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Warum Dagtekins „Fack ju Göhte“ ein Erfolgsfilm ist

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Peter Zander

Foto: Christoph Assmann,Constantin / dpa

Mit „Türkisch für Anfänger“ gelang Bora Dagtekin der erfolgreichste deutsche Film 2012. Nun ist sein Werk „Fack ju Göhte“ der erfolgreichste deutsche Film des Jahres. Weshalb? Ein Erklärungsversuch.

Vergesst Til Schweiger. Oder Matthias Schweighöfer. Bully Herbig muss man noch abwarten. Sein neuer Film „Buddy“ startet erst am 26. Dezember. Aber der Kinokönig des Jahres, so viel darf man jetzt schon sagen, hat einen anderen Namen. Auch wenn der für viele noch schwer auszusprechen ist. Bora Dagtekin. Erst am 7. November ist sein Film „Fack ju Göhte“ angelaufen und zählt jetzt schon 4.297.316 Zuschauer. Wenn ein deutscher Film die Millionenmarke knackt, ist er schon ein Blockbuster. Das haben in diesem Jahr gerade mal sechs Titel geschafft: etwa Schweigers „Kokowääh 2“, Schweighöfers „Schlussmacher“ und die in Babelsberg gedrehte Genreparodie „Hänsel & Gretel – Hexenjäger“, bei der man sich streiten kann, wie deutsch die eigentlich ist. Aber keiner lief so wie „Göhte“.

Dagtekin kommt nicht aus dem Nichts. Er hat „Türkisch für Anfänger“ erfunden, entwickelt und inszeniert. Und damit Eylas M’Barek zum Star aufgebaut. Auch „Doctor’s Diary“ geht auf sein Konto. Damit wurde Florian David Fitz zum Star. Und als Dagtekin im vergangenen Jahr den Sprung vom Fernsehen ins Kino gewagt hat, mit der Kinoversion von „Türkisch für Anfänger“, wollten die auch schon 2.387.204 Zuschauer sehen: Auch im Vorjahr war der erfolgreichste deutsche Film des Jahres ein Dagtekin. Und der neunterfolgreichste überhaupt.

„Göhte“, wieder mit M’Barek in der Hauptrolle, hat aber noch mal zwei Millionen mehr gemacht. Und steht in der Liste der erfolgreichsten Filme in deutschen Kinos 2013 bereits auf Platz zwei. Getoppt wird er nur noch von Quentin Tarantinos „Django Unchained“. Der kam auf 4.491.981 Besucher, erscheint aber heute schon als DVD. „Fack ju...“ aber läuft noch immer im Kino und hat auch in der fünften Woche noch 319.578 Zuschauer ins Kino gelockt. Es kann also gut sein, dass „Göhte“ bis Jahresende auch „Django“ überholt. Dann wäre er der Superhit schlechthin.

Ein Lehrer schießt auf seine Schüler

Aber wieso eigentlich? Was macht den Film so einzigartig, dass jeder 19. Bundesbürger ihn sehen muss? In der Schulkomödie gibt es Szenen wie diese, dass ein paar Schüler lieber draußen auf dem Schulhof lümmeln, als die Schulbank zu drücken. M’Barek aber, der sich als Aushilfslehrer Zeki Müller ausgibt, obwohl der null pädagogische Ausbildung hat, zielt mit einer Pointball-Knarre auf die Schüler und schießt ihnen Farbe auf die Klamotten. Bis sie kleinlaut den Rückzug ins Klassenzimmer antreten.

Oder diese: Gemeine Schüler haben einen Jungen in einen Schokoriegelautomaten eingesperrt. Da steckt er nun hinterm Glas und klopft gegen die Scheibe, als der Aushilfslehrer vorbeikommt. Der aber hilft ihm nicht etwa raus. Nein, er steckt eine Münze rein und macht dem Jungen, weil er die Mechanik blockiert, Zeichen, welchen Riegel er ihm reichen soll. Oder diese: Die Klasse hat Schwimmunterricht. Aber die Schüler wollen nicht ins Wasser; sie quatschen lieber am Beckenrand. Bis Zeki Müller einen ins Wasser wirft – und dann auch noch untertunkt. „Sind Sie Lehrer?“, fragt eine Frau betroffen. „Ja, ist aber nur ’n Nebenjob“, ist seine lakonische Antwort.

