Er ist ein Charmeur, ein Plauderer und immer voller Pläne. Jochen Kowalski schwärmt sogleich über den angesagten Opernregisseur Dmitri Tscherniakov und dessen „Zarenbraut“ an der Staatsoper. Dieser Rimski-Korsakow sei eine der besten Inszenierungen der vergangenen Jahre, meint er. Dann lässt er einige Produktionen des Russen Revue passieren und meint, mit Tscherniakov würde er gerne mal eine Produktion machen. Natürlich haben die Beiden schon darüber gesprochen. Über eine ganz spezielle Rolle sogar. Aber Tscherniakov habe ihm gesagt, für die Partie sei er „noch zu jung und zu schön“.
Über das Kompliment kann Kowalski so herzhaft lachen. Ein Mann mit seiner Stimmlage braucht auch viel Humor. Bei der Rolle geht um die Gräfin in Tschaikowskys Oper „Pique Dame“, jene alte Dame, die das Geheimnis der gewinnenden Spielkarten hütet, deswegen sterben muss und sich als Geist am Täter rächt. Gern singen diese Partie auch alt gewordene Diven an den Opernhäusern, um ihrem Fanpublikum noch einmal erscheinen zu können. In der Oper ist es ein Mezzosopran. Gerade richtig für ihn.
Eine glamouröse Karriere
Jochen Kowalski ist Countertenor, also ein Mann, der mit einer Frauenstimme große Partien singen kann. „Ich hatte einfach das Glück, über den Stimmbruch hinweg meine Stimme zu behalten“, sagt er: „Das ist ein Geschenk oder einfach nur eine Laune der Natur. Da wird viel zu viel reininterpretiert.“
Tatsächlich ist Kowalski, der an diesem Donnerstag seinen 60. Geburtstag feiert, eine Art Vaterfigur für die deutschen Countertenöre. Der in Pankow lebende Sänger hat eine glamouröse Karriere hingelegt. Aber ganz so leicht, wie bei ihm immer alles klingt, wenn er eine Anekdote nach der anderen erzählt, war es dann doch nicht. An der Berliner Eisler-Musikhochschule begann er 1977 Gesang zu studieren. Da war er noch ein aufstrebender Tenor.
Du bist ein Countertenor!
Und hier beginnt eine typische Kowalski-Anekdote. In einer Korrepetitionsstunde, in der ein Klavierbegleiter mit Sängern übt, war er nach einer Kommilitonin, die übrigens heute noch dem Chor der Komischen Oper angehört, an der Reihe und konnte mitverfolgen, wie sie sich mit Glucks Orpheus-Arie schwertat. An einer Stelle sang er also von hinten die beiden hohen Fs, die sie nicht hinbekam. Die Korrepetitorin drehte sich um und meinte: Du bist ein Countertenor!
Das hat ihn damals verwirrt. „In der DDR war der Begriff nicht vorgesehen“, sagt er grinsend: „Den hatte die Partei- und Staatsführung nicht in ihrem Repertoire.“ Dann wurde er von der Korrepetitorin zu ihrem Kollegen Werner Schieke an die Staatsoper gebracht. Der übergab ihn an den großen Bassbariton Theo Adam, der ihm sagte, er solle das mit dem Tenor sein lassen und als Counter Weltkarriere machen. Danach landete er bei der Gesangslehrerin Marianne Fischer-Kupfer, der Ehefrau des Regisseurs Harry Kupfer. Die elitäre Klassikbetrieb in Ost-Berlin war überschaubar, darin begann seine beachtliche Karriere. Er selber bezeichnete sich lange Zeit lieber als männlichen Alt.
Ein Star aus dem Hausensemble
Gleich nach dem Studium wurde er von Harry Kupfer an die Komische Oper verpflichtet. Gemeinsam mit der Sopranistin Dagmar Schellenberger avancierte er zum Star des Hausensembles, etwas, was es so heute kaum noch gibt. Bereits 1987 debütierte er in Wien als Prinz Orlofsky in Johann Strauß’ „Fledermaus“. Nach der Wende sang er in Paris, in London, Tokio oder in Salzburg.
