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"Die Arier" - Mo Asumang stellt Rassisten zur Rede

| Lesedauer: 13 Minuten
Peter Zander

Foto: Festival / festival

Für ihren Dokumentarfilm „Die Arier“ hat sich die Afrodeutsche mit Neonazis und sogar Ku-Klux-Klan-Anhängern getroffen. Und dafür wiederholt in Gefahr begeben. Jetzt stellt sie ihren Film in Berlin vor.

Mo Asumang kennen die meisten als TV-Moderatorin. Sie kann aber auch anders. Sie setzt sich im Kampf gegen Rassismus ein. Und wird dafür offen angefeindet. In einem Song rief die Band White Aryan Rebels eine Morddrohung aus: „Diese Kugel ist für dich, Mo Asumang“. Davon lässt sich die 50-Jährige aber nicht beeindrucken. Im Gegenteil. In ihrem Dokumentarfilm „Die Arier“ sucht sie die Auseinandersetzung mit Neonazis, Burschenschaften, Rechtsradikalen in Deutschland und den USA – und sogar Ku-Klux-Klan-Anhängern. Der Film hat an diesem Sonntag Berlin-Premiere auf dem Achtung Berlin Festival. Am 29. April wird er auf Arte ausgestrahlt. Wir sprachen mit der Filmemacherin.

Berliner Morgenpost: Frau Asumang, Sie gehen dahin, wo andere weggucken. Warum tun Sie sich das an?

Mo Asumang: Der Zuschauer identifiziert sich beim Film immer mit dem Protagonisten. Das hat aber einen ganz anderen Effekt, wenn es in einem Dokumentarfilm darum geht, Rassisten zu treffen. Der Zuschauer identifiziert sich mit mir als Afrodeutsche und spürt am eigenen Leib, wie es ist, Rassismus zu erfahren. Sie haben Recht: Sonst schaut man gerne weg. Das kann man in diesem Fall aber nicht.

Sie haben einmal eine Morddrohung erhalten. War das ein Beweggrund, den Film zu machen?

Ich wurde schon mit Rassismus konfrontiert, seit ich in Berlin Taxi gefahren bin. Und ich bin seit vielen Jahren in Schulen unterwegs, um Aufklärungsarbeit zu dem Thema zu machen. Alle, Lehrer und Schüler, haben dabei immer das Wort „arisch“ benutzt, obwohl keiner genau weiß, was das ist und woher das kommt. Das wird einfach unreflektiert aus dem Nazi-Gedankentum übernommen. „Arisch“ war ein Begriff, mit dem damals die einen von den anderen getrennt wurden. Sie beschrieben es damals so: „Nicht-arisch waren Juden, Zigeuner, die afrikanische und die asiatische Rasse.“ Ich wäre damals auch in dieser Kategorie gelandet, ich wäre damals auch im Ofen verbrannt worden. Dass dieser Begriff heute immer noch zur Ausgrenzung und sogar Mord verwendet wird, ist schlimm. Das dürfen wir nicht zulassen. Deshalb habe ich mich irgendwann gefragt: was ist eigentlich „arisch“? Und bin aus allen Wolken gefallen, als ich es erfuhr. Da dachte ich mir, ich müsse unbedingt etwas darüber machen. Vielleicht erreicht man ja schon etwas, wenn man denen, die sich darauf berufen, zeigt, dass sie gar keine Arier sind.

Sie haben sich mit deutschen Neonazis, amerikanischen White Aryans und sogar Anhängern des Ku-Klux-Klans, getroffen. Ist das mutig – oder, verzeihen Sie, auch ein bisschen lebensmüde?

Ja, das habe ich auch gedacht, als ich mich einmal mitten in der Nacht draußen auf dem Land mit den Ku-Klux-Klan-Leuten getroffen habe. Und dann zwei Maschinengewehre auf ihrem Rücksitz gesehen habe. Ja, das war schon ein bisschen lebensmüde. Aber es hat mich nicht davon abgehalten, mit ihnen zu sprechen. Und ich weiß auch um die Wirkung, wenn man mit Rassisten direkt spricht. Die steigern sich so in ihr Feindbild, dass die sich was aufbauen im Kopf. Wenn du denen dann real begegnest, wirkt die Realität. Und sie geraten ins Stocken. Das ist ziemlich entwaffnend. Das habe ich beim Dreh immer wieder erlebt, dass die damit gar nicht klar kommen und ihre Fundamente wackeln.

