Andere Filmemacher können schon froh sein, wenn ihr neuestes Werk auf der Berlinale gezeigt wird. Volker Schlöndorff aber kann sich gleich doppelt freuen. Er darf nicht nur am 12. Februar im Zoo Palast seinen jüngsten Film „Diplomatie“ präsentieren, bereits morgen wird im Haus der Berliner Festspiele sein Frühwerk „Baal“ mit Rainer Werner Fassbinder gezeigt, der 44 Jahre nicht gezeigt werden durfte. Beide Filme laufen als Berlinale Special. Peter Zander hat mit dem 74-jährigen Regisseur gesprochen.
Berliner Morgenpost: Herr Schlöndorff, das ist Ihre Berlinale. Sie haben zwei Filme im Programm. Wie fühlt man sich da?
Sehr gut. Ein Spagat über 44 Jahre. Ich weiß auch gar nicht, über welchen der beiden ich mich mehr freue. Sie können sich vorstellen, was das bedeutet, nach so vielen Jahren „Baal“ dann doch noch einmal vorführen zu dürfen.
Wie ist es überhaupt möglich, einen Film über so lange Zeit verbieten zu können?
Bei einem Roman erwirbt man die Rechte ein für alle Mal. Aber bei einem Theaterstück hat man damals die Rechte nur für eine Ausstrahlung erworben und für jede weitere Auswertung neu. Frau Weigel hat aber über Herrn Unseld ausrichten lassen, dass sie den Film ganz schrecklich fände. Und die Rechte nicht frei geben würde. Das hat auch alles mit der Defa zu tun, und mit Babelsberg. Ich bin nicht in Babelsberg angetreten, um damit reich zu werden. Ich dachte wirklich, man muss den Laden retten. Aber seither werde ich von der ostdeutschen Gesellschaft als Abwickler gesehen. Es ist mir nicht gut bekommen, nach Babelsberg gegangen zu sein. Bei jedem Briefwechsel mit den Brecht-Erben habe ich gespürt, dass es eine Ablehnung gab. Gegen mich als Person.
Wie war das dann, den Film doch wieder vor sich zu haben?
Naja, ich war natürlich sehr verleitet, den Film zu „verbessern“. Einen der Darsteller fand ich sprachlich so schwach, ich überlegte, ihn nachzusynchronisieren. Auch beim Schnitt wollte ich hier und da eingreifen. Aber dann hat Bibiana Beglau, der ich sehr vertraue, gesagt: Finger weg. Ich hau dir drauf. Du lässt das, wie es ist. Sie hat recht. Es ist einfach ein Dokument.
Ihr neuester Film „Diplomatie“ handelt von dem Tag, an dem die Deutschen Paris verließen. Und die Stadt nicht, wie von Hitler gefordert, in Schutt und Asche legten. Wie kam man ausgerechnet auf Sie?
Vielleicht sehen mich die Franzosen nicht so deutsch. Ich habe ja bei ihnen mein Handwerk gelernt. Und auch meinen letzten Film „Das Meer am Morgen“ habe ich wieder dort gedreht. Dadurch wurden die Franzosen wieder auf mich aufmerksam. Die haben mir den Stoff angeboten. Ich konnte mir das erst gar nicht vorstellen. Aber dann habe ich gemerkt, welchen Stellenwert die Befreiung von Paris für die Franzosen hat. Diese Demütigung, die schnelle Eroberung durch Hitler, das sitzt noch ganz tief. Und das kommt heute wieder hoch, da Deutschland wirtschaftlich so überlegen ist. Das ist ja fast wie ein gewonnener Krieg.
Wenn Sie nun beide Filme vergleichen, hat sich die Handschrift verändert? Würden Sie den alten Film heute anders machen?
Na, ich hoffe doch, dass ich’s heute anders machen würde. Aber eine Konstante gibt es schon. Die Leute haben immer versucht mich einzuordnen. Ich war der Handwerker, der Politische, der Buchverfilmer. Als ich kürzlich die Nachrufe auf Abbado las, war mir klar: Ich bin ein Dirigent. Nichts macht mir mehr Spaß, als mit Schauspielern und Technikern zu arbeiten. Ich kenne jeden Techniker mit Namen, jede Schwäche des Schauspielers. Und ich arbeite mit denen wie mit einem Orchester. Das spürt man „Baal“ genauso an wie „Diplomatie“.
Warum hat der Neue Deutsche Film es eigentlich lange Zeit tunlichst vermieden, seine Werke auf der Berlinale zu zeigen? War das eine alte Animosität?
