Der Kampf ums Überleben, Wut und Verzweiflung sind die Spuren auf den Gesichtern jener Punks, Obdachlosen und Außenseiter vom Alexanderplatz, die Künstler Göran Gnaudschun porträtiert hat.
„Fight to Survive“ zeigt der tätowierte Schriftzug auf Claras Dekolleté, „Rage“ steht mit schwarzer Schrift im roten Quadrat auf Shelleys Jacke. Der Kampf ums Überleben, Wut und Verzweiflung sind die Spuren auf den Gesichtern jener Punks, Obdachlosen und Außenseiter vom Alexanderplatz, die der Potsdamer Fotograf und Künstler Göran Gnaudschun porträtiert hat. Aber auch Verletzlichkeit, Stolz und stille Würde. Leicht war es sicherlich nicht, das Vertrauen dieser Gruppe zu gewinnen. Zwischen 2010 und 2013 war er mindestens einmal in der Woche am Alexanderplatz, von mittags bis oftmals in die späten Nachtstunden: zum Reden, Trinken, Interviews aufzeichnen und Fotos machen. Am 19.01.2011 notiert er: „Der Alex ist ein Teil von mir geworden, den ich nicht mehr loswerde. Die Menschen bevölkern nachts meine Träume.“
Zeit allein hätte vielleicht nicht gereicht, um in die Szene einzutauchen, aber als ehemaliger Hausbesetzer und Mitglied einer Punkband hatte er die richtige Vergangenheit und war bald akzeptiert. „Alle mal herhören“, führte Dani, eines der Straßenkids, ihn ein, „Das ist ... Göran, der war Gitarrist bei 44 Leningrad, wenn ihr wisst, was das heißt. Der ist in Ordnung und der wird hier ein paar Fotos machen.“
Krähen über Berliner Hochhäusern, der Fernsehturm im Nebel
Und Gnaudschun Göran gelingt es, intensive Bilder zu schaffen, Stimmungsbilder von Krähen über Hochhäusern, dem Fernsehturm im Nebel, Wolken über dem Platz, situative, schnappschussartige Aufnahmen vom Leben auf dem Alex, ein Schlafsack am Bahnsteig und dann diese eindringlichen Porträts von Menschen, die Würde ausstrahlen, den Blick mal verletzlich, mal zweifelnd, mal trotzig, mal melancholisch auf den Betrachter gerichtet.
Bis Ende März sind die Bilder noch im Haus am Lützowplatz zu sehen, kombiniert mit Texten, graviert auf Metallplatten – Ausschnitte aus den vielen Interviews, die Gnaudschun geführt hat. Sie erzählen von Gewalt, emotionaler Enttäuschung, zerrütteten Familienverhältnissen, Heimaufenthalten, Not und dem Leben auf dem Alexanderplatz, der für sie so eine Art Zuhause ist. In einer Soundcollage verdichten sich ihre Stimmen zu einem Chor.
Auf der Vernissage stand, wie den Porträts entstiegen, plötzlich die ganze Horde junger Punks und Obdachloser im Raum, sprach mit den Besuchern und posierte – mit Stolz – vor den eigenen Bildern. Bei einem war der Stolz so groß, dass er sein Porträt kurzerhand mit seinem blauen Tag signierte. Darauf lief der Künstler auf ihn zu und rief: „Das ist mein Bild. Das kannst du doch nicht machen.“ „Nee, das ist mein Bild“, war die selbstbewusste Replik und der Fall damit erledigt. Das Tag ist noch immer da.
Göran Gnaudschun – Alexanderplatz. bis 30.03.2014, Di-So 11-18 Uhr. HAL, Lützowplatz 9