Heute weiß er, dass das große Geheimnis einer Sängerkarriere im Nein-Sagen besteht: „Ich hätte das öfter mal tun sollen, dann wäre meine Karriere größer geworden.“, sagt er: „Aber ich wollte meinen Chefregisseur Harry Kupfer immer glücklich machen. Ich wollte auch nicht, dass mir jemand Arroganz nachsagt. Aber deshalb habe ich San Francisco, Houston oder Japan abgesagt, weil die Komische Oper vorging.“
Seine Familie hält zusammen
Das bemerkenswerte an Kowalskis Counter-Karriere ist, dass er sich neben der Alten Musik voller Leidenschaft auch Kunstliedern, Operetten und der Salonmusik zuwandte. Dazu kommt seine Liebe zur russischen, zur slawischen Musik. Im Gespräch kommen wir darauf, dass es wohl auch mit seinen polnischen Großeltern zu tun haben könnte. Kowalski ist ein eigenwillige Mischung aus Glamour und Bodenständigkeit.
In gewisser Weise wuchs er privilegiert auf, aber nicht im politischen Sinne. Seine Eltern gehörten zu den Selbstständigen in der DDR, betrieben eine Fleischerei im Dörfchen Wachow im Havelland. Ein gewinnbringendes Geschäft in einer Mangelwirtschaft. Heute betreibt das Geschäft der mittlere der drei Kowalski-Brüder. Die Familie, das Dorf hält nach wie vor zusammen.
„Die kommen alle zu mir ins Konzert. Das wurde mir zugeflüstert“, sagt Kowalski. Heute singt er sich selbst ein Ständchen in der Bar jeder Vernunft: „Es soll ein ganzer Bus aus unserem Dorf kommen. Das sind 20-30 Hardliner, mit denen ich groß geworden bin.“ In der Waldbühne, erinnert er sich, damals mit der Komischen Oper unter Yakov Kreizberg, haben sie mal ein Riesenplakat entrollt: Wachow grüßt Jochen!
Eine Biografie zum Jubiläum
„Wir haben alle unsere Zeiten geschenkt bekommen“, sagt er zwischendurch: „Ich hatte so eine tolle Zeit in Berlin, aber das habe ich eigentlich jetzt erst bemerkt.“ Zum Jubiläum ist auch seine Biografie „Der Countertenor Jochen Kowalski“ (Bärenreiter Henschel) erschienen. Er hat sich erst dagegen gesträubt. „Da stehen normalerweise die guten Kritiken drin und wie toll die alle waren“, sagt er: „Aber wen interessiert das überhaupt?“ Schließlich ist es ein Gesprächsbuch geworden, und Kowalski redet Tacheles über sich und den Musikbetrieb. Schwärmereien inklusive.
Ihn selbst interessiert an anderen Sängerbiografien vor allem, was die hinterher machen. „Die Karriere und der ganze Glamour sind schon toll. Aber das ist irgendwann aus. Und das wissen die jung aufstrebenden Kader noch nicht“, sagt er: „Die denken, es geht immer so weiter. Spannend ist die Zeit danach, man muss sich als Sänger schließlich richtig seriös ausklinken.“ Die meisten werden Lehrer.
Die tiefen Bässe fand Kowalski immer cooler als die „flipsigen Countertenöre“. Die neue Generation der Countertenöre sei schon ziemlich schrill drauf, meint er. „Das ganze androgyne Gehabe gefällt mir nicht.“ Er wollte immer lieber Tenor sein, sagt Kowalski und verdreht kokett die blauen Augen. „Aber als Künstler muss man sowieso immer unzufrieden und neugierig sein“, fügt er hinzu und lacht.
Bar jeder Vernunft: Jochen Kowalskis „Songs of my life" mit dem Salonorchester der Staatskapelle. Am 30.1. um 20 Uhr. Tel. 8831582 (ausverkauft)