Kunst oder Kommerz, Autorenfilm oder Genrekino: Das war die Schicksalsfrage beim 64. Deutschen Filmpreis. Doch dann sahnten „Das finstere Tal“ und „Die andere Heimat“ ab - zwei Heimatfilme.
Lange, sehr lange sah es bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises so aus, als ob es im vergangenen Jahr nur einen guten deutschen Film gegeben hat. Und der kam aus Österreich. „Das finstere Tal“ von Andreas Prochaska ging mit neun Nominierungen als klarer Favorit ins Rennen. Und erst siegte er in allen Kategorien. Das war schon fast langweilig. So dass selbst Christoph Maria Herbst, der gleich mehrere Kategorien ankündigte, gleich zwei Mal sehr ironisch vermerkte: „Das ist jetzt aber eine echte Überraschung.“
Aber als es an die Königskategorien ging, zog ein anderer Film am „Tal“ vorbei: „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz gewann in den Disziplinen Drehbuch und Regie. Und beim Besten Film, bei dem es traditionell drei Preise in Bronze, Silber und Gold gibt, schaffte es das „Tal“ nur auf den zweiten Platz. Mit acht Lolas ist Prohaskas Alpenwestern damit zwar der Sieger nach Punkten, von der Wertigkeit aber ist Edgar Reitz mit nur drei Trophäen der größere Gewinner.
Ehrung für ein Langzeitopus
Kunst oder Kommerz, Autorenfilm oder Genrekino: Das war die Schicksalsfrage beim 64. Deutschen Filmpreis. Zwischen diesen Polen schwankten die Nominierungen, Genrekost wie Western, ein Thriller wie „Zwei Leben“ und Komödien wie „Feuchtgebiete“ und der Sensationserfolg „Fack ju Göhte“. Oder Dramen wie „Die andere Heimat“ und „Westen“. Am Ende ging der Sieg an beide Seiten. Und merkwürdigerweise gleich zwei Mal an Heimatfilme. Wenn diese auch unterschiedlichster Art sind. Hier „Das finstere Tal“, ein Western, der beweist, dass man dazu keine amerikanische Prärie braucht, sondern auch das heimische Gebirg’ prima ausreicht. Und da Reitzs Vierstundenschwarzweißdrama über einen, der auswandern will und die heimische Scholle doch nicht verlassen wird.
Edgar Reitz hat mit seiner „Heimat“ Film- und Fernsehgeschichte geschrieben. Mit seiner ersten Serie von 1984 hatte er sein Lebensthema gefunden, hat ihm 1993 „Die zweite Heimat“ und 2004 „Heimat 3“ folgen lassen. Damit sollte seine filmische deutsche Geschichtsschreibung anhand eines fiktiven Dorfes in Hunsrückdorf eigentlich zu Ende sein. Doch dann hat er, noch einmal zehn Jahre später, noch eine Nach- bzw. Vorgeschichte folgen lassen, ein echtes Prequel, wie das neudeutsch heißt. Mit den drei Lolas wurde also so etwas wie ein Gesamtwerk geehrt und verdient gefeiert. Der Tripel-Sieg ist auch so etwas wie das letzte Hurra für den einst Neuen Deutschen Film, von dem Reitz einer der letzten originalen Vertreter ist.
Komisch ist es allerdings schon, wenn der große Favorit „Das finstere Tal“ in allen kleineren Kategorien siegt und dann bei den Hauptpreisen zurückfällt. Das mag der Akademie, die in diesem Jahr zum zehnten Mal den Filmpreis vergab (an denen immerhin öffentliche Fördermittel im Wert von 2,9555 Millionen Euro hängen), die leidige Diskussion ersparen, wie „deutsch“ das „Tal“ denn nun sei. Sprach doch selbst Produzent Helmut Grasser bei seiner Dankesrede von einem „österreichischen Film“, auch wenn er sich gleich beeilte, „mit starker deutscher Beteiligung“ nachzuschicken. Für die koproduzierenden X-Filmer immerhin eine Ehrenrettung, waren sie doch im vergangenen Jahr mit „Cloud Atlas“ (noch so ein Film, bei dem man sich trefflich streiten kann, wie deutsch ein deutscher Film sein muss) die großen Verlierer gewesen.
Der große Verlierer in diesem Jahr ist ein anderer: „Fack ju Göhte“ von Bora Dagtekin. Die grandiose Schulklamotte ist mit 7.073.482 Zuschauern der Sensationshit schlechthin. Und was selbst einem Bully oder einem Til Schweiger nicht gelungen ist: Erstmals wurde eine Komödie auch für den Filmpreis nominiert, und das gleich vier Mal. Um Unterhaltung macht die Lola ja sonst einen großen Bogen, da greift die sehr deutsche Trennung zwischen E und U noch immer. Mit „Fack ju“ hätte nun erstmals auch das leichtere Fach eine Chance gehabt, doch davor zuckten die derzeit 1599 Akademiemitglieder kollektiv zurück. Es blieb beim (undotierten) Preis für den publikumswirksamsten Film. Ein Trostpreis.
Aber Bora Dagtekin hatte vorab schon betont, dass die Nominierungen eigentlich „unnötig“ seien und er deshalb „nicht böse wäre, wenn am Ende alle anderen gewinnen, nur wir nicht“. Fack ju, Lola? Die Einstellung beweist Größe. Dagtekin schien auch wirklich nicht enttäuscht zu sein. Den Lola-Rummel nahm er wohl eher als Zusatzwerbung für den DVD-Start seines Films.
Klare Worte an Frau Grütters
Jan Josef Liefers führte im Berliner Tempodrom souverän und witzig durch eine Show, die, wie die Akademiepräsidentin Iris Berben gleich anfangs betonte, so sparsam wie noch nie ausfallen musste. Das Thema Geld bestimmte auch sonst den Abend. Das Spannendste an dieser Verleihung war nicht, ob „Heimat“ oder „Göhte“ gewinnt. Sondern wie Monika Grütters (CDU) empfangen würde. Der Lola-Abend beginnt traditionell mit der Rede des Kulturstaatsministers, der ja Oberster Herr über die Preisgelder ist. Für Bernd Neumann, erklärter Filmfreund und Begründer des Deutschen Filmförderfonds (DFFF), war dies immer ein Heimspiel.
Seine Nachfolgerin Monika Grütters hatte zwar zu ihrem Amtsantritt große Versprechungen gemacht. Nun aber soll der Fonds um zehn Millionen gestutzt werden, was ihr großes Unverständnis, ja Entsetzen vonseiten der Filmindustrie eingebracht hat. Iris Berben sagte gleich zu Beginn, was die Akademie davon halte: „nämlich nichts“. Und fügte an, man sei da, wenn Frau Grütters Hilfe bräuchte. Die Staatsministerin lavierte ein wenig herum, Geld sei ja wirklich nicht alles, verkündete dann aber mit Verve, dass sie sich für den deutschen Film einsetzen werde. Und die Akademie dabei als Unterstützer brauche.