Auch Lehrer lachen über diesen Pädagogen

Eigentlich müsste jetzt die deutsche Betroffenheitskamarilla geschlossen aufschreien: Geht doch gar nicht, so was! Ein Pädagoge, der seiner Klasse DVDs vorspielt, damit er seine Ruhe hat. Aber im Gegenteil: Nicht nur die jugendliche Zielgruppe lacht sich scheckig über diesen rülpsenden, rüpelnden, rotzfrechen Möchtegernlehrer, auch Lehrkörper können kräftig lachen, wenn einer die Schüler mal so behandelt, wie diese für gewöhnlich mit ihnen umgehen. Und dann ist da noch die Fraktion der Filmjournalisten, die üblicherweise nicht mal im Dunkeln lachen, dies aber bei den Pressevorführungen von „Göhte“ erst heimlich, hinter vorgehaltener Hand, und dann immer offener getan haben.

„Göhte“ hat, das wäre eine Erklärung für die Rekordzahlen, Elyas M’Barek. Den hat sogar Bully Herbig, mit zwölf Millionen Zuschauern für „Der Schuh des Manitu“ der Häuptling unter der Handvoll deutscher Kassenstars, in „Bully macht Buddy“, der Sitcom zu seinem Film, zum neuen Superstar erkoren – als der Erfolg von „Göhte“ noch gar nicht abzusehen war. M’Barek ist der attraktivste Neuzugang im deutschen Film, gut aussehend, erfrischend unkonventionell und für jeden selbstironischen Auftritt zu haben. Das würde schon mal den Erfolg beim weiblichen Publikum erklären.

„Göhte“ hat auch Karoline Herfurth, eine der wenigen weiblichen Zugpferde des deutschen Kinos. Und Katja Riemann, deren Interviews so daneben sein können, wie sie wollen; ihre Auftritte sind immer grandios. Sie muss hier als überforderte Rektorin nur am Klebstoff schnüffeln, schon sind ihr die Lacher sicher. „Göhte“ hat schließlich noch Uschi Glas, die hier ihren ersten Kinoauftritt seit 30 Jahren absolviert. Ein augenzwinkernder Verweis auf die alten Lümmel-und-Pauker-Filme der siebziger Jahre, auf die sich Dagtekan eindeutig bezieht.

Ein einziger Befreiungsschlag

Aber all das kann den sensationellen Zuschauerzulauf nicht im Ansatz erklären. Nein, „Göhte“ ist nichts weniger als ein Befreiungsschlag. Deutsches Kino, das ist entweder hochdramatische und oft schwer ertragbare Arthouse-Kost. Oder hochglanzgelackte Durchschnittsunterhaltung. Die viel geschmähte Beziehungskomödie, sie treibt noch heute, nur halb ironisiert, ihre Blüten in den Schweiger-Filmen. Schweighöfer versucht zumindest Abzweigungen auszuloten. Aber es bleiben sentimentale Wohlfühlkomödien.

Dagtekin zeigt nicht nur Lehrplan und Nullbockschülern den Mittelfinger, sondern vor allem auch diesen durchgestylten Durchschnittspossen. Er ist so krass böse, so drastisch politisch unkorrekt, dass es, jawohl: eine Wohltat ist. Endlich mal ein Film, der nicht nach Schema F funktioniert, sondern mit allem bricht, was mainstream-tauglich ist. Und auch wenn er immer nur in der gröbsten Art aufblitzt, tut auch diese Erkenntnis gut: Es gibt ihn doch, den deutschen Humor.