Ex-Kraftwerker Karl Bartos war 15 Jahre lang bei der wichtigsten deutschen Band aller Zeiten. Bis er es nicht mehr aushielt. Auf seiner aktuellen Tour spielt er seine Hits von einst.
Wer heute Kraftwerk preist, meint die goldene Periode, die 70er- und frühen 80er-Jahre der Düsseldorfer. In den Hitparaden klangen „Das Model“, „Die Roboter“ und „Tour De France“ wie Pop-Musik aus der Nachbar-Galaxie. Und wenn sie Mini-Sinfonien wie „Autobahn“ oder „Trans Europa Express“ auf die Bühnen der Welt brachten, wurden die Elektro-Pioniere in den roten Hemden zu Botschaftern eines aufgeschlossenen neuen Deutschlands. Karl Bartos war von 1975 bis 1990 Teil des Quartetts. An allen bekannten Charts-Titeln schrieb er mit, und die Melodie von Cyber-Lovesong „Computerliebe“ brachte es sogar auf ein Coldplay-Album. Im Gespräch mit Patrick Goldstein spricht der 61-Jährige Beatles-Fan über bitter-süße Gefühle für die Ex-Combo und sein Berliner Konzert im Postbahnhof.
Berliner Illustrirte Zeitung: Der Ehren-Grammy für Kraftwerk bestärkt die gängige These, wonach alle DNA der heutigen Popmusik einzig aus den Stücken der Beatles, von James Brown und Kraftwerk besteht. Welche Last für einen Musiker, der ein Leben nach Kraftwerk führen will! Ist es für Sie Fluch oder Segen, bei Kraftwerk gewesen zu sein?
Karl Bartos: Tja... Das ist die Gewissensfrage. Ich schreibe ja gerade meine Autobiografie. Da überlegt man das sehr oft. Sagen wir es so: Ich hätte bestimmt ein sehr, sehr glückliches Leben als Professor an der Musikhochschule geführt. Vielleicht in der Nähe von Düsseldorf, links des Rheins.
Das konnten Sie teilweise von 2004 bis 2009 in Berlin ausprobieren. Sie waren an der Universität der Künste Mitbegründer des Masterstudiengangs „Sound Studies – Akustische Kommunikation“ und Gastprofessor für Auditive Mediengestaltung.
Und es war großartig. Es hat mich gefesselt. Ich war Mitte 50, ich hatte super Studenten. Aber ich habe auch zunehmend gespürt, dass mir die Kreativität fehlt. Ich wünschte mir so sehr, wieder Musik herzustellen. Dieses emotionale Element. Als Professor muss man ja immer analysieren und erklären, warum die Dinge passieren. Nach fünf Jahren verspürte ich diesen emotionalen Druck, wieder zu komponieren.
Seit 1990 haben Sie eine Reihe hoch gelobter Alben veröffentlicht und erfolgreich mit OMD, Johnny Marr und Bernard Sumner (The Smiths/New Order/Electronic) zusammengearbeitet. Für die aktuelle Platte „Off the Record“ haben Sie Ihre unverwendeten Heim-Aufnahmen und Skizzen aus der Kraftwerk-Zeit zu neuen Stücken verarbeitet. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Wie die Zeit vergeht (lacht). Es war ein gemischtes Vergnügen. Es war ja eine Menge alter, relativ unperfekter Aufnahmen, die man erst einmal abhören musste. Ich war aber überrascht, wie naiv man als junger Mensch ist, welche Dynamik und Lust man hat, etwas auszuprobieren. Und das alles mit diesen archaischen Maschinen, diesen analogen Synthesizern und Sequencern.
Wie war die Aufgabenteilung bei Kraftwerk? Ralf Hütter und Florian Schneider hatten Sie ja neben Wolfgang Flür nach der Veröffentlichung des Albums „Autobahn“ für den Rhythmus hinzugeholt.
Diese Grenzen verschwanden aber bald. Als elektronischer Musiker ist man nicht an eine Aufgabe gebunden. Jeder konnte alles machen.
Ideen Ihrer Heimaufnahmen brachten Sie damals dann immer zu den Kollegen ins legendäre Kling Klang Studio der Band auf einem Düsseldorfer Hinterhof.
Man arbeitete wie in einem Laboratorium, auf einem Testgelände. Es konnte vorkommen, dass ich stapelweise Partituren durcharbeitete...
...im Gegensatz zu den Kollegen hatten Sie an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf Klavier, Vibraphon und Schlagzeug studiert...
...einfach, um zu sehen, was wir etwa von Puccini lernen könnten.
Sie haben sich 1990 von Kraftwerk getrennt. Ging es Ihnen danach so wie nach einer Liebesbeziehung: Plötzlich vermisst man all die schönen Dinge, die einem im Alltag gar nicht mehr aufgefallen waren?
Sicher, was wir mit Kraftwerk gehabt hatten, war ein großartiges Forum. Aber ich habe die Trennung nicht aus einer Laune heraus entschieden, das war ein jahrelanger Prozess. Aus so einer Band geht man ja nicht leicht weg. Von den Rolling Stones trennt man sich auch nicht einfach so. Da muss man schon einen sehr großen Leidensdruck verspüren. Bei mir war das so: Ich war damals auf dem Gipfel meiner Kreativität, mit Ende 30 schäumen Sie über vor Energie. Aber meine beiden älteren Kollegen Hütter und Schneider fuhren, salopp gesagt, mit angezogener Handbremse. Für die bestand gar kein Druck, Musik fertigzustellen oder zu veröffentlichen.
