Musical in Opernhäusern, das gelingt nicht immer. Das hat Leonard Bernstein leider selbst bewiesen: 1985 hat er seinen größten Erfolg, die „West Side Story“, noch einmal eingespielt, mit den Stars José Carreras und Kiri Te Kanawa. Doch deren Opernstimmen passten eben nicht zum Musical, wirkten fremd, angestrengt, deplatziert. Oper und Musical, das scheinen auf ewig fremde Welten.
Nun hat Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper, die Mutter aller Musicals in seinen Spielplan aufgenommen. Und wenn es einem in der letzten Zeit gelang, auch die vermeintlich leichtere Kost Operette und Musical an einer Oper zu integrieren, dann ihm. Kosky, der mit seinem Choreograf Otto Pichler auch die Regie übernahm, hat allerdings vorab lauthals verkündet, seine „West Side Story“ werde richtig groß, völlig neu, komplett entstaubt sein.
Da hat er den Mund vielleicht ein wenig voll genommen. Aber immerhin: Seine Neuversion beweist, dass Musical an der Oper eben doch prächtig funktioniert.
Hoodies gegen Tattoos
Am besten bringt man seine neue Produktion auf den Punkt, indem man aufzählt, was sie alles nicht ist. Sie ist kein schrilles Chichi, kein Pailletten-Dauerglitzer, wie man das bei Kosky von „Kiss Me Kate“ und „Ball im Savoy“ gewohnt ist. Im Gegenteil: Seine „West Side Story“ kommt ganz streng-minimalistisch daher. Eine leere, nackte Bühne mit zwei, drei Requisiten. Nur zur Mambo-Tanzfete, wenn sich Romeo-Tony und Julia-Maria das erste Mal sehen, fahren kosky-typische Riesendiscokugeln von der Decke herab.
Seine „West Side“ ist auch keine bemüht auf Krass-Geil-Jungsprech und Berliner Szene getrimmte Version. Das Stück in Neukölln spielen zu lassen, wäre wirklich banal. In heutigen Großstädten lassen sich Jugendgangs nicht mehr auf Herkunft oder Sprache reduzieren. Die einheimischen New Yorker Jets werden mit Hoodies und Mützen gekennzeichnet, die puertorikanischen Sharks mit nacktem Oberkörper und Tattoos. Aber sie sprechen alle ein Sprachamalgam, und es ist nicht ohne Ironie, dass die Jets oft mit deutlich amerikanischem Akzent schwerer zu verstehen sind als die Zuwanderer.
Anleihen an Streetdance und „Fight Club“
Vor allem aber ist dies eine „West Side Story“ ohne Jerome Robbins. Der hatte nicht nur die Idee zu diesem Musical geliefert und 1957 die Uraufführung inszeniert, er hat vor allem die Choreografie übernommen, die noch heute als Broadway-Tourneeproduktion durch die Land getingelt. Einst berühmt, neu und modern, ist auch sie in die Jahre gekommen. Und statt ihrer hat das Dreamteam Kosky und Pilcher nun ganz auf eine neue, wirklich heutige Choreografie gesetzt. Mit Anleihen an Streetdance und dem Film „Fight Club“ wirkt sie roh, ungeschliffen, viril, testosteronhaltig. Alles atmet hier die Straße. Ein einziger physischer Kraftakt, und als solcher der große Schauwert der sonst doch recht konventionellen Show.
Fast ein wenig ins Hintertreffen gerät dabei das Liebespaar. Dass Julia Giebels Maria mal nicht schwarz-, sondern rothaarig ist und diesmal Tansel Akzeybek als Tony einen fremden Namen trägt, scheint Absicht. So ganz passt die proppere Brangäne aber nicht zu dem zarten Jüngling. Auch musikalisch: Während Akzeybek ganz musical-affin ist, schmettert Giebel mit klassischem Opern-Tremolo und bleibt dabei ein Fremdkörper. Aber das ist der einzige Reibungspunkt dieser Produktion.
Wer diese „West Side Story“ erleben möchte, sollte sich sputen: Die nächsten 14 Vorführungen sind schon ausverkauft; Tickets gibt es erst wieder ab Mai 2014.
Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Berlin-Mitte. Tel. 20 26 00. Nächste Termine: 28.+30.11.2013, 3.+5.12.2013 (alle ausverkauft)