Schöneweide. Schweineöde, so hieß das doch früher. Oberschweineöde. Und hier soll es Kunst geben, ein ganzes Wochenende lang, als Festival?
Ja, gibt es, sogar schon zum siebenten Mal. Man muss sie nur finden, die Kunst.
Marlene Lerch vom Netzwerk Schöneweide Kreativ steht barfuß in einer ehemaligen Sparkassenfiliale in der Wilheminenhofstraße, dem Infostand des Festivals. Seit zwei Jahren koordiniert sie Aktivitäten vor Ort, Marlene lutscht ein Flutschfinger-Eis, ihr Mittagessen.
„Wir bekommen ein wenig Förderung für unsere Initiative, aber sicher sind alle hier bereit, viel mehr zu arbeiten, als sie verdienen. Die Künstler selbst haben ja auch kaum Geld. Viele von denen leben von Hartz IV.“
Das ist einer der Gründe, hierher zu kommen: bezahlbare Mieten. Über 250 Künstler arbeiten in der Gegend. Von Gentrifizierungs-Klagen will Marlene Lerch nichts hören: „Erst mal freuen sich die Leute, dass was passiert. Es gibt noch immer eine Menge Leerstand und auch die Nazi-Kneipe ‚Zum Henker‘ hat ja erst vor Kurzem zugemacht. Außerdem kann man nicht gar nichts machen, nur weil man auf lange Sicht vielleicht ein Vorreiter von Aufwertung ist.“
Halb Alien, halb Heiliger
Auf einer Straßenseite öffnet sich das Dunkel einer leer stehenden Spielhölle. Betonboden, Betonwände – könnte auch eine High-End-Galerie in Brooklyn sein. Eine Kamera fängt die Bewegungen ein, die man vor einem Lichtkreis macht, wandelt sie um: Da steht man, ein Schatten, getaucht in eine flüssige Hülle aus Licht, halb Alien, halb Heiliger. Gonzalo Reyes Araos kommt dazu, erklärt: Es gehe ihm in diesem Werk darum, Licht als Element zu zeigen.
Gonzalo stammt aus Chile, war längere Zeit in China, von wo aus er mit seiner Familie nur über Skype kommunizieren konnte. Da fiel ihm auf: Auch das ist Licht, das Licht der Bildschirme, auf die wir immerzu starren. Im Moment sind seine Frau und er mal zusammen am selben Ort, in Berlin. Warum sie hergekommen sind? Er kratzt sich den Dreitagebart, sagt in schwerem Englisch: „Berlin ist eine der letzten Städte in Europa, in denen man als Künstler noch arbeiten kann, wo es noch Raum dafür gibt“.
Gebäude 21 der Rathenau-Hallen. Hier findet man offene Ateliers, Zusammenarbeiten werden gezeigt. Bislang ist Schöneweide fast ein reiner Produktionsort. Einige Räume haben diesen unverbaubaren Spreeblick, für den man sein letztes Hemd geben würde. Etwa das Atelier von Filip Zorzor. Er ist vor einem Jahr hergekommen, nachdem er aus seiner Wohnung in Mitte rausgeschmissen wurde. Er schätzt die Ruhe und dass er zum Arbeiten ans Wasser fährt. Klar ist für ihn aber auch: In Berlin passiert eine Verdrängung von Künstlern aus der Innenstadt.
„Zentralstation“ heißt die große Gemeinschaftsausstellung des Festivals, die am kommenden Wochenende zu sehen ist. Es gibt Gemälde, die so scharf verwischt sind, als stammten sie von Francis-Bacon, hyperrealistische Akte auf Fliesenböden, ein großes Buch aus Wachs im Heiligenlicht. Harlekine unter Farbtupfer-Lametta sind dabei, surreale Glaskugelköpfe, die verdrehten Augen eines Teddys, formatfüllend in Öl. Auch minutiös inszenierte, selbstironische Fotografien werden gezeigt und rumplig zusammengebaute Retrocollagen.
Mit Sekt am Ufer
Nebenan singt Lennard Körber zum Akkordeon eine Version von John Lennons Working Class Hero, und man fragt sich: Wer sind eigentlich die Helden, hier in Schöneweide: Die Menschen draußen beim Sattmacher Bistro oder Filip, Gonzalo und Co., die zugezogene Bohème auf der Suche nach einem bezahlbaren Leben? Drei Jungs mit Preußen-Frisur stehen vor einer Leinwand: Bisons vor heimischer Industrie. Sie sagen: „Das ist cool, das macht was her.“
Zum Sonnenuntergang sitzt man mit Sekt am Ufer. Die Strandbar Kiki Blofeld, unlängst auch aus Mitte vertrieben, rüstet zur After-Show-Party. Herren in Businessanzügen und Damen in Sommerkleidern unterhalten sich über Hans Moser. Ein paar Meter weiter steht ein alter Mann, Schirmmütze, zerlatschte Turnschuhe, neben sich eine Schachtel L&M. Er angelt in der Spree.
Zentralstation Wilhelminenhofstr.
83- 85, Oberschöneweide.
25. Juli , 16-21 Uhr und 26. Juli , 13-21 Uhr