Weil sie finanziell besser dastanden?
Finanziell waren sie von Hause aus komplett unabhängig. Meine Lebensrealität sah aber etwas anders aus. Für mich machte es schon einen Unterschied, ob ich an einem Album ein oder fünf Jahre arbeitete.
Das letzte Album „Electric Café“ war im Jahr 1986 erschienen…
...und ich musste mir Ende der 80er-Jahre wirklich überlegen, wie es weitergehen sollte. Damals habe ich zum ersten Mal ein Wort gelernt, es hieß „Karriere“. Ich habe gedacht, ich bin bald 40 Jahre alt, ich muss mal langsam sehen, wie ich alleine über mein Leben bestimmen kann. Deshalb: Ich wollte nicht weg von Kraftwerk. Aber ich musste das aus ökonomischen Gründen.
George Harrison hat gesagt: „Beatles – schön und gut, aber viel wichtiger ist doch Dylan.“ Wie begeistert sind denn Sie noch von Kraftwerk?
Ich gebe darüber kein Urteil ab. Ich war ja daran beteiligt, zumindest, was Musik, Melodien und Akkorde angeht. Wenn man die Musikgeschichte in Europa sieht, sagen wir, die vergangenen 2000 Jahre, stellt man aber ganz klar fest, dass wir hier in der postmodernen Popmusik doch höchstens eine Millisekunde davon ausmachen. Als Musiker ist man wie ein Staffelläufer: Er nimmt irgendetwas auf, was er von Chuck Berry und den Beatles übernommen hat, spielt ein bisschen daran herum und gibt es dann weiter. Deshalb sage ich mir: Diese Verehrung ist schön. Aber wirklich weiter in meinem Leben hilft sie mir auch nicht.
Wann ist Ihnen zum ersten Mal aufgefallen, dass andere Künstler und Bands Kraftwerk-Einflüsse verarbeiten?
Das war früh. Bei den Giorgio-Moroder-Produktionen. Wenn Sie bei „I feel love“ von Donna Summer...
...veröffentlicht 1977...
...den Gesang wegnehmen, könnte das auch von einer Kraftwerk-Platte stammen.
Kraftwerk arbeiteten da noch an dem Album „Die Mensch-Maschine“.
Der Sound lag in der Luft. Wenn es eine neue Maschine gibt, gibt es bald auch die Inhalte dafür.
Sie meinen die damals neue Generation von elektronischen Instrumenten, die Sequencer, mit denen man Tonfolgen und Beats endlos und sehr groovig ablaufen lassen konnte.
Genau. Aber noch bevor es diese Maschinen gab, haben Kraftwerk genau diesen Sound bereits veröffentlicht. 1974 auf dem Album „Autobahn“. Allerdings: Kraftwerk haben das von Hand gespielt. Das wurde die Blaupause für die weitere Sequencer-Musik.
Gerade Dance-Künstler bis hin zu Madonna schreiben Kraftwerk einen popmusikalischen Urknall zu. Kraftwerk gelten als Erfindung des typischen stampfenden und schleifenden House-Rhythmus’.
Das hat aber mit uns relativ wenig zu tun. In den 60er-Jahren gab es Rhythm and Blues. Dann kam das Disco-Ding. Wir und nicht nur wir haben das dann transferiert in diesen akustischen neuen, eben elektronischen Zusammenhang.
Die Touren mit Kraftwerk waren Ihrem alten Kollegen Wolfgang Flür zufolge ja trotz des kühlen Images der Band voll mit echten Rock-n’-Roll-Exzessen. Partys, schöne Frauen, kaputte Fahrzeuge und gequetschte Körperteile.
Naja, wenn ich an die US-Tour 1975 denke, da war ich 23 Jahre alt: Mit den Freunden von der Ostküste zur Westküste zu touren – etwas Besseres kann das Leben einem jungen Musiker nicht bieten.
Wenn Sie gut 40 Jahre später am 30. Januar nach zwei gefeierten, sehr Kraftwerk-artigen Solo-Platten in Berlin spielen: Was erwartet die Zuschauer da?
Ich spiele die meisten Kraftwerk-Hits, die Songs an denen ich beteiligt war. Und viel von den neuen Alben. Das Wesentliche dieser Show, bei der ich mit zwei weiteren Musikern auf der Bühne stehe, ist, dass sie audiovisuell ist. Ich zeige einen 90-minütigen Episodenfilm, an dem ich teils auch während meiner Berliner Gastprofessur gearbeitet habe. Durch das Zusammenwirken zwischen akustischer und visueller Ebene lässt sich viel erklären über das Wesen von Musik und Klang.
Nach dem Weggang von Ihnen und Wolfgang Flür gab es juristische Schritte von Kraftwerk gegen dessen Bandbiografie. Anfang Februar wird in Hamburg darüber verhandelt, ob sich Flür in seiner heutigen Karriere als „Ex-Kraftwerker“ bezeichnen darf. Benehmen sich so Musiker, deren Wurzeln in den wilden Sechzigern liegen?
(lacht) Bitte fragen Sie nicht danach. Wenn ich öffentlich etwa dazu etwas sage, kommt das nicht gut an. Das darf ich nicht. Anders ausgedrückt: Wenn es eines von Angela Merkel zu lernen gibt: Man sollte nicht bei allen Themen das sagen, was man denkt.