Das weiß ich gar nicht so genau. Ich kannte die Berlinale ja gar nicht. Ich habe mein Handwerk als Regieassistent in Frankreich gelernt, ich durfte mit Louis Malle nach Cannes und Venedig. Und als ich meinen ersten Film, den „Törless“, gemacht habe, war mir das Wichtigste, was meine Freunde in Paris dazu sagen. Dass der dann auch noch in Cannes gezeigt wurde, war ein Privileg. Sie haben recht, Werner Herzog ging auch nach Cannes, und dass Wenders’ „Himmel über Berlin“ in Cannes Premiere hat, ist absurd. Aber das war nicht nur der Prophet, der nichts im eigenen Land galt. Wir waren insgesamt zu unsicher.
Zu unsicher?
Ja, als der Neue, damals noch der Junge deutsche Film begann, wussten wir gar nicht, wie ein deutscher Film aussehen soll. Es gab in ganz Deutschland eine große kulturelle Unsicherheit, da hat man dem Ausland mehr vertraut als dem Zuhause. Das war der erste Impuls, warum man wegging.
Und der zweite?
Der war ganz klar politisch. Die Berlinale war als Schaufenster des Westens gegründet, deshalb gab es von Anfang an immer diese politischen Rücksichtnahmen. Auch Ästhetisch-Radikales wurde als politisch empfunden. Blieb nur noch das gediegene Kunsthandwerk. Und das lief dort auch immer. Deshalb guckte man als aufstrebender Filmemacher nicht so nach Berlin. Spätestens ab 1968 hat sich das radikal umgedreht. Plötzlich war die deutsche Filmkritik völlig politisiert, heute würde ich sagen ideologisiert. Denen waren unsere Filme nicht radikal genug, und das war besonders virulent in Berlin. Erst war es adenauerisch angepasst, dann politisch aufgeheizt. Das konnte man sich so auf keinem anderen Festival vorstellen.Kommt noch die Berliner Ruppigkeit dazu. Und der Fakt, der gern vergessen wird: Die Berlinale ist das einzige Filmfestival, das in einer Großstadt läuft und nicht in der Sonne, unter Palmen – wo man automatisch freundlicher miteinander umgeht. Hier ist es eben knallhart. Das ist aber auch das Besondere und Gute an diesem Festival.
Es war eine Zeitlang regelrecht Mode, deutsche Filme auf der Berlinale abzuschlachten. Wann haben Sie Frieden mit dem Festival gemacht?
Für mich kam die Wende genau mit der Wende. Ich habe hier 1990 „Die Geschichte der Dienerin“ gezeigt. Bei der Premiere im Zoo Palast wurden wir total ausgebuht. Da waren innere Animositäten, vielleicht war ich auch zu schnell zu erfolgreich gewesen und musste getunkt werden. Aber dann sind wir mit dem Film auch über den Checkpoint Charlie und haben den im International gezeigt. Das war das erste Mal, dass das möglich war, die Grenzer standen noch. Die Geschichte ist der Autorin Margaret Atwood ja in Berlin eingefallen, unter dem Eindruck der Mauer. Das wurde dort verstanden. Und wir wurden plötzlich gefeiert.
Das gilt auch für Ihre Kollegen, dass sie Frieden gemacht haben mit dem Festival?
Ich glaube, dass sich nach der Wende diese kulturelle Unsicherheit, weshalb wir uns immer am Ausland orientiert haben, verloren hat. Spätestens seit der Fußball-WM haben die Deutschen wieder ein gesundes Selbstvertrauen. Das ist auch gut so. Plötzlich kann man auch wieder eigenen Filmen applaudieren, es gibt nicht mehr so dieses verkrampfte Verhältnis dazu.
Für „Stille nach dem Schuss“ gab es dann einen Silbernen Bären für die Darstellerinnen und den Alfred-Bauer-Preis. Ein Ende im Guten?
Von wegen. Der Jurypräsident Andrzej Wajda, der für die Ost-West-Problematik ein feines Gespür hatte, wollte dem Film unbedingt einen Hauptpreis geben. Aber es waren die beiden deutschen Jurymitglieder, die das verhindert haben. Das hat mir Wajda mal erzählt. Der eine monierte, sie kann man den Osten nicht darstellen, und der andere, so war der Terrorismus im Westen nicht. Dafür bekamen die Schauspielerinnen einen Preis. Das waren wohl noch die letzten Spuren dieser Unsicherheit.
Ihre Filme laufen jetzt als Special. Warum nicht im Wettbewerb? Mag man sich als Altmeister nicht mehr messen?
Ich bin durchaus wettbewerbsorientiert. Aber ich habe mich erst mal gefreut, dass „Diplomatie“ überhaupt genommen wurde. Ich war mir sehr unsicher über den Film, noch vor zwei Monaten dachte ich, das sei ein Totalschaden, ich müsste den einstampfen. So betriebsblind kann man sein. Ich bin jetzt so so erleichtert, dass es mir wurscht ist, in welcher Sektion er läuft.