Die größte Leistung ist sicher, wie Sie auf die anderen zugehen, nicht locker lassen und ganz naiv fragen. Wie konnten Sie dabei so sachlich bleiben? Manchmal möchte man doch am liebsten schreien.

Ich konnte kein einziges Interview vorab vorbereiten. Ich war überrascht von jedem einzelnen Satz, der da fiel. Da reagiert man einfach anders, da muss man taktieren und sich überlegen, wie man so ein Interview durchsteht. Die packen das ja nicht, mit ihrem Feindbild rumzustehen und zu plaudern. Die haben die Tendenz, kurz was zu sagen und dann abzuhauen. Da musste man einfach nachhaken. Ich habe wirklich das große Bedürfnis herauszufinden, wie man Rassismus auflöst. Das muss doch irgendwann mal ein Ende nehmen, das kann ja nicht angehen, dass es immer so weiter geht mit den Nazis. Es gibt mir auch Kraft, da weiterzumachen. So dass ich auch Anfeindungen abprallen lassen kann.

Gab es Momente, in denen Sie bereut haben, den Film zu drehen? Sie wurden einmal von Neonazis förmlich weggeschubst. Da hat man richtig Angst um Sie.

Ja, in Wismar haben die mich weggedrängelt. Und ich habe dann im Kopf weggedrängelt, dass mir das weh tut. Es war meistens so, dass ich nach dem Dreh, auf dem Rückweg sehr sehr still war. Das hat dann zuhause noch ganz schön an mir geknabbert.

Es ging teilweise noch viel härter zur Sache, Sie wurden bedroht und beschimpft. Das haben Sie aber nicht alles in den Film aufgenommen. Warum?

Die sind ja sehr fix. Sie kamen ja oft ganz plötzlich und hinterlistig von hinten. In Gera etwa wurde unserem Kameramann bei einem Neonazi-Konzert ins Gesicht geschlagen. Das kam aber so unvermittelt, dass man die gar nicht rechtzeitig hätte filmen können. Das ist dann nur ein verwackeltes Bild, das hätte der Zuschauer gar nicht verstanden. Dem Kameramann wurde auch mal Bier in den Ausschnitt gegossen, und mir wurde mal ein Cent vor die Füße geworfen und dazu „Guten Heimflug“ zugerufen. Das kommt ganz schnell. Und schon sind die wieder weg. Diese Szenen passieren einem, aber man kann sie filmisch nicht verwerten.

Sie haben überwiegend mit Kamerafrauen gearbeitet. War das nicht noch riskanter?

Im Gegenteil, das war die einzige Möglichkeit, mit Neonazis überhaupt zu drehen. Anfangs haben wir noch mit Kameramännern gedreht, aber da haben die sofort dichtgemacht. Ich musste also mit Frauen drehen, weil das deeskalierend wirkt. Ich war ja für die mit meiner Hautfarbe eine Art No-Go-Area. Aber mit Frauen, die dann auch noch blond und blauäugig sind, wurde das dann aufgehoben. Da fühlten die sich ein bisschen sicherer.

Sie haben sogar den Top-Rassisten der USA, Tom Metzger, vor die Kamera gebracht. Wie fühlt man sich, wenn man mit so jemandem spricht?

Man muss ganz klar unterscheiden. Es gibt Hassverkäufer und Mitläufer. Tom Metzger ist ein Hassverkäufer. Mit so einem muss man anders reden als mit Mitläufern. Es war unglaublich: Der kommt einem vor wie ein liebenswürdiger alter Mann. Aber dann schmeißt er einem zwischendurch Sätze an den Kopf wie den: „Dein Vater war ein Gen-Entführer, der seine Rasse mit den weißen Genen deiner Mutter veredelt hat.“ Das war nicht leicht zu verkraften. Aber ich wollte aufzeigen, wie Rassisten ticken. Wie wir Rassismus loswerden können. Das hat mir einfach Kraft gegeben. Und dann hat er mich am Schluss ja sogar umarmt. Und gemeint, hoffentlich sieht das keiner von seinen Anhängern, sonst wäre er erledigt. Das war für mich ein echtes Highlight. Weil ich merkte, dass so ein Hassverkäufer ja alles nur spielt. Das ist nur vorgegaukelt. Es war toll, diesen entlarvenden Moment einfangen zu können.

Was auffällt: Die deutschen Neonazis, die Sie ansprechen, machen dicht und drängeln Sie weg. Die amerikanischen dagegen scheinen es förmlich zu genießen, sich vor laufender Kamera produzieren zu können.

