Mit einer Matinee ehrte die Staatsoper ihren früheren Intendanten Hans Pischner, der in dieser Wochen seinen 100. Geburtstag begeht. Im Schiller-Theater spielte Daniel Barenboim dem gut gelaunten Jubilar ein Ständchen.
Der zerbrechlich wirkende, alte Herr am Stock ist regelmäßig in Opernpremieren und Konzerten anzutreffen. Mehrmals die Woche. Die meisten übersehen ihn, die älteren, die ihn erkennen, begrüßen ihn hingegen ehrfurchtsvoll. Am Sonntag wurde für Hans Pischner im Schiller-Theater eine Matinee zum 100. Geburtstag ausgerichtet. Stardirigent Daniel Barenboim spielte dem Jubilar höchstselbst ein Schubert-Ständchen. Intendant Jürgen Flimm hielt die Laudatio auf seinen langjährigen Amtsvorgänger, der von 1963 an die Staatsoper Unter den Linden leitete. Flimm scherzte, ohne Pischner gäbe es heute noch keine richtige Premiere am Hause. „Er kommt immer um die Ecke und lobt uns.“ Als Flimm erwähnte, dass Pischner zwanzig Jahre lang Intendant war, brandete im Foyer Applaus auf. Wer hält heute noch als Intendant so lange durch. Flimm rechnete für sich aus, er wäre dann 93. Aber das würde er keinem zumuten.
Jeder kann Klavier spielen
Hans Pischner sitzt derweil gut gelaunt in der ersten Reihe. Der 100 haftet schon etwas Unglaubliches an. Pischner hat fünf politische System erlebt: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazi-Diktatur, die DDR und schließlich die vereinigte Bundesrepublik. Er war im Krieg und in russischer Gefangenschaft. Und er ist Zeitzeuge für merkwürdige Dinge. In seiner Autobiografie schildert er, wie daheim in Breslau, wo er am 20. Februar 1914 geboren wurde, sein Vater einen Vortrag im Gewerkschaftshaus ankündigte. Physikprofessor Lummer würde dort vorführen, wie man ohne Draht, ohne Telefon, ohne alles, sozusagen durch die Luft, Musik hören könne. Der Saal war voll, die Musik wurde aus Berlin übertragen und die Leute lachten ungläubig. Zweifler kamen auf die Bühne, um nachzuschauen, ob hinterm Vorhang ein Grammophon versteckt sei. Bald hatten die Pischners ein Rundfunkgerät.
Der eine Pianist, der andere Cembalist
Um es vorwegzunehmen, am Ende seiner Ehrung lässt sich Hans Pischner doch ein Mikrofon hinstellen und bedankt sich mit klaren, auch witzigen Worten. Mit Daniel Barenboim verbinde ihn, sagt er, dieselben Erinnerungen an die Kindheit. Barenboims Eltern unterrichteten Klavier, alle Leute, die zu ihnen kamen, hatten irgend etwas mit Klavier zu tun. Zum kindlichen Weltbild gehörte also, dass „die ganze Welt Klavier spielt“. Was bei Pischner ähnlich war. Sein Vater arbeitete als Klavierbauer und -stimmer. Barenboim wurde Pianist, Pischner ein Cembalist.
Genau genommen hat Hans Pischner drei Berufe gelebt und irgendwie miteinander verbinden können. Zuerst war er der Virtuose, der gemeinsam mit einem Jahrhundertgeiger wie David Oistrach konzertierte. Pischner galt immer als Spezialist für Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Flimm hält während seiner Laudatio eine neue, zehnteilige CD-Box mit Werken Bachs, von Pischner auf Cembalo gespielt, in die Höhe. „Sie zu kaufen, ist das schönste Geschenk, was wir ihm heute machen können“, scherzt Flimm. An einem Stand im Foyer wird sie vom Staatskapellenmusiker Matthias Glander, selbst ein gefeierter Klarinettist, verkauft. Die Staatskapelle scheint heute noch treu hinter Pischner zu stehen.
Die Staatskapelle erhielt ihre Würde zurück
In seinem zweiten Beruf als Intendant hatte er dem Orchester in den 60-iger Jahren die Würde wiedergegeben. Die im Krieg zerstörte Staatsoper war 1955 wieder eröffnet worden, aber durch den Mauerbau 1961 waren viele Mitglieder im Westen geblieben. Pischner verpflichtete politisch hasardeurhaft den Österreicher Otmar Suitner als Generalmusikdirektor, der die Staatskapelle wieder international salonfähig machte. Pischner gestaltete das Opernrepertoire in Konkurrenz zu Walter Felsensteins Komischer Oper um und setzte auf junge Leute. Sänger wie Peter Schreier, Theo Adam, Anna Tomowa-Sintow oder Siegfried Vogel wurden bei ihm zu internationalen Opernstars. Frau Tomowa-Sintow hat sich schriftlich entschuldigt, dass sie beim Jubiläum nicht dabei sein kann. Viele andere sind gekommen, ob Bassist Rainer Süß, Countertenor Jochen Kowalski, Sopranistin Jutta Vulpius, Ex-Konzerthaus-Intendant Frank Schneider oder Suhrkamp-Verlegerin Ulla Berkéwicz.
Viele Freunde und Feinde
Unter den Gästen sitzen Egon Bahr (SPD), der „Erfinder der Ost-Politik“, und Hans Modrow, der letzte Vorsitzende des Ministerrates der dahin gesiechten DDR. Was daran erinnert, dass Pischner, der selbst aus einer SPDler-Familie stammt, auch ein einflussreicher, staatsnaher Kulturpolitiker war. Er prägte den DDR-Rundfunk in Zeiten des Kalten Kriegs mit, war stellvertretender Kulturminister, Vizepräsident der Akademie der Künste und zuletzt Mitglied des ZK der SED. Parallel dazu leitete er wiederum die gesamtdeutsche Neue Bachgesellschaft. Er hatte immer viele Freunde und auch Feinde.
In seinen Schlussworten wendet sich Pischner noch einmal direkt an Daniel Barenboim. Die Staatsoper habe er immer als Brücke zwischen Ost und West gesehen, er wünsche nun dem Dirigenten alles Gute für sein West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge Musiker aus Israel und arabischen Ländern gemeinsam spielen. Ein Hundertjähriger wünscht sich und anderen Frieden. Die Matinee endet in stillen Sekunden der Rührung.