Der deutsche Neo-Nazi will meistens vor einem Gespräch fliehen. Die Amerikaner aber haben die „Freedom of speech“. Die dürfen viel mehr sagen als bei uns. Die können sich Hakenkreuzbanner um den Arm binden und so durch die Stadt marschieren. Das dürfen die bei uns glücklicherweise nicht. Die Amerikaner spielen das ja aber auch eher wie in einem B-Movie nach, weil die das alles ja gar nicht am eigenen Leib erlebt haben. Deshalb sind die da ganz anders drauf. Das ist für die eher so ein komisches Spiel, das man wie in einem schlechten Theaterstück nachspielt. Einfach furchtbar.

Die besondere Ironie ist ja, dass Sie die echten Arier dann doch finden: ein Hirtenvolk im Iran.

Unglaublich, nicht wahr? Nix nordisches Volk, nix blonde, blauäugige Riesen. Der Begriff kommt aus dem Sprachwissenschaftlichen und taugt nicht für rassische Normierung. Arier waren ein nomadisierendes Hirtenvolk aus dem Iran. Iran heißt ja wörtlich das Land der Arier. Das war ein unglaublicher Moment, dorthin zu fahren und dann eine Frau, die ein buntes Kopftuch trug, zu treffen, die sagt: „Ich als Arierin sage, wir Menschen sind alle gleich. Wir sollten zusammenhalten.“ Das ist auch meine Message an die Neonazis, die mit diesem Begriff hantieren.

Die Drehgenehmigung im Iran bekommen zu haben, war vermutlich mindestens genau so schwer wie der Kontakt zur rechten Szene?

Ich glaubte schon nicht mehr, dass das noch gelingen könnte. Das hat neun Monate gedauert. Alles andere war schon abgedreht, wir waren schon lange am Schneiden. Aber dann ist es doch noch gelungen. Hinterher habe ich erfahren, die dachten, ich sei von der CIA, vom Mossad oder von der Bundesregierung eingeschleust. Heute weiß ich aber, dass sie den Film sogar im Iran zeigen wollen.

Ihr Film ist durch den NSU-Prozess hochaktuell. Die Leute, die in die Morde verwickelt sind, haben das „Aryan Law and Order“-Magazin herausgegeben. War das schon während des Drehens klar?

Deren Magazin hatte ich schon vor dem Dreh recherchiert. Ich hatte es immer dabei, um eventuell mit Leuten darüber zu sprechen, etwa mit der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano. Sie war geschockt darüber. Ein Beweismittel der NSU-Prozesse, das man in der Garage der Beate Zschäpe unter Asservaten-Nummer 23.6 fand, ein „Sonnenbannerheft“ mit Beschreibungen der arischen „Rasse“, habe ich mitten im Dreh recherchiert und im Nachhinein eingebaut.

Hat man im Nachhinein Angst, dass sich Neonazis rächen könnten, dass Sie zur Zielscheibe werden könnten?

Das hätte ich schon mit meinem ersten Film „Roots Germania“ werden können. Da habe ich mich auch schon mit dem Thema auseinandergesetzt. Sicher sein kann man natürlich nie, dass da ein Nachhall kommt. Aber es ist verschwendete Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Der Film ist fertig. Er ist ja schon in der Welt. Ich werde mit ihm durch die Lande fahren und viele Schulen besuchen. Da werde ich natürlich immer ein wenig aufpassen. Aber ich mache mich dadurch nicht kaputt. Das ist etwas Wichtiges, etwas Gutes, das gibt mir auch Kraft. Wir müssen an die Kraft des Positiven glauben, man darf sich da gar nicht in so etwas Negatives hineindenken.

Ihre eigenen Großeltern mütterlicherseits waren Nazis. Ist der Film auch Familienaufarbeitung?

Auf alle Fälle. Meine Großmutter hat mich ja großgezogen. Und dann erfahre ich, aber erst durch die Recherche zum Film, dass sie in der SS war, dass sie als 1A-Schreiberin geheime Dokumente für die Waffen-SS geschrieben hat. Das war ein ungeheurer Schlag. Es zeigt aber umso mehr, dass alle – auch wenn sie immer behaupten, nichts damit zu tun zu haben – irgendwie verstrickt sind mit der Nazi-Zeit: Selbst jemand mit einer schwarzen Hautfarbe wie ich. Und es zeigt: Selbst als ehemalige SS Frau kann man